Kreis Lippe/Lemgo-Lieme/Frankfurt am Main. Im Jahr 2004 startete in Frankfurt am Main ein besonderes Vorhaben, das „Dom-Römer-Projekt“. Während des Zweiten Weltkrieges, genauer im März 1944, wurde nicht nur das Vorzeigeobjekt der Frankfurter Altstadt, die „Goldene Waage“, sondern auch die restlichen Gebäude dem Erdboden gleich gemacht.
Daher wurde der Plan gefasst auf dem riesigen Areal von 7.000 Quadratmetern ein Stadthaus und 35 Altstadthäuser, darunter 15 schöpferische Nachbauten wie die „Goldene Waage“ oder der „Hof zum Rebstock“ neu entstehen zu lassen.
Die Grundsteinlegung für das Gesamtprojekt fand im Januar 2012 statt, womit auch der Startschuss fiel, dem Platz rund um den Frankfurter Römer ein besonderes Lebensgefühl zurückzugeben. An diesem Millionenauftrag beteiligte sich auch die auf Altbau spezialisierte Liemer Firma „Kramp & Kramp“, die für die Rekonstruktion der beiden Fachwerkhäuser knapp fünf Jahre federführend zuständig war.
Seit der Auftragsvergabe nach Lieme wurde dort ab April 2014 fleißig geplant und die Vorbereitungen für die Rekonstruktion, besonders die der „Goldenen Waage“, getroffen. Das Gebäude, das von 1618 bis 1621 durch den Glaubensflüchtling und vermögenden niederländischen Gewürzhändler und Zuckerbäcker Abraham van Hamel(n) und seiner Frau Anna van Litt entstand, hatte einen rund fünf Meter hohen Sandsteinsockel, der zwei Fachwerkgeschosse trug.
Im Erdgeschoss war eine Kontorhalle und in den beiden Obergeschossen befanden sich die prunkvollen und teilweise mit Stuckdecken verzierten Wohnräume. Durch eine steinerne Wendeltruppe konnten die Geschosse und das Dach des Hinterhauses betreten werden. Dort befand sich eine Dachterrasse mit Belvederchen und Brunnenhaus.
Das Besondere war dabei aber die Fassade, die sich durch zahlreiche ornamentale Details hervorhob. Menschliche Porträts der Eigentümer über dem Eingang oder Tierköpfe sah man am Sandsteinsockel, und der Eckkragenstein an der Hausecke zeigte einen Atlanten. Besonders verziert war zudem das Fachwerk, das, wie auch im Inneren die Türen oder die besonderen Decken, den Reichtum der Familie widerspiegelte.
Da die Quellenlage aufgrund der architektonischen und kunsthistorischen Bedeutung der „Goldenen Waage“ sehr hoch war, konnten die Restauratoren, Zimmerer und Techniker, die alle noch das historische Handwerk beherrschen, anhand von Zeichnungen, historischen Bildern und einem geschnitzten Fachwerkbalken aus Eichenholz rekonstruiert werden.
Der Balken war eine Leihgabe des Historischen Museums und konnte damals aus den Trümmern gerettet werden. Für die Wiederherstellung der beiden Obergeschosse bezogen die Mitarbeiter rund 100 Kubikmeter altes Eichenholz aus Wiederverwendung, das bei verschiedenen Händlern für historische Baustoffe in ganz Deutschland bezogen wurde.
Für alle Schnitzarbeiten an den Ständerbalken und der Fachwerkkonstruktion konnte über die gesamte Bauzeit der Dörentuper Holzbildhauer Wolfgang Koch gewonnen werden. Ihm ist zu verdanken, dass die plastischen und figürlichen Darstellungen und die aufwendigen Schnitzmuster für das Zierfachwerk, die Streben und Kopfbänder wieder im neuen Glanz erstrahlen.
Hergestellt wurde alles in Lieme sowie einer weiteren angemieteten Halle in einer Art Bausatzsystem. Dabei waren neben Holzbildhauer Wolfgang Koch noch vier weitere Mitarbeiter über die gesamte Bauzeit hinweg beschäftigt. Die Federführung übernahm der Zimmermeister und geprüfte Restaurator Maik Ebert, der alles koordinierte und das Material organisierte.
Es wurden Dach- und Holzkonstruktionen durchgeführt, Treppen, Türen mit Einlege- und Schnitzarbeiten sowie Fenster hergestellt. Die Fachwerkfassaden wie auch das Belvederchen wurden rekonstruiert und alles nach historischem Vorbild nach Frankfurt geliefert und dort fachmännisch bis zum Februar 2019 aufgebaut.
Darunter auch besondere Drechsel- und Schnitzarbeiten am benachbarten Gebäude „Hof zum Rebstock“, wo mehrere, rund 25 Meter lange Laubengänge entstanden. Geschäftsführer Guido Kramp betonte bereits damals mehrfach, dass so ein Auftrag nur einmal im Leben käme.
Vor einigen Wochen machten sich, nach vorherigen Verschiebungen aufgrund der Corona-Pandemie, rund 33 Mitarbeiter gemeinsam mit den beiden Geschäftsführern Stefanie und Guido Kramp per Reisebus auf, um bei einem Betriebsausflug in Frankfurt das Ergebnis ihrer Arbeit zu begutachten. Ebenfalls an Bord war der Holzbildhauer Wolfgang Koch.
Sie alle zeigten sich begeistert, die beiden Fachwerkgebäude endlich in der Realität bewundern zu dürfen und im Rahmen einer Führung das Innere der beiden Stockwerke der „Goldenen Waage“ zu besichtigen.
Diese Räume werden museal durch das Historische Museum Frankfurt am Main genutzt und sollen durch die dortigen Möbel, Gemälde und Gegenstände die Zeit der Familie „van Hamel(n)“ widerspiegeln. Seit 1898 war das Gebäude im Besitz der Stadt und beherbergte bereits eine Dependance des Historischen Museums. Im unteren Bereich ist nun ein Kaffeehaus mit kleiner Innen- und großer Außengastronomie eingerichtet. (al)