Als Lippe Hitler wählte: Vor 90 Jahren kamen die Nazis an die Macht

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Bei einem groß inszenierten Umzug versucht die NSDAP die Bürger Detmolds von ihrer Ideologie zu überzeugen. Fotorechte: Landesarchiv NRW Abteilung OWL

Kreis Lippe. In diesem Jahr ist es 90 Jahre her, dass sich der wohl einschneidendste Moment der modernen deutschen Geschichte abspielte: der Machtübergang auf Adolf Hitlers Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). Der Weg der Nazis zur Staatsmacht war ein langer Weg, der letztendliche Erfolg keinesfalls vorprogrammiert. Kurz vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler spielte sich der letzte Showdown um die junge Demokratie der Weimarer Republik in den heimischen Gefilden ab, im damaligen Freistaat Lippe.

Das kleine Land Lippe, ein damals eher unbedeutender Freistaat der Weimarer Republik, geriet im Januar 1933 in das Zentrum der gesamtdeutschen Politik. Politiker und Bürger zugleich verfolgten gespannt die Geschehnisse in der Region. Der Grund, weshalb jegliche Augen auf Lippe blickten, war vor allem der große Propagandafeldzug der NSDAP, welche die im Januar stattgefundene Landtagswahl zu ihrer eigenen Varusschlacht stilisierte und Hitler selbst zum neuen Hermann des deutschen Volkes beschwor. Viele Lipper ließen sich dabei in den Bann des Nationalsozialismus ziehen.

Im November des Vorjahres fand die letzte Reichstagswahl statt, die nicht im Schatten des Nationalsozialismus stand. Dabei verlor die NSDAP ganze zwei Millionen Stimmen, sank von 37,1 auf 33,1 Prozent. Viele Menschen hofften gar auf ein Ende des Aufstieges der Partei. Für Hitler und Komplizen war klar: die Partei braucht eine Kehrtwende, einen öffentlichkeitswirksamen Erfolg. Diesen wollten die Nazis jedoch nicht in Bayern erringen, nicht in Preußen, sondern im kleinen, ländlichen Lippe. Die NSDAP zog dabei alle Register: Viele der Parteigrößen traten öffentlich auf, neben Hitler selbst, auch Hermann Göring, Joseph Goebbels und Prinz August Wilhelm.

In der heißen Schlussphase des Wahlkampfes hielt Hitler in bloß elf Tagen ganze 17 feurige Reden. Die Abschlusskundgebung der NSDAP fand in Bad Salzuflen am letzten Tag vor der Wahl statt, rund 15.000 Menschen gründeten das Publikum. Mit Slogans wie „Macht frei das Hermannsland!“ verknüpften die Nazis ihre Propagandamärchen geschickt mit der lippischen Kulturgeschichte. Die Externsteine wurden zum germanischen Mythos verklärt und verkamen in der Propagandadarstellung zu einem Gegenstand der NS-Rassenideologie. Lippe selbst wurde zum Herzen einer antiken germanischen Hochkultur, einer arischen Hochkultur verklärt. Vielerorts prangten Plakate der Nazis, sie marschierten durch die Straßen und brachten auch ein bis dahin eher unbekanntes Phänomen nach Lippe: organisierte, politische Gewalt. Trotz des großen Aufwandes, die NS-Ideologie in die lippische Kultur einzubetten, spielte der Freistaat selbst bloß eine geringe Rolle bei den Nazis: Ihr Wahlkampf bezog sich vor allem auf die Nationalpolitik und die eigene Weltanschauung, besonders der Kampf gegen den Sozialismus und dessen, so die Nazis, Wegbereiter, die Sozialdemokraten, waren Thema. Auf diesem Wege wollten sie der SPD, welche seit 1919 ununterbrochen in Lippe regierte, die Anerkennung in der Bevölkerung nehmen.

Tatsächlich gewannen die Nazis „ihre Varusschlacht“ am 15. Januar 1933. Die NSDAP wurde mit 39.100 Stimmen die Stärkste Kraft in Lippe, erzielte 39,5 Prozent. Auf die Nazis folgte die SPD, mit 30,1 Prozent, einem Stimmverlust von 8,9 Prozent. Unter Einbezug der für damalige Zeiten eher gemäßigten, nationalliberalen Partei DVP wählte die Hälfte der Bürger Lippes eine nationalistische Partei, welche die Demokratie in irgendeiner Weise abschaffen wollte. Die Wahl in Lippe verhalf der NSDAP zu dem bald folgendem Machtübergang auf Adolf Hitler. Zwar gab es wichtigere Faktoren, doch erhöhte der große Wahlerfolg der NSDAP in Lippe den Druck auf den damaligen Reichskanzler Kurt von Schleicher, der ohnehin unter prekären Verhältnissen regierte. Von Schleicher legte schließlich am 28. Januar 1933 sein Amt nieder, den Posten des Reichskanzlers übernahm folgend Adolf Hitler. Somit endete die Geschichte der jungen deutschen Demokratie mit der Wahl in Lippe, die Schreckenszeit der Nationalsozialisten stand vor der Tür. (tnw)