Teil 4: Eine Reise ins Land der Riesen – Interview mit einer Einheimischen

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Sophia und Ava (von links) mit Meeresschildkröten. Foto: Dennis Mattern

Horn-Bad Meinberg-Leopoldstal/Honiara. LWZ-Redakteur Dennis Mattern ist mit seiner Familie am 23. Mai zu einer außergewöhnlichen Reise aufgebrochen. Sie wollen zu den Salomonen reisen, einer Inselkette nordöstlich von Australien. Dort haben sie eine Verabredung mit einem Naturvolk auf der Hauptinsel Guadalcanal. Sie wollen herausfinden, ob an den vielen Geschichten auf der Insel über vermeintlich heute noch lebende Riesen etwas dran ist. Nach einer aufregenden Anreise ist die Familie mittlerweile auf den Salomonen angekommen. In einer E-Mail an die Redaktion schildert Dennis, wie die vergangenen Tage auf der Inselgruppe im Südpazifik verlaufen sind.

Wir haben es geschafft. Nach circa drei Wochen Reisezeit sind wir auf der Hauptinsel Guadalcanal auf den Salomonen angekommen. In den ersten Tagen hieß es zunächst einmal: ankommen. Das rund 5.000 Quadratmeter große Grundstück von Alistairs Familie liegt direkt am Meer und bietet uns dazu ausreichend Platz.

Wir fühlen uns wie in einer anderen Welt und stellen schnell fest: Das Klima, die Mentalität der Menschen und auch das Essen, alles braucht etwas Eingewöhnungszeit. Wir erkennen viel Herzlichkeit und Zusammenhalt der Menschen in der Region.

Ich habe das Gefühl, irgendwie ist hier jeder mit jedem verwandt oder steht sich in irgendeiner Form nahe. Es gibt in der Landessprache kein Wort für „Danke“, denn jede freundliche Geste setzt eine neue Geste voraus, die nicht zwangsläufig zurück an den Geber gehen muss. Das Leben scheint mit etwas Solarstrom für die Innenbeleuchtung nachts und Brunnenwasser einfach gestrickt – mehr braucht es kaum.

Gekocht wird mit Gas oder am Feuer. Nachts klingt das Wellenrauschen des Meeres ohne verglaste Fenster entspannend und wohltuend, starke Winde hingegen sind nur bedingt einzudämmen. Das Leben wirkt neben der Einfachheit stressfreier, denn Zeit spielt eher eine untergeordnete Rolle.

Die Rede ist von der sogenannten „Island Time“, die keine genaue Uhrzeit kennt und individuell gestaltet wird. So gibt es beispielsweise keine festen Zeiten für den Bus. Man wartet einfach so lange an der Straße, bis der nächste Bus mit ausreichend Platz anhält.

Alistair und seine Frau Kuvien haben insgesamt vier Kinder, eines davon ist bereits für sein Studium ausgezogen. Es ist nicht unüblich, dass auch phasenweise Verwandte für längere Aufenthalte bleiben, je nachdem wo gerade jemand für die alltäglichen Aufgaben gebraucht wird oder auch die Kinder aktuell am besten aufgehoben sind.

So leben derzeit gleich mehrere Verwandte gemeinschaftlich mit auf dem Grundstück der Familie. An einem so schönen Ort, mit eigenen Palmen und Hängematten am Strand sowie Korallen und bunten Fischen im Meer lässt es sich bestimmt gut leben, denke ich mir.

In der Nähe des Strandes steht außerdem eine große grüne Wanne, befüllt mit Wasser und darin kleinen Meeresschildkröten. Ich bekomme erklärt, dass die Tiere zweimal im Jahr hierher an die Küste zur Eiablage kommen.

Gastgeber Alistair und Kuvien mit Sophia in der Mitte. Foto: Dennis Mattern

Da es viele Schildkrötenbabys nicht rechtzeitig bis ins Meer schaffen und dort geringe Überlebenschancen haben, werden einige von ihnen von Alistair und Kuvien im Becken großgezogen und erst bei entsprechender Größe ausgewildert. Das Aufziehen der Jünglinge und der Schutz der Korallenbänke vor Muscheldieben ist ihr Beitrag zum Erhalt des natürlichen Gleichgewichts vor Ort.

Nach den ersten Tagen der Eingewöhnung und des Kennenlernens der Familien entsteht ein Gespräch mit Kuvien an der Hängematte über die Existenz der Riesen. Ihre klaren Worte dazu überraschen und faszinieren mich zugleich.

Da es eines meiner Hauptziele dieser Reise ist, eine Dokumentation über die vermeintlich heute noch lebenden Riesen der Salomonen zu drehen und damit mehr Licht ins Dunkel zu bringen, frage ich sie nach einem Interview – mit Erfolg! Sie war bereits damals für die World Trade Organization in die Schweiz gereist und hatte in diesem Zusammenhang ebenfalls ein Interview gegeben – für sie also kein Debüt, erfahre ich kurz vor der Aufnahme.

So entsteht die erste Aufzeichnung über fast 20 Minuten, in der die Frau aus den Bergen mir von ihrer Kindheit im Zentrum der Insel erzählt. Dort gibt es eine besonders hohe Informationsdichte über Begegnungen mit den humanoiden Giganten zwischen drei und sechs Metern. So erzählt sie mir über ihren verstorbenen Großvater, der für ihren Stamm eine auserwählte Kontaktperson gewesen sei.

Wann immer es etwas zwischen Riesen und Menschen zu besprechen gab, war er der Mittelsmann. So war es nicht selten, dass sie und ihre Geschwister im Haus bleiben mussten, da der große Mann aus den Bergen in der Nähe war. Anhand des Verhaltens der Insekten konnten sie seine starke Präsenz wahrnehmen.

Auch das Rascheln der Baumkronen war ein typisches Merkmal dafür. Der Großvater ging dann immer allein hinaus. Als Kind habe ihr das zunächst Angst gemacht. Und obwohl sie beim Nüssesuchen im Dschungel häufig an Plätzen von Riesen vorbeikamen, die aufgrund der hinterbliebenen Nussschalen und Riesenschnecken kurze Zeit zuvor da gewesen sein mussten, habe sie nie einen Riesen selbst sehen dürfen. Dies ist nach alter Tradition nur bestimmten Menschen vorbehalten.

Jeder Stamm hat noch bis heute einen Mittelsmann für die Kommunikation beider Spezies. Weiter erzählt sie von ihrem Vater, der für die Regierung gearbeitet hat. Er war einer der wenigen Menschen, die in den unterirdischen Tunneln gewesen sind. Diese Behauptung hatte ich bereits zuvor recherchiert.

Demnach gibt es ein großes Tunnelnetz unterhalb der Erdoberfläche der Inseln, dessen Wege zu mindestens einer großen Stadt der Riesen führen soll, die sich im Zentrum der Insel unterhalb des Berges Tatuve befinden soll. Dieser Berg ist auch ein spiritueller Kraftort für die Einheimischen, wie für viele Menschen bei uns die Externsteine.

Zwar hat Kuvien auch von der Stadt der Riesen unter dem Berg gehört und hält es für grundsätzlich möglich, könne dies jedoch anders als die Tunnelsysteme aus erster Hand nicht bestätigen.

Es folgen weitere Geschichten und Erfahrungsberichte über die Riesen und sie betont nicht nur einmal ihre Existenz auf den Salomonen. Ich erfahre weiter, dass im Zuge der Christianisierung die Verbindung zu den Riesen stetig abgenommen habe, da die Christen die alten Traditionen ablehnen und als abergläubisches Heidentum abtun.

In einigen abgelegenen Regionen wie in Kuma an der Südküste, wo die Missionare der Kirche noch nicht ihren Glauben vollends errichten konnten, bildeten sich Gegenbewegungen zum Erhalt der alten Werte. Die Kamera läuft und ich höre ihnen Worten gespannt zu.

Wow – das erste Interview hat mich stark beeindruckt. Mit welcher Selbstverständlichkeit Kuvien ihre Erfahrungsberichte mit mir teilt, an der unsere westliche Vorstellungskraft und dessen Akzeptanz nur allzu schnell scheitert. Ich bin beflügelt für unsere final geplante Weiterreise nach Kuma, wo wir dank Alistair mit einem noch nach der alten Tradition lebenden Stamm verabredet sind. Doch dann kommt alles anders.

Als die Abreise dorthin bevorsteht, hat sich bei meiner Frau ein Moskitostich bösartig entwickelt. Der Fußrücken ist angeschwollen und gerötet. Die Einstichstelle hat sich zu einer offenen Wunde geweitet, eitert und schmerzt bei jeglicher Belastung. Kein falscher Ehrgeiz, so kurz vor dem Ziel, denn meine Frau kann nur noch schwer mit Stock gehen. Ein Besuch in einer kleineren Klinik zieht eine direkte Überweisung in das Hospital von Honiara nach sich. Dort wird Anne behandelt und striktes Hochlegen attestiert.

Nun sind die Würfel gefallen. Am Ende der vier Wochen Urlaubszeit sind wir so nah dran wie nie und können die gewünschte Expedition zu den Höhlen der Riesen nach Kuma nicht machen. Auch die Rückflüge müssen storniert werden. Wir sind lahmgelegt. Jetzt heißt es erstmal: Abwarten und Fuß hochlegen.