Angedacht: Hoffnung im Scherbenhaufen

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Yasmin Zimmermann, Pfarrerin in der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde St. Pauli Lemgo. Fotorechte: Yasmin Zimmermann

Gibt es das? Wie passt Hoffnung zum Scherbenhaufen?

Auf den ersten Blick gar nicht, denn der Scherbenhaufen ist ein Zeichen dafür, dass etwas zerbrochen ist. Der Scherbenhaufen zeigt, dass vielleicht lieb gewonnenes nicht mehr trägt, dass nichts mehr ganz ist, dass eine große Veränderung ansteht und dass aufgeräumt werden müsste.

Das Stehen vor dem Scherbenhaufen des Lebens ist eine belastende Erfahrung. Diese Erfahrung kann Trauer, Wut und Stillstand auslösen. So ziemlich genau das Gegenteil von Hoffnung. Denn mit Hoffnung werden Neuanfänge und gute Wendungen verbunden. Hoffnung stärkt den Lebensmut und gibt Kraft für den Alltag sowie für herausfordernde Situationen. Die Hoffnung passt eigentlich nicht zum Scherbenhaufen.

Beim genauen Hinschauen können vielleicht am Rand des Scherbenhaufens und während des Aufräumens Spuren der Hoffnung entdeckt werden. Doch das dauert seine Zeit und ist ein anstrengender Prozess. Die momentane Lage könnte als ein Stehen vor einem überdimensionalen Scherbenhaufen bezeichnet werden. Eine Krise folgt auf die nächste und viele Menschen stoßen an Belastungsgrenzen. Es stecken alle drin, Sie sind mehr oder weniger betroffen und alle müssen einen Weg finden, damit umzugehen.

Die Situation zwischen dem Kreuz und der Auferstehung könnte für die Jünger, die Nachfolger Jesus, so ähnlich gewesen sein. Niedergeschlagen stehen sie vor einem riesigen Scherbenhaufen. Jesus, ihr Lehrer, den sie als Befreier und neuen König gefeiert haben. Er wurde verhaftet, verurteilt und hingerichtet.

Der Traum der Jünger von einem neuen Königreich, das unter ihnen verwirklicht wird und das Ende der Herrschaft der Römer bedeuten würde, ist zerplatzt. Der Traum von Unabhängigkeit ist am Kreuz gestorben. Die Herrschaft der Römer in Jerusalem geht weiter.

Die Jünger ziehen sich zurück und sondern sich von der Welt ab. Bis die Frauen einen letzten Liebesdienst am Körper von Jesus im Grab tun wollen. Wie es damals üblich war, wollen sie den Leichnam salben. Doch der Stein vor dem Grab ist weg und anstelle des Toten finden sie das leere Grab und eine Gestalt, die sie tröstet.

Vor dem riesigen Scherbenhaufen gehen ihnen die Augen auf. Es werden ihnen die Augen geöffnet. Sie müssen zurück an den Anfang, zurück in den Alltag, doch als Veränderte, als Hoffnungsträger, als Auferstandene mitten im Leben.

Ostern erinnert daran, dass der Scherbenhaufen nicht zuerst weggeräumt sein muss, sondern dass der Gott der Liebe und Hoffnung zum Scherbenhaufen kommt. Der Gott der Liebe und Hoffnung räumt den größten Scherben, den Tod, weg.

Sein Kommen verändert unsere Sicht hin zur Hoffnung, dass das Reich Gottes in Liebe und Barmherzigkeit Gestalt annimmt. Dies geschieht auch im Alltag: im Sprießen der Pflanzen im Frühling, im geschenkten Neuanfang, in Vergebung und gelebter Liebe. Es gibt Hoffnung im Scherbenhaufen, besonders nach Ostern.