„Wir haben keine positive Entwicklung“: Frauenfußball in Lippe vor Belastungsprobe

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Mehr als 600 Zuschauer bejubeln den 1:0-Heimsieg des FSV Gütersloh 2009 in der zweiten Frauen-Bundesliga gegen den FC Bayern II im April 2023. Foto: Boris Kessler/FSV Gütersloh 2009

Kreis Lippe/Gütersloh. „Wir hinken dem Männerfußball um Jahre hinterher“, stellte die Bundestrainerin der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, Martina Voss-Tecklenburg, Mitte Juli fest.

Am 24. Juli startete die DFB-Auswahl gegen Marokko (6:0) siegreich in die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland und gehört nach ihrer starken Qualifikation und als Vize-Europameister mit zum Favoritenkreis. „Die WM ist so weit weg von uns – und allein die Tatsache, dass erst kurzfristig die Fernsehrechte gekauft wurden, zeigt den Stellenwert des Frauenfußballs in Deutschland“, verdeutlicht Alexander Kuschick.

Der Unternehmensberater und Sportmanager setzt sich seit mehr als 20 Jahren leidenschaftlich für den Frauenfußball ein und ist beruflich seit mehr als 15 Jahren Fußballtrainer und Sportmanager im Frauenbereich zwischen der zweiten Bundesliga und dem Amateurbereich.

Besonders bereitet ihm die Situation des Frauenfußballs im Kreis Lippe Sorgen: „Viele meiner Trainerkollegen und deren weitere aktive Unterstützer des Frauenfußballs sehen keine positive Entwicklung, wenn man sich allein die vergangenen 15 Jahre anschaut. Der Bereich Detmold/Lippe stirbt still und leise mit den Jahren.“

Alexia Putellas zählt zu den Superstars im Frauenfußball. 2021 und 2022 gewann die Spanierin den Ballon d’Or als „Weltfußballerin des Jahres“, den sie stolz den Fans des FC Barcelona präsentiert.  Von der Aufmerksamkeit, die etwa ein Lionel Messi genießt, ist sie dennoch weit entfernt. Foto: PIxabay

Der 43-Jährige erläutert: „Teilweise fehlt es an den einfachsten Dingen wie einem Konzept, etwas Werbung, einem Trainer, einheitlichen Frauentrikots oder auch nur dem Eisspray – von erfolgreicher Zusammenarbeit und Gleichberechtigung sind wir oftmals weit entfernt.“

Es fehle vor allem am Interesse der Vereine, den Frauenfußball in Lippe bekannter zu machen und voranzubringen: „Der lippische Fußball könnte so viel machen, wenn die Vorsitzenden oftmals nicht nur verwalten, sondern auch vorangehen, sich professionell beraten lassen würden und neue Mitglieder mit ihren frischen Ideen angehört und willkommen wären.

Als Sportmanager arbeite ich seit vielen Jahren im Bereich Fußball und berate diverse Vereine. Die Vereine würden nicht nur den Frauenfußball unterstützen, nein, sie stärken auch unseren Kreis und durch neue Mannschaften im Verein wachsen auch die Mitgliederzahlen. Jeder Verein würde sich doch über wachsende Mitgliederzahlen nach der langen Corona-Phase freuen, oder?“.

Werden die Probleme öffentlich angesprochen, hörten die Leute meist zwar kurz zu, verändern tue sich jedoch selten etwas. „Wenn man möchte, kann man vieles schaffen, aber wenn die Vereine sich nicht bemühen, der Kreis nicht unterstützt und keine allgemeine Pressearbeit, um den Frauenfußball zu bewerben, betrieben wird, wird sich nichts verändern“, betont er.

Die prekäre Lage sei vor allem eine Folge der Trennung von Detmold und Lemgo vor einigen Jahren: „Die beiden Kreise müssten sich im Frauenfußball wieder gegenseitig unterstützen, wie es unter anderem auch bei den Schiedsrichtern sehr gut funktioniert, diverse Schiedsrichter den Aufstieg schafften, wie ich erst kürzlich auf einer Arbeitssitzung präsentiert bekam – dadurch sind damals mehr als die Hälfte aller Mannschaften wie RSV Barntrup, BSV Blomberg, FC Lippe Detmold, TSV Sabbenhausen, TuS Leopoldshöhe und einige mehr, komplett von der Fußballbühne verschwunden“, fasst Kuschick zusammen.

„Diverse andere Vereine konnten sich noch in Spielgemeinschaften retten. Ich sage nicht, dass die Zusammenarbeit, die damals mit dem Kreis Paderborn geschlossen wurde, schlecht sei, aber die Entfernung zwischen den Vereinen sind deutlich zu groß. Um überhaupt etwas zu verbessern, müssten sich Lemgo und Detmold wieder zusammentun und Vereine entstehen, die den Frauenfußball ernst nehmen“, ergänzt er.

Vereine könnten sich gerne bei ihm in der Sportagentur professionell beraten lassen, und von den Konzepten und der Erfahrung aus mehr als 20 Jahren profitieren. Dass es auch sehr schnell, ausgesprochen positiv laufen kann, sieht man unter anderem an der Entwicklung der neuen Frauenabteilung der SG Istrup-Brüntrup, die vor zwei Jahren noch keiner auf dem Schirm hatte. Durch viel Einsatz der Verantwortlichen und einem Konzept hat der Verein heute eine Elfer-Mannschaft in der Kreisliga gemeldet, wird entsprechend professionell ausgerüstet und stark unterstützt. „Das können auch andere Vereine schaffen. Aber wir können es eben nur anbieten“, erläutert Kuschick.

Der Frauenfußball in Lippe steht vor großen Herausforderungen (Symbolbild): Foto: Pixabay

Auch Bernhard Brandt vom FLVW Lemgo berichtet: „Das Ansehen des Frauenfußballs im Allgemeinen hat sich erheblich verbessert, allerdings schlägt sich das in Lippe nicht in den Mannschaftszahlen nieder.“ Aktuell seien im Kreis Lemgo drei Bezirksligisten und vier Kreisligisten gemeldet. Es fehle in den Vereinen an ehrenamtlichen Betreuern und Trainern, auch das Freizeitverhalten der jungen Leute erschwere die Situation des Frauenfußballs in Lippe. „Aus meiner Sicht helfen nur weitere Erfolge der Nationalmannschaft, die ein Umdenken erzeugen können“, erklärt der Koordinator des Frauenfußballs und Staffelleiter der Kreisliga A Herford-Lemgo.

Diese Ansicht teilt auch Chris Punnakkattu Daniel, strategischer Berater und Leiter Medien und Kommunikation des FSV Gütersloh 2009, dessen erste Frauenmannschaft in der zweiten Bundesliga spielt: „Der Erfolg bei der Europameisterschaft, die ausverkauften Arenen sowie die sportlich attraktiven Partien haben dazu beigetragen, dass sich die öffentliche Wahrnehmung positiv verändert hat und eine Begeisterung entstanden ist.“ Diese sei auch im Ligabetrieb zu spüren und spiegle sich sowohl in den Zuschauerrekorden der abgelaufenen Saison als auch dem gestiegenen medialen Interesse wider.

Diese Entwicklung gelte es nachhaltig voranzutreiben und von der ersten bis in die untersten Spielklassen professionelle Rahmenbedingungen zu schaffen. Daniel freut sich über das gestiegene Interesse, insbesondere im Bereich der Förderung sei jedoch noch viel Luft nach oben: „Wir benötigen deutlich mehr Unterstützung durch Sponsoren und Politik.

Als etabliertes Spitzenteam der zweiten Frauen-Bundesliga ist der FSV Gütersloh aktuell die hochklassigste Fußballmannschaft in der wirtschaftsstarken Region Ostwestfalen-Lippe, dies spiegelt sich aber nicht in der Förderung wider. Es ist noch viel Arbeit zu leisten, um Rahmenbedingungen zu schaffen, die elementare Basics sind“, führt Daniel aus. Diese Voraussetzungen könnten nur geschaffen werden, wenn die Unterstützung seitens der Fans, Medien, Politik und vor allem der Wirtschaft weiter zunehme.

„Ich wünsche mir, dass der Frauenfußball nachhaltig erfolgreich ist, er die Wertschätzung erhält, die er verdient und dass Wirtschaft und Politik das unermessliche Potenzial des Frauenfußballs erkennen“, führt Daniel an. „Die Spielerinnen sollten nicht nebenbei noch arbeiten müssen und die Trainingsbedingungen der Sportlerinnen müssten professionalisiert werden – dafür benötigen die Vereine finanzielle Unterstützung von Sponsoren und Förderern. Wir sprechen dabei bei weitem nicht von Summen, die im Männerfußball üblich sind“, stellt er klar. (ak)