Detmold. Rings von den Wänden blicken mit gestrengem Blick Reihen von Gesichtern auf den Besucher herab: Nicht nur im Ahnensaal des Fürstlichen Residenzschlosses Detmold repräsentieren die Porträts der lippischen Edelherren, Grafen und Fürsten mehrere hundert Jahre lippischer Geschichte und gewähren aus opulenten goldenen Rahmen heraus einen Einblick in längst vergangene Zeiten. Erstmals beurkundet wurde die Herrschaft der lippischen Herren im 12. Jahrhundert – genauer gesagt im Jahre 1123 mit den Brüdern Bernhard und Hermann zur Lippia.
LWZ: Während Ottonormalbürger für gewöhnlich vielleicht gerade mal das Bild seines Urgroßvaters von vor zwei Generationen kennt, sind es bei Ihnen, Prinz Stephan, neun Jahrhunderte Familiengeschichte, die dokumentiert sind. Wie fühlt sich das an: ein Leben mit 900 Jahren Familiengeschichte?
Prinz Stephan zur Lippe: Am Anfang bin ich der Geschichte ganz unbefangen entgegengetreten und habe sie wie einen durchsichtigen Vorhang wahrgenommen. Im Laufe meines Lebens habe ich mich dann punktuell mit einzelnen Themen beschäftigt, wie zum Beispiel dem Mittelalter, der Reformation, der napoleonischen Zeit oder der Revolution. Auf diese Weise hat sich langsam ein engmaschiges Netz gebildet, und aus dem durchsichtigen Vorhang ist ein transparentes Bild geworden. Aus diesem Bild lassen sich für mich viele Fragen der Gegenwart und der Zukunft beantworten.
LWZ: Was ist übrig geblieben von den mal mehr, mal weniger glanzvollen Zeiten?
Prinz Stephan zur Lippe: Die Zeiten waren rau und auch für adelige Herrschaftshäuser stand die Existenz im Laufe der Geschichte oft auf der Kippe. Richtig glanzvolle Zeiten gab es eher wenige, die man dann aber als Eckpunkte der lippischen Geschichte betrachten kann. Ich würde dazu Bernhard II. mit dem Bau der Falkenburg, Simon VI. und die Reformation sowie Fürstin Pauline und ihr Wirken in der napoleonischen Zeit zählen. Übrig geblieben ist ein kostbarer Erfahrungsschatz, der sich in Archiven und Bibliotheken wiederfindet, die heutzutage für jeden Interessierten zugänglich sind. Übrig geblieben sind natürlich auch die lippischen Schlösser, die zum Teil von herausragenden Baumeistern der Renaissance gebaut wurden und mit ihrem Inventar ebenfalls wichtige Zeugen der Zeit sind.
LWZ: Haben Sie einen Lieblingsvorfahren? Einen Ururururgroßvater, den Sie besonders mögen? Oder eine Ururururgroßmutter, mit der Sie spezielle Vorstellungen verbinden?
Prinz Stephan zur Lippe: Diese Frage wird mir häufig gestellt, und sie fällt mir schwer zu beantworten. Ich habe mir jetzt einmal Bernhard VII. herausgepickt, der von 1428 bis 1511 lebte. Er gehört nicht zu den großen Eckpfeilern unserer Familie, die ich eben genannt habe. Man kann ihn aber als den letzten „lippischen Ritter“ bezeichnen. Er war der erste, der das Detmolder Schloss zu seinem ständigen Wohnsitz gemacht hat, und er trug den Titel eines Marschalls von Westfalen, hatte also in der Region eine herausragende politische Bedeutung. In seinem Leben hat er viele Fehden geführt, so dass er den Beinamen „Bellicosus“ (der Kriegerische) trug. Unter Kaiser Maximilian hat er sich dann aber 1495 dem ewigen Landfrieden unterworfen. Das finde ich eine faszinierende politische Leistung.
LWZ: Was würden Sie ihn fragen, wenn Sie die Gelegenheit hätten?
Prinz Stephan zur Lippe: Bernhard VII. lebte in einer völlig anderen Zeit, und es ist schwer, aus unserer Zeit heraus Fragen zu stellen. Aber ich würde ihn fragen, welchen Wert der Frieden aus seiner Sicht hat, und wie er es geschafft hat, in einem dauernden Ausgleich mit seinen Nachbarn und Widersachern zu leben.
LWZ: Seit 2015 leiten Sie die Geschicke der Familie. Zusammen mit Ihrer Gemahlin Maria, Gräfin zu Solms-Laubach, und den fünf Kindern bewohnen Sie das Residenzschloss Detmold. Ist es Ihnen schwergefallen, dieses Erbe anzutreten?
Prinz Stephan zur Lippe: Als ich die Nachfolge von meinem Vater übernommen habe, war ich bereits deutlich über 50 Jahre alt. In meinen jüngeren Jahren haben mir meine Eltern genügend Gelegenheit gegeben, mich anderweitig auszutoben und Erfahrungen zu sammeln. Das hat mir sehr gutgetan. Ich habe nicht das Gefühl, an das Erbe gefesselt zu sein und empfinde dieses daher auch nicht als schwere Bürde. Insofern ist es mir auch nicht schwergefallen, diese Rolle zu übernehmen.
LWZ: Ihr Status als Fürstenfamilie mit einer so langen Historie birgt viele Pflichten und ist mit großer Verantwortung verbunden. Wie sieht es dabei mit Möglichkeiten aus, eigene Ideen zu verwirklichen?
Prinz Stephan zur Lippe: Eigene Ideen sollte man verwirklichen, bevor man das Erbe antritt, und dann diese eigenen Ideen miteinbringen. So ist es möglich, die Verantwortung aus der Vergangenheit mit den Ideen der Zukunft zu verbinden.
LWZ: Sie engagieren sich in Vereinen, im Kirchenvorstand und in der Kommunalpolitik, Ihre Frau ist unter anderem als Vorsitzende des Ortsvereins des DRK Detmold und im Stiftungsrat einer großen diakonischen Einrichtung engagiert. Noblesse oblige …? Gehörte soziales Engagement seit eh und je im Hause derer zu Lippe dazu?
Prinz Stephan zur Lippe: Es gibt in unserem Haus eine lange Traditionslinie des sozialen Engagements. Diese Linie beginnt spätestens im 18. Jahrhundert mit Kasimire von Anhalt-Dessau, der Ehefrau von Graf Simon-August. Die Tradition setzt sich fort über Fürstin Pauline, Fürstin Elisabeth, Fürstin Sophie bis zu meiner Großmutter, Fürstin Anna, meiner Mutter und meiner Ehefrau. Ich denke aber, dieses soziale Engagement ist weder auf die weiblichen Mitglieder unserer Familie beschränkt noch Alleinstellungsmerkmal unseres Hauses, sondern findet sich in vielen adeligen Familien wieder. Es beruht auf der Erkenntnis, dass die in der Vergangenheit mit dem Adel verbundenen Privilegien irgendwie legitimiert werden müssen.
LWZ: Auch wenn es einem im Landkreis Lippe, manchmal so vorkommt, als hinge alles irgendwie mit dem Fürstenhaus zusammen, das dort über 800 Jahre lang regiert hat – Lippe ist ja nicht nur Detmold, Schloss und Ahnensaal. Woran denken Sie bei „900 Jahre Lippe“ noch?
Prinz Stephan zur Lippe: Lippe hat eine große Vielfalt an kulturellen und wirtschaftlichen Leuchttürmen. Mir fallen vorderst die Externsteine, das Hermannsdenkmal, aber auch die Ziegler und das Ziegeleimuseum in Lage ein. Das Westfälische Freilichtmuseum, das einen Blick über Lippe hinaus in Westfalen erlaubt, spielt ebenfalls eine herausragende Rolle. Schließlich sollte man die Schönheiten unserer Natur rundum den Teutoburger Wald, die Senne und das lippische Bergland nicht vergessen.
LWZ: Wo in Lippe sollte man unbedingt mal gewesen sein?
Prinz Stephan zur Lippe: Im Prinzip habe ich die Sehnsuchtsorte gerade bereits aufgezählt. Darüber hinaus sollte man auf der Adlerwarte gewesen sein, die Falkenburg erwandern und sich von den lebendigen Innenstädten von zum Beispiel Lemgo, Detmold, Bad Salzuflen oder Horn-Bad Meinberg verzaubern lassen.
LWZ: Ihr Lieblingsplatz?
Prinz Stephan zur Lippe: Mein Lieblingsplatz ist ein uralter Baum im Teutoburger Wald, den schon mein Vater und mein Großvater geliebt haben, dessen Standort ich Ihnen aber nicht verrate. Danach folgen sicherlich das Detmolder Schloss und die Falkenburg.
LWZ: Prinz Stephan, wir danken für das Gespräch.
Die Fragen stellte Redakteurin Karen Hansmeier.
- Redaktion
- Kontakt
Recherchieren, interviewen, berichten – dafür brennt Karen Hansmeier. Für Wörter. Für Sätze. Für Sprache. Für Inhalte. Fundiert und verständlich. Prägnant und feinfühlig. Sachlich oder emotional. Passgenaue, aber darum nicht minder schöne Formulierungen und wertige Layouts sind ihr Ding – sei es online „geklickt“ und „gewischt“ oder Seite für Seite per Hand geblättert. Insbesondere das Berichten über „Kultur“ in ihren vielfältigen Erscheinungsformen sowie die Begegnungen mit „Land und Leuten“ sind die Aspekte ihres Berufs, die ihr das Herz aufgehen lassen.