Angedacht: Lebensenergie

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Yasmin Zimmermann, Pfarrerin in der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde St. Pauli Lemgo. Fotorechte: Yasmin Zimmermann

Ein Artist jongliert mit Bällen. Es werden immer mehr. Kunstvoll wandern die Bälle von einer Hand zur anderen und sie fliegen durch die Luft. Seine Tätigkeit wirkt leicht und sein fröhliches Gesicht überträgt sich auf die Zuschauer.

Es gibt Dinge im Leben, die von außen wunderbar leicht wirken, es in Wirklichkeit aber nicht sind. Der Artist steckt viel Energie in sein Training. Beim Auftritt erhält er ein wenig Energie durch den Applaus und die Freude der Zuschauer zurück. Das ist vergleichbar mit dem Energiehaushalt des Lebensalltags.

Im Leben gibt es Tätigkeiten, die Energie rauben und andere, die Energie liefern. Manche Energiefresser können nicht umgangen werden: Tätigkeiten, die zum Leben dazugehören und im Moment als anstrengend und kräftezehrend empfunden werden.

Daneben gibt es Tätigkeiten, die Energie liefern. Je nach Charakter und Vorliebe der Menschen sehen diese Quellen unterschiedlich aus.

Manche blühen in Gemeinschaft von anderen Menschen auf, andere lesen lieber zu Hause ein spannendes Buch oder hören Musik, wieder andere bewegen sich in der Natur oder gezielt beim Fitnesstraining, andere schöpfen aus ihrem Beruf Kraft, wieder andere besuchen Kunstaufführungen oder ein Restaurant. Die Liste könnte noch ergänzt werden.

Für viele Christen ist der Glaube die wichtigste Energiequelle, die allen anderen Quellen zugrunde liegt. Darum ist es für Christen wichtig, den Glauben zu leben und ihrer Verbindung zu dieser Quelle einen vielfältigen Ausdruck zu geben. Dies ist mit ein Grund dafür, wieso es so viele verschiedene christliche Kirchen und Gemeinschaften gibt.

Die Formen der Verbindung zur Quelle laufen zum Beispiel über Gebet, Meditation, Lobpreis, Gemeinschaft oder eine Gottesdienstfeier. Der christliche Glaube gibt Halt, lässt den Glaubenden Situationen in einem anderen Licht wahrnehmen und hilft bei Herausforderungen eine andere Sichtweise einzunehmen.

Er verspricht Energie, die befreit und zum Leben führt. Oft wird der christliche Glaube als einengende Moralvorstellung oder als Energiefresser bezeichnet, wegen all den Dingen, die eingeschränkt werden.

Doch die Moralvorstellungen helfen, wie beim Artisten die Schwerkraft beim Jonglieren. Es sind Richtlinien, der gegenseitigen Achtung und der Liebe für Gott und den Nächsten, die Energie für das Zusammenleben freisetzen, Liebe und Leben fördern.

Es gibt verschiedene Energiequellen für die Lebensenergie. Einige liegen einem nah und andere fern, einige erschließen sich von allein und zur Erschließung anderer braucht es Hilfe.

Wichtig ist, dass wenn dem Artisten einmal ein Ball hinunterfällt, sein Jonglieren aus dem Gleichgewicht kommt, er einen Neuanfang wagt.

Denn das gehört im Umgang mit Lebensenergie dazu, sie kann nicht festgehalten werden, sie bewegt sich durch das Leben hindurch in Form von Verbrauch und Erneuerung. Da, wo Lebensenergie fließt, soll sie nicht gestoppt werden.

Wenn das Gefühl der Leere kommt, ist es möglich, zu einer Quelle zu gehen, um neu durchströmt zu werden und wieder Kraft zu schöpfen.