Die Spuren der Römer: Werner Thiel fordert Landesverband zum Handeln auf

186
Werner Thiel begutachtet eine der Infotafeln, die er direkt am Gelände des römischen Marschlagers Sennestadt angebracht hat. Im Hintergrund ist das Haus Neuland zu sehen. Fotorechte: Werner Thiel

Kreis Lippe/Oerlinghausen. Einen spektakulären Fund vermeldete der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) im Mai 2019: In der Oerlinghausener Senne, unmittelbar am Menkhauser Bach, gelang es, ein römisches Marschlager nachzuweisen. Weite Teile des Walls aus der Zeit des römischen Kaisers Augustus (regierte 31 vor Christus bis 14 nach Christus) sind noch heute zu erkennen. Damit ist das im Stadtteil Sennestadt gefundene Lager in Westfalen bislang einzigartig.

Bereits 2017 war das Lager, das mit einer Größe von circa 26 Hektar ungefähr 36 Fußballfeldern entspricht, durch einen ehrenamtlichen Bürger entdeckt worden. René Jansen Venneboer stammt ursprünglich aus den Niederlanden, lebt aber mittlerweile am Rhein in Deutschland. In seiner Freizeit sucht er nach Spuren der römischen Feldzüge im nordrhein-westfälischen Raum.

Auch Werner Thiel, Politikwissenschaftler aus Greven, interessiert sich seit seiner Kindheit für das Thema „Römer in Germanien“. Umso verwunderter zeigt er sich, dass rund um den Fundort in Sennestadt bis heute keine offiziellen Infotafeln des LWL hängen. Warum er deshalb das Heft des Handels selbst in die Hand nahm und was er nun vom Verband erwartet, erzählt Werner Thiel im Gespräch mit der LIPPISCHEN WOCHENZEITUNG.

LWZ: Wie sind Sie auf das römische Marschlager in der Senne aufmerksam geworden?
Werner Thiel: Das Thema „Römer in Germanien“ beschäftigt mich seit meiner Kindheit, als unsere Eltern uns nach Xanten und im Urlaub an den Limes mitnahmen. Den Ort Kalkriese und die Grabungen dort verfolge ich seit etwa 1990. Daraus entwickelte ich die Theorie, dass das römische Standlager mit fester Holz-Erde-Mauer auf dem Burgberg bei Hedemünden an der Werra, das Sommerlager des Varus im Jahr 9 nach Christus war.

LWZ: Wo sehen Sie an dieser Stelle die Verbindung zu Bielefeld-Sennestadt?
Thiel: Bielefeld und die Römer ist seit dem Fund eines Aussichtspostens an der Promenade oberhalb der Stadt ein Thema. Dieser Beobachtungspunkt könnte mit dem Marschlager in Sennestadt in Zusammenhang stehen.

LWZ: Wie sehen die historischen Hintergründe zum Wirken der Römer in OWL und speziell in Lippe aus?
Thiel: Das gesamte „Lippe-Becken“ zwischen Teutoburger Wald und Sauerland/Haarstrang war in direktem Einfluss von Rom. Bis 9 nach Christus sah Rom es als Teil seines Reiches an. Die Lippe war ein Teilstück auf dem Weg nach Osten bis an die Elbe. Somit war damals auch Oerlinghausen „römisch“. Entsprechende Funde sind deshalb wahrscheinlich. Es ist zu vermuten, dass Legionäre des Varus den heutigen Wanderweg nutzten, und sich im Gebiet von Oerlinghausen aufhielten. Diese Ausweitung des Römischen Reichs bis an die Elbe wurde allerdings mit der Niederlage gegen Arminius und seine Germanen vereitelt.

LWZ: In der berühmten Varus-Schlacht.
Thiel: Genau. Die fand allerdings nicht direkt im Teutoburger Wald, sondern am Nordrand der Wiehengebirges zwischen Minden und Ostercappeln statt. Das ist wissenschaftlich mit Tausenden Funden und Befunden belegt.

Das von Werner Thiel installierte Schild am Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen weist auf den Wanderweg zum Römerlager hin. Foto: Werner Thiel

LWZ: Wie entwickelte sich die Situation am Römerlager Sennstadt nach der Schlacht?
Thiel: In den Rachefeldzügen des Germanicus ab 12 nach Christus wurde das Römerlager Sennstadt vermutlich zu einem besonderen Ort. Es bot Platz für drei Legionen, also gut 15.000 Mann. Daher wurde es besonders gesichert, damit es mehrere Tage genutzt werden und gegen die Germanen verteidigt werden konnte. Ich vermute deshalb, dass Germanicus von Sennestadt aus, das Schlachtfeld bei Kalkriese aufgesucht hat.

LWZ: Wirklich? Zwischen den Orten liegen immerhin rund 150 Kilometer.
Thiel: Ja, einen solchen Distanzritt konnte ein trainiertes Militärpferd damals bereits schaffen: einen Tag für den Hinritt, einen Tag Aufenthalt und einen Tag für den Ritt zurück nach Sennestadt. Damit wäre Sennestadt der vom römischen Historiker Tacitus benannte Ort, von dem diese Aktion ausgeführt wurde. Tacitus schrieb circa 90 nach Christus: „Von da ging der Zug bis ans Ende des Bruktererlandes, das Gebiet zwischen Ems und Lippe wurde verwüstet, unweit des Teutoburger Waldes, in dem die Gebeine des Varus und seiner Legion unbestattet vermodern sollten. Daher erwachte in dem Cäsar (Germanicus) der Wunsch, den Truppen und ihrem Feldherrn (Varus) die letzten Ehren zu erweisen.“

LWZ: Sie waren nach seiner Entdeckung bereits mehrfach selbst am Fundort in Sennestadt, zuletzt im Mai 2023. Wie werden Wanderer und Spaziergänger dort über den Fund informiert?
Thiel: Nachdem der LWL 2019 seinen Sensationsfund am Südhang des Teutoburger Waldes in der Nähe des Hauses Neuland medial breit gestreut hatte, hat sich nichts mehr in der Öffentlichkeitsarbeit für die dort täglich vorbeikommenden Menschen getan.

LWZ: Es gibt keine Hinweise auf das Marschlager?
Thiel: Doch, aber die entsprechenden Infotafeln stammen von mir und ich habe sie auch selbst dort angebracht. Meinen letzten Besuch im Mai habe ich genutzt, um die Tafeln mit neuen Informationen zu ergänzen und die Hinweise zu pflegen. Ich war sehr erfreut, dass die drei zuvor installierten Schilder am Haus Neuland noch hingen. Vom LWL habe ich leider nicht entdecken können, keinerlei offizielle Informationen.

LWZ: Haben Sie noch weitere Orte mit entsprechenden Hinweistafeln versehen?
Thiel: Ja, eine meiner drei Tafeln habe ich mit nach Oerlinghausen genommen. Sie hängt nun am Parkplatz des Freilichtmuseums und weist auf den Wanderweg hin, der von dort zum Römerlager führt.

LWZ: Wie sehen nun Ihre Erwartungen an den LWL aus?
Thiel: Vom LWL erwarte ich, dass er endlich offizielle Tafeln mit fundierten Informationen zu den Grabungen, Ergebnissen und den historischen Hintergründen aufstellt. Der LWL hat, auch wegen seiner Museen, so etwas wie einen Bildungsauftrag für seine Erkenntnisse und wissenschaftlichen Ergebnisse. Das Haus Neuland ist übrigens sehr daran interessiert und würde bestimmt einen Raum zur Präsentation zur Verfügung stellen.

Das Gespräch führte LWZ-Redakteur Yves Brummel.