Angedacht: Sehnsucht nach Meer

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Yasmin Zimmermann, Pfarrerin in der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde St. Pauli Lemgo. Fotorechte: Yasmin Zimmermann

Der Wind bläst, die Sonne blickt hin und wieder zwischen der Wolkendecke hervor. Leise schlagen Wellen ans Ufer. Ein paar Kinder spielen im seichten Wasser. Am Strand werden Sandburgen gebaut. Einige Menschen gehen spazieren, sie bücken sich immer wieder, um einen Muschelschatz aufzuheben.

Ein Junge versucht, mit seinem Vater einen Drachen steigen zu lassen, doch es gibt zu wenig Wind. In Grüppchen sitzen Menschen im Sand bei einer Strandmuschel oder zu zweit im Strandkorb. Das Schreien der Möwen ist zu hören.

Zu den Urlaubszeiten kommt sie bei mir jeweils hoch, die Sehnsucht nach Meer. Genau genommen im Wechsel mit der Sehnsucht nach den Bergen. Es ist der Wunsch nach der Weite und Offenheit der Meerlandschaft. Bei den Bergen ist es der Wunsch nach Weitblick und Übersicht nach erklommener Höhe. Wenn ich etwas länger nachdenke, dann ist mit dieser Sehnsucht nicht nur ein bestimmter Landschaftstypus verbunden, sondern es ist eine Sehnsucht nach „mehr“.

Nicht zwingend nach Meer mit zwei e, sondern die Sehnsucht nach etwas anderem als dem Alltäglichen. Wobei bereits da die Frage gestellt werden kann: Was ist das Alltägliche am Pfarrberuf? Zumindest für mich ist es ein unglaublich abwechslungsreicher Beruf. Doch zurück zur Sehnsucht nach Meer oder mehr: Es ist ein tief im Menschen verwurzelter Wunsch nach unterschiedlichen Beschäftigungen, nach Abwechslung, vielleicht nach erfüllter Zeit.

Der Wunsch nach Gemeinschaft und Rückzugsmöglichkeit, der Wunsch nach Aktivität und Passivität, die Sehnsucht danach, dass nach einer schweren Zeit wieder leichtere Zeiten kommen und der Wunsch nach Geborgenheit und Angenommensein.

Diese Sehnsucht im Menschen beschreibt der Prediger, der Philosoph der Bibel, der sich viele Gedanken zum Menschsein, den verschiedenen Zeiten und dem Leben macht, so:
„Gott hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.“  (Prediger 3,11)

Für den Prediger gehört zu dieser Sehnsucht auch die Ewigkeit dazu. Diese Sehnsucht hat Gott den Menschen ins Herz gelegt.
Ich sitze am Schreibtisch, schaue hinaus ins Grüne. Der Gedanke des Predigers gefällt mir: Gott hat dem Menschen die Sehnsucht geschenkt und dazu noch die vielen verschiedenen Möglichkeiten, mit der Zeit umzugehen. Ich wünsche Ihnen Zeit für die Sehnsucht nach „mehr“.