Angedacht: Klitzeklein, ein echtes Wunder

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Pastorin Sabine Hartung. Fotorechte: Sabine Hartung

Religionsunterricht in Klasse zwei. Zum Osterfest 2022 hatten die Kinder zwei griechische Buchstaben kennengelernt: Alpha und Omega, Anfang und Ende. Im vergangenen Jahr haben wir miteinander die Geschichten vom Ende und vom Anfang des Lebens Jesu erlebt.

Nach den Weihnachtsferien war es an der Zeit, uns gemeinsam an die Geschichten zu erinnern. Es war verblüffend. Die Kinder erinnerten sich an alles. Und sie fanden heraus: Vom Anfang und vom Ende des Lebens Jesu kennen wir ganz viele Geschichten. Und auch von seiner Auferstehung.

Aber darüber, was Jesus zwischen seiner Geburt und seinem Tod so alles sagte, tat und erlebte, darüber wissen wir eigentlich fast nichts. Und so hörten die Kinder bis zu den Osterferien in jeder Stunde eine Jesusgeschichte.

In der letzten Stunde vor den Ferien fragte ich die Kinder: „Wie kommt das denn eigentlich, dass wir heute von all diesen Geschichten wissen? Als Jesus lebte, gab es keine Handys, keine Bücher und Briefe, kein Internet, keine großen Straßen, keine Autos, keine Flugzeuge und keine Schiffe mit Motoren.

Trotzdem haben sich die Geschichten in der ganzen Welt verbreitet.“ Ein pfiffiger Junge äußert seine Idee prompt: „Die Geschichten wurden erzählt. Das war damals ganz schön schwierig und anstrengend. Die Geschichten hätten jederzeit irgendwo steckenbleiben können. Dann hätten wir nie von ihnen erfahren. Das ist aber nicht passiert. Das ist wie ein Wunder!“

Es ist still. Nein, die Welt war nicht immer so, wie wir sie heute kennen. Und dass sich in eben dieser Welt von damals eine Botschaft ausbreitete, die zunächst als getötet, zerquetscht und zermahlen galt, scheint die Kinder zu beeindrucken. Sie denken nach.

Dann sagt ein zartes Mädchen: „Es fing klitzeklein an. Mit den Frauen am Grab. Sie haben als erste weitererzählt, dass Jesus lebt mit seiner Liebe und mit seiner Kraft.“ Es fing klitzeklein an. So klein wie die Weizenkörner, die seit einiger Zeit auf dem Tisch in unserer Mitte darauf warten, in einem Korb mit schwarzer Erde eingesät zu werden.

Nun ist es so weit. Sehr sorgfältig, beinahe feierlich stecken die Kinder die Körner in die Erde. Gemeinsam sprechen wir dazu uralte Worte: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, dann bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“ (Johannes 12,24)

Ich schaue auf die kleinen Menschenkinder um mich herum. Und denke: „Auch in Euch fängt es ganz klein an. Jede Geschichte ist wie ein Weizenkorn, gesät in Eure Herzen.

Möge in Euch keimen, aufgehen und wachsen, was Euch stark macht und hoffnungsvoll, mutig, widerständig, beherzt, großherzig, offen und menschenfreundlich. Der Lebendige selbst behüte und stärke Euch.“

Wir verabschieden uns in die Ferien. Der Korb mit der schwarzen Erde steht jetzt zuhause am Fenster. Nach den Ferien werden wir schauen, was aus unserem Weizen geworden ist. So ist es doch: In jedem noch so kleinen Anfang, hineingelegt in schwarze Erde, steckt ein kleines Ostern.

Mögen wir unsere persönlichen Anfänge nicht für gering erachten. Und seien sie noch so klein. Mögen wir sie wertschätzen und uns an ihnen erfreuen. Und seien wir mit ihnen noch so unverstanden. Mögen wir in ihnen den Lebendigen selbst am Werk sehen, mit derselben Kraft und Liebe, mit der damals alles begann.