Kreis Lippe. Die Legende sagt, dass sich die lippischen Bauern vor langer Zeit einmal zusammengeschlossen haben sollen, um eine Revolution anzuzetteln. Dazu seien sie vor das Detmolder Schloss gezogen, hätten an das Schlosstor gehämmert und gefordert: „Fürst, vi wud unser Rewolution hebben!“. Der Fürst sei auf sie zugegangen und habe geantwortet: „Jouw, kümmt man moin um twelf wedder, dann künnt jou euer Rewolution hebben.“
Die Bauern seien dann friedlich wieder abgezogen und von einer Revolution in Lippe hat die Geschichte nie mehr etwas gehört.
So oder ähnlich stellen sich möglicherweise auch die hiesigen Politiker die aktuelle Situation vor, die sich den massiven Protesten der Landwirte gegenübersehen. Nur wiederholt sich die sagenhafte Geschichte nun vermutlich nicht, denn es geht den Landwirten schon längst nicht mehr nur um den Dieselzuschuss. Zudem ist aus dem aktuellen „Bauernprotest“ längst eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung geworden.
Die Spediteure und viele Handwerker haben sich angeschlossen, die Lokführer streiken, der ÖPNV wird bestreikt und selbst die Ärztekammer ruft zu Protesten auf. Sie alle, ausgenommen die Lokführer und der ÖPNV, haben einen gemeinsamen Kritikpunkt: die erdrückende Bürokratie in unserem Land.
So stellt der Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Lippe im Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband e. V., Dieter Hagedorn, im Gespräch mit der LIPPISCHEN WOCHENZEITUNG klar, unter welchen Auflagen die Landwirte heutzutage ihrem Beruf nachkommen müssen.
„Da kann man schon fast gar nicht mehr von selbständiger Arbeit sprechen. Die Auflagen und Vorschriften sind so umfangreich, dass man fast gar nicht mehr durchblickt“, sagt der ehrenamtliche Vorsitzende der lippischen Landwirte.
So unterliegen die Landwirte etwa einer permanenten Satellitenüberwachung der Landwirtschaftskammer. Alle fünf Tage werden die Ackerflächen fotografiert, überprüft und verglichen. Dieter Hagedorn moniert: „Die Überwachung ist schon etwas ’spookie’. Gibt es Ungereimtheiten auf dem Foto, kommen Kontrolleure und prüfen vor Ort. Sie brauchen sich nicht anzumelden.“ Oft, so der Lagenser Landwirt weiter, seien es keine Fachleute, was immer wieder zu Problemen führe.
Diese Überwachung wie auch alle weiteren Vorschriften liegen laut Dieter Hagedorn im sogenannten „Green Deal“ der EU begründet. Dieser und die daraus resultieren Auflagen seien absolut realitätsfremd, beklagt Hagedorn. Dazu gehöre die vierprozentige Ackerflächenstilllegung ab diesem Jahr genauso, wie die Einsaat-Vorschriften, die auf den Tag genau eingehalten werden müssten (Satellitenüberwachung).
„Wie unsinnig und realitätsfremd das ist, zeigt doch der vergangene November. Die vorgeschriebenen Einsaaten am 15. November konnten aufgrund der Regenmengen gar nicht vorgenommen werden. Ein Landwirt ist auch Unternehmer und muss doch selbst und unabhängig von der Wetterlage entscheiden, wann er was in die Erde bringt“, betont Hagedorn und fragt sich, ob das noch freies Unternehmertum sei.
Denn, vorgeschrieben seien zum Beispiel auch der Fruchtwechsel, ein umweltsensibles Dauergrünland, die Bodenbedeckung auf den unterschiedlichen Böden und sogar ein Verbot der Winterfurche auf dem abgeernteten Acker, weil man Erosionen befürchte.
Und es ginge noch weiter mit den Vorschriften: mit der Dauergrünlandhaltung, dem Moorschutz, einem Pufferstreifen an Gewässern oder dem Verbot des Abbrennens von Stoppelfeldern, wie früher üblich, um nur die wesentlichen Dinge der noch weit umfangreicheren Vorschriften aufzuzeigen. Natürlich seien all diese Vorschriften noch weiter bis ins Detail geregelt.
„Brüssel oder Berlin kann eigentlich nicht bestimmen, wie Hagedorn zu arbeiten hat, tun sie aber. Doch unsere Arbeit ist nicht abstrakt und vom Schreibtisch aus zu regeln, wird sie aber“, stellt Hagedorn fest.
Darüber hinaus bestünden für die Landwirte noch die Probleme mit dem Nitrat und dem Grundwasser. So gebe es sogenannte „Rote Gebiete“ auf denen nicht mehr gedüngt werden dürfe. Zudem werde in Brüssel gerade das Naturwiederherstellungsgesetz geplant, wonach in jedem EU-Land mindestens 20 Prozent der Ackerfläche zurückgebaut werden sollten.
Ebenfalls stehe das Pflanzenschutzmittelreduktionsgesetz in den Startlöchern und der neuste Plan sei es, europaweit alle Böden und ihre Zustände zu erfassen. „Was für ein Datenwahnsinn. Wir müssen dringend zur Normalität zurückfinden. Man hat den Eindruck, dass vielen die Fachlichkeit fehlt und vielmehr das ideologische Handeln im Vordergrund steht“, sagt der Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Lippe.
Seine Kollegen aus der Viehzucht und der Milchwirtschaft treffe es auf andere Weise und teilweise noch schlimmer, sagt der Landwirt. Die Frage nach dem geplanten Tierwohl-Cent des Landwirtschaftsministers beantwortet er damit, dass die Erfahrung zeige, dass alle Prämienregelungen in der Vergangenheit gezeigt hätten, dass sie nicht beim Landwirt ankämen.
„Wir dürfen bei allem nicht vergessen, wir Bauern sind immer noch dazu da, die Menschen zu ernähren. Die vielen und massiven Auflagen führen letztlich aber auch dazu, den Regionalgedanken kaputtzumachen“, so Hagedorn abschließend und prophezeit, dass sich die Proteste fortsetzen würden.
Dem Landwirtschaftlichen Kreisverband Lippe, mit seiner Geschäftsstelle in Herford-Elverdissen, dessen Vorsitzender Dieter Hagedorn ist, gehören insgesamt mehr als 900 Landwirte an.
Der Kreisverband Lippe kümmert sich als Berufsvertretung der heimischen Bauern um ihre Anliegen. Er vertritt die Bauernfamilien gegenüber Politik und Öffentlichkeit und macht Beratungsangebote.
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Reiner Toppmöller ist seit Jahrzehnten als Freier Journalist in Ostwestfalen und Nordlippe im Einsatz. Sein Motto: „Wer hier die Herzen der Menschen erreicht, der hat viele Freunde auf Dauer gewonnen.“ Mit dieser Einstellung zu seiner Arbeit, schreibt der Mann, den man nur mit Hut kennt, seit 15 Jahren für die Redaktion Vlotho des Westfalen Blatts im Kalletal. Zudem war er mehr als 20 Jahre als Freier Mitarbeiter in der Redaktion von Lippe aktuell tätig. Die lokale Politik, aber auch das tägliche Geschehen, mit schönen und teilweise hochinteressanten Geschichten der Region, bilden dabei seine Schwerpunkte. Die Arbeit mit den Menschen, nicht über die Menschen, steht dabei für ihn im Vordergrund.