Kreis Lippe/Detmold. Noch ist Kirsten Uttendorf Operndirektorin am Staatstheater Darmstadt. Aber schon jetzt pendelt die designierte Intendantin des Landestheaters Detmold mehrmals im Monat ins Lippische. Jedes Mal dreieinhalb Stunden. Wenn es gut läuft. Es kann aber auch mal länger dauern. Ein Spagat. Nicht nur des Zeitaufwands wegen. Was Kirsten Uttendorfs Laune jedoch keinen Abbruch tut.
Denn da ist dieser unbezwingbare Tatendrang. Diese Neugier auf Neues, gepaart mit Schaffenswillen und Energie. Unübersehbar ist das begeisterte Funkeln in ihren Augen: „Ich liebe es“, entfährt es ihr spontan beim Durchqueren des Fundus’, während sie souverän durch das für Außenstehende verwirrende Labyrinth der schmalen Flure des Landestheaters navigiert.
„Ich war ja schon ein paar Mal hier“, schmunzelt sie. Und das ist ihr wichtig. „Hier zu sein“. Sich zu orientieren. Das Haus kennenzulernen. Vor allem aber die vielseitigen und kreativen Menschen, die es mit Leben füllen. In Dialog zu gehen. Lebendig. Qualitätsvoll. Selbstbewusst. Nach innen und nach außen. Brücken zu bauen zum Publikum. Und in die Region. Manches später. Wenn sie „richtig“ angekommen ist. Aber es ist ihr ein Anliegen, all das schon früh in den Blick zu nehmen.
Viel Zeit bleibt ihr nicht. Denn bereits im Sommer übernimmt Kirsten Uttendorf in Nachfolge von Georg Heckel die Intendanz und künstlerische Geschäftsführung am Landestheater. Die 1969 geborene studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaftlerin wurde im Dezember von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung der Landestheater Detmold GmbH einstimmig gewählt und tritt ihren Posten zur Spielzeit 2024/25 an.
Zuvor arbeitete sie unter anderem als Regisseurin an mehreren westfälischen Bühnen, darunter auch am Schauspiel Dortmund, den Städtischen Bühnen Münster sowie am Theater Bielefeld. Und nun also Detmold. Im LZW-Interview spricht sie über Theater im Allgemeinen sowie die Herausforderungen und Perspektiven ihres neuen Jobs in der Residenzstadt.
Lippische Wochenzeitung (LWZ): Schauspiel, Oper, Regie und jetzt Intendanz: Frau Uttendorf, Sie sind eine Theaterfrau durch und durch. Dennoch fragt sich der Laie angesichts der vielen verschiedenen Bereiche vielleicht: „Kann sie Intendanz“? Und was ist das überhaupt? Erklären Sie unseren Lesern doch kurz die Begrifflichkeiten.
Kirsten Uttendorf: Alle Begrifflichkeiten haben damit zu tun, dass mit Menschen an Geschichten gearbeitet wird, die einem Publikum in unterschiedlichen Ausdrucksformen erzählt werden. Im Schauspiel geht es überwiegend um die Interpretation eines Textes. In der Oper ist es ähnlich: Auch hier wird eine Geschichte erzählt und interpretiert. Nur, dass es ergänzend eine musikalische Struktur gibt. Die Regie beschäftigt sich mit der Handlung eines Stückes und findet einen Erzählzugriff auf dessen Stoff. Der Blick ist fokussiert auf eine Lesart. Die Regie ist der Spiegel der Agierenden auf der Bühne, um eine Tiefe und Vielfalt im Spiel zu erreichen.
Die Intendanz bringt die richtigen Menschen für gutes Arbeiten zusammen. Sie engagiert die Teams im künstlerischen Bereich und stellt den Kontakt zwischen den zahlreichen Menschen her, die am Theater arbeiten – immer mit dem Ziel, gemeinsam eine gute Aufführung auf die Beine zu stellen.
Theater kann nur mit den Erfahrungen, dem handwerklichen Geschick und der Inspiration aller Beteiligten funktionieren. Zudem baut die Intendanz Brücken zum Publikum. Sie gestaltet mit ihrem Team das Profil des Hauses und die Außenwirkung des Theaters.
LWZ: Das Landestheater Detmold ist eines der kulturellen Aushängeschilder Lippes, attraktives Vierspartentheater und die größte Reisebühne Europas. Das wird nicht nur künstlerisch, sondern angesichts sich ständig ändernder Rahmenbedingungen und schwindender finanzieller Mittel auch wirtschaftlich eine Herausforderung, oder?
Uttendorf: Ja, das wird es werden. Umso wichtiger ist es, dass wir Theaterschaffende in den Dialog mit unserem Publikum und unseren Partnern gehen, aber auch neue Publikumsschichten gewinnen. Das Landestheater hat in den zurückliegenden Jahren durch gute künstlerische Arbeit überzeugt und damit auch seine Notwendigkeit bewiesen. Das Haus muss weiter für die Stadt und die Region geöffnet werden und mit spannenden, ab und an auch kontroversen Produktionen in allen Sparten überzeugen.
LWZ: Wo sehen Sie die Aufgabe des Theaters in diesen herausfordernden Zeiten? Mit welchem Konzept werden Sie antreten?
Uttendorf: Mir ist es wichtig, Theater für eine Stadt und eine Region zu machen. Die Gesellschaft verändert sich. Wir Theaterschaffende müssen uns fragen, wie wir unser Publikum mit unserem Programm abholen, mit auf den Weg nehmen und die passenden Geschichten erzählen können. Es ist schön, dass es in Detmold ein erfolgreich gewachsenes Junges Theater gibt. In der Kindheit und Jugend wird die Grundlage für vieles gelegt – auch für die kulturelle Bildung und das soziale Verhalten. Jeder Theaterbesuch soll begeistern, prägen und emotional berühren und zum Gedankenaustausch anregen. Hier müssen wir weiter ansetzen.
LWZ: Kultur-Institutionen sind im Umbruch, Strukturen und Hierarchien wanken. Wenn man Theater klassisch als Versammlungs-Kunstform betrachtet, könnte man befürchten, virtuelle Realität, Digitalisierung und Co. schaffen das Theater ab. Ist Theater überholt? Und was könnten Möglichkeiten und Grenzen virtueller Theaterformen sein?
Uttendorf: Theater wird nie überholt sein. Im unmittelbaren Live-Dabei-Sein begleitet der Besucher die Figuren auf ihrem Weg durch eine Geschichte, erlebt Momente der Rührung, erkennt sich vielleicht in bestimmten Szenen wieder. Virtuelle Theaterformate sind spannend, zeigen einen anderen Blick auf eine Geschichte. Sie bieten alternative Möglichkeiten der Partizipation des Publikums und können auf neue Art insbesondere auf junge Menschen eingehen. Ich bin jedoch überzeugt, dass digitale Erlebnisse nie einen Theaterbesuch in real ersetzen.
LWZ: Für manche Menschen ist die Hemmschwelle, einen „Kulturtempel“ wie das Landestheater Detmold zu betreten, immer noch groß. Wie kann Theater – womöglich auch räumlich – auf die Menschen zugehen?
Uttendorf: Die Theater müssen sich öffnen, das heißt mehr als Orte sein, die ausschließlich bei Vorstellungen begehbar sind. „Öffnen“ bedeutet zugleich, dass wir Theaterleute auf die Menschen zugehen. Wir müssen zeigen, dass das Theater kein Tempel ist, sondern ein Ort, der spannend und unterhaltsam ist. Ein Ort der Begegnung, an dem Menschen in all ihrer Diversität, zukunftsweisende ästhetisch-formale Konzepte und aktuelle Themen in all ihrer Vielseitigkeit zusammenkommen.
LWZ: Was nehmen Sie mit von Darmstadt nach Detmold?
Uttendorf: Erfahrungen, Inspirationen, Träume.
LWZ: Worauf freuen Sie sich besonders?
Uttendorf: Ich freue mich darauf, Detmold und die Region mit ihren Menschen und den Orten weiter kennenzulernen. In den Austausch zu treten mit den „Gestaltern“ dieser Stadt, sei es Jung oder Alt, um zu sehen, was wir alle gemeinsam bewegen können.
Das Interview führte Karen Hansmeier.