In einem Magazin, das sich vorwiegend an Studentinnen und Studenten richtet, las ich kürzlich von einer Erfindung des Schweitzer Künstlers und Werbetexters Jean-Remy von Matt: der „Carpe Vitam Clock“ („Nutze-das-Leben-Uhr“).
Er selbst schreibt dazu: „An einem einsamen Geburtstag stellte ich mir die Frage: Warum zählen wir eigentlich die Jahre, die hinter uns liegen – viel spannender ist doch, was vor uns liegt? Auf einer Milchtüte interessiert uns nicht, wann sie hergestellt wurde, sondern wie lange sie noch frisch bleibt.
Und von der Tankanzeige wollen wir nicht wissen, wie weit wir gefahren sind, sondern wie weit es noch reicht. Also baute ich eine Uhr, die mir permanent vor Augen hält, wie lange ich noch lebe – in Sekunden, sodass sichtbar wird, wie meine Zeit verrinnt.“
Die „Carpe Vitam Clock“ wird auf die durchschnittliche weitere Lebenszeit des jeweiligen Käufers eingestellt und zählt nun die Zeit in Sekunden ab. Hat man irgendwann tatsächlich die Null erreicht, dann erscheint auf dem Display die Frage „Still alive?“ („Lebst du noch?“) und danach „It’s a gift!“ („Es ist ein Geschenk!“).
Ist das nun eine eher schräge Idee des auch sonst oft provozierenden Künstlers? Ich selbst würde mir eine solche Uhr nicht ins Zimmer stellen wollen, aber die Idee, die hinter dieser Uhr steckt, hat mich doch beeindruckt.
Sie konfrontiert mich unmissverständlich mit der eigenen Vergänglichkeit und mit der Frage, was ich denn mit der mir verbleibenden Zeit, deren Spanne niemand kennt, mache. Welchen Sinn ich meinem Leben gebe, mit dem, was ich täglich tue oder was ich alles eben auch nicht tue – weil die Dauer des Lebens selbst ja noch kein Lebenssinn ist.
„Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben. Sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen“, so vor vielen Jahrhunderten der Philosoph Seneca. In der Bibel, im Buch der Psalmen, ist diese Erkenntnis der eigenen Endlichkeit so zum Ausdruck gebracht: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.“
Also die eigene verbleibende Lebenszeit so nutzen und gestalten, dass sie nicht einfach belanglos verstreicht, sondern meinem Leben Sinn und Halt gibt und ich von einem erfüllten Leben sprechen kann – nicht nur im Rückblick, sondern auch im Blick auf die Zeit vor mir.
Sie lesen diese Glosse am Tag zwischen Karfreitag und Ostersonntag. Ein stiller Tag, um sich einmal Zeit zu nehmen, sich selbst zu fragen, welches tragfähige Fundament mein Leben hat und mit welcher Hoffnung ich nach vorn auf mein Leben schaue.
Gut, wieder für sich zu entdecken: „It’s a gift!“ – „Es ist ein Geschenk!“ Ein Gottesgeschenk!
Übrigens: 1.000 Euro spendet der Künstler von jeder verkauften Uhr einem Hilfsprojekt im Tschad, dem Land mit der weltweit niedrigsten Lebenserwartung. Damit dort in Zukunft die Lebensuhren eine längere Laufzeit haben können.
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Bereits zu Schulzeiten entdeckte Yves Brummel seine Leidenschaft für Journalismus, die er während seiner knapp neunjährigen Tätigkeit als Freier Mitarbeiter in der Lokalsportredaktion des Westfalen-Blatts in Gütersloh vertiefen durfte. Nach Stationen unter anderem in den Medienabteilungen von Arminia Bielefeld und Dr. Kurt Wolff sowie in der Sportkommunikation der Arvato-Medienfabrik landete er nach Abschluss seines Masterstudiums im Bereich Journalismus und Medienkommunikation als Freier Redakteur bei Lippe aktuell. Zudem war der gebürtige Gütersloher zu dieser Zeit für den Postillon in Lage tätig. Seit 2023 ist er Freier Redakteur bei der LWZ und schreibt für das Westfalen-Blatt in Schloß Holte-Stukenbrock.