Die letzten Stimmen des Holocaust: Louis Pawellek geht auf Lesereise

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Als einer der ersten hat Autor Louis Pawellek die Möglichkeit erhalten, im Museum Auschwitz vor dem berühmt-berüchtigten Tor mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ Fotos für ein Buchprojekt zu machen. Fotorechte: Louis Pawellek

Kreis Lippe. In Deutschland leben noch etwa 14.200 Holocaust-Überlebende. Die meisten von ihnen leben zurückgezogen, zu schwer lasten die Gräueltaten auf ihnen, die sie durchleben mussten, und über die sich nicht reden können oder möchten. Doch es gibt auch einige Überlebende, die regelmäßig öffentlich, etwa vor Schülern sprechen, damit diese dunkle Zeit niemals vergessen und durch Zeitzeugen weiter in Erinnerung bleibt.

Autor Jean-Louis Pawellek, der als „Sänger der Herzen“ und einem Auftritt bei „Wer wird Millionär?“ deutschlandweit bekannt wurde, seine Musikkarriere aber mittlerweile beendet hat, widmet sich in seinem Buch „Die letzten Stimmen des Holocaust“ den letzten noch lebenden Überlebenden dieser dunklen Zeit.

Autor Louis Pawellek wird auf seiner Lesereise, die ihn auch nach Detmold führt, von Zeitzeugin Edith Erbrich begleitet. Fotorechte: Louis Pawellek

Schicksalhafte Begegnung

Pawellek wurde am 2. Mai 1998 in Peine geboren und verlor kurz nach der Geburt seine Mutter. Zu seinem Vater hatte er keinen Kontakt und so verschlug es ihn früh nach Lippe, wo er seine Jugend in zwei Kinderheimen verbrachte. In einem der Kinderheime in Nordlippe war er die meiste Zeit allein und ging daher häufig draußen spazieren. Dabei lernte er eine ältere Dame aus der Nachbarschaft kennen, mit der er sich schließlich anfreundete.

Nach einiger Zeit lud sie ihn zum Kaffeetrinken ein und die beiden kamen ins Gespräch. Er erzählte ihr seine Lebensgeschichte, sie hörte zu. Bei einem weiteren Kaffeetrinken erfuhr er durch Zufall, dass sie eine Holocaust-Überlebende ist. Während des Gespräches hatte sie ihren Ärmel hochgeschoben und er die eintätowierte Nummer auf ihrem Arm entdeckt.

Zu dieser Zeit stand dieses Thema auch auf dem Lehrplan der Realschule, auf die Pawellek ging. So erfuhr er aus erster Hand, welch grausame Taten damals geschehen waren. Im Rahmen eines Schulprojektes lernte er als 14-Jähriger Karla Raveh (geborene Frenkel) kennen, und durfte sogar ein Interview mit ihr führen.

Karla Raveh kam bis zu ihrem Tod im Jahre 2017 immer wieder aus Israel nach Lemgo und berichtete als Zeitzeugin vor Schülern über ihre Erlebnisse während des Holocausts. Diese und zwei weitere Begegnungen führten dazu, dass Pawellek mehr über diese Thematik erfahren wollte. Der gelernte Erzieher beschäftigte sich immer intensiver mit diesem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte und es entwickelte sich der Wunsch, weitere überlebende Opfer der Nazi-Schreckensherrschaft persönlich kennenzulernen und ihre Geschichte aufzuschreiben.

Zufälle öffnen Türen

Auf diesem Weg öffneten ihm viele Zufälle, weitere Wegbegleiter und Begebenheiten in Deutschland, Österreich und der Schweiz die Türen und so sprach er schließlich mit zwölf Holocaust-Überlebenden. Sehr persönlich erzählten sie ihm teilweise zum ersten Mal ihre Lebens- und Überlebensgeschichte. Eine 13. Zeitzeugin verstarb einige Tage vor dem geplanten Treffen im Alter von 100 Jahren.

Die ergreifenden Schicksale der Frauen und Männer, die mittlerweile alle mehr als 80 Jahre alt sind, hielt er in seinem Buch fest. „Es soll dazu dienen, niemals zu vergessen, was unschuldigen Kindern und Erwachsenen in den Ghettos und Konzentrationslagern angetan wurde“, betont Pawellek.

Die zwölf Überlebenden erlaubten ihm zudem, die Treffen auf Video aufzuzeichnen. Die einzelnen Filme können am Ende jedes Kapitels durch einen im Buch befindlichen QR-Code aufgerufen werden.

Überleben im Ghetto

Zu seiner geplanten Buchvorstellung und Lesereise wird Pawellek von Edith Erbrich begleitet. Sie wurde am 28. Oktober 1937 in Frankfurt am Main geboren. Ihr Vater war Jude und ihre Mutter Christin. Daher galt sie als „Mischling ersten Grades“. Gemeinsam mit ihrem Vater und ihrer Schwester wurde sie in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Die Mutter blieb allein zurück.

Ihr Vater warf während des Transports in das Konzentrationslager zehn Postkarten aus dem Viehwaggon, die an seine Frau adressiert waren. Alle kamen an und existieren noch heute. Erbrich überlebte Theresienstadt und erlebte dort unvorstellbares Leid. So habe sie etwa mit ansehen müssen, wie Menschen während der Appelle einfach tot umgefallen seien.

 In den Fängen von SS-Arzt Mengele

Besonders schockierend ist auch die Überlebensgeschichte der am 23. April 1937 in Naumburg (Saale) geborene Christa Rose. Ihre Eltern waren Deutsche und der Vater arbeitete als Architekt für Adolf Hitlers Autobahnen. Aufgrund von tragischen Umständen wurde sie dennoch deportiert.

Ihr Vater hatte den Hausschlüssel versehentlich mit auf eine Auslandsreise genommen, sodass sie sich bei einer Kontrolle nicht als Arier ausweisen konnte. Gemeinsam mit ihrer Schwester kam sie in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau.

Bei ihrer Ankunft wählte SS-Arzt Josef Mengele per Daumenzeichen aus, wer ins Lager und wer direkt in die Gaskammer geschickt wurde: Daumen nach links (Lager), Daumen nach rechts (Gaskammer).

Christa Rose wählte Mengele persönlich für seine „Kinderbaracke“ aus, wo er an ihr und zahlreichen anderen Kindern „Forschungen“ mit Giftspritzen durchführte. Rose überlebte die unmenschlichen Experimente des SS-Arztes und gehört zu den letzten noch lebenden „Mengele-Kindern“ von Auschwitz.

Das Leid der Sinti und Roma

Auch die Geschichte von Sonja Strauß, die am 1. Oktober 1939 in Berlin geboren wurde, ist im Buch festgehalten. Ihre Familie zählt zu den Sinti und Roma. Als Teil einer Schaustellerfamilie überlebte sie das sogenannte „Zigeunerlager“ des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Zweimal hatte sie dort bereits in der „Todesschlange“ und somit direkt vor der Gaskammer gestanden, doch blieb letztendlich verschont.

Familienangehörige wurden vor ihren Augen von der SS in eine ausgehobene und brennende Teergrube geworfen. Strauß überlebte auch weitere Konzentrationslager der Nationalsozialisten: Bergen-Belsen, Mauthausen und Ravensbrück. Im Konzentrationslager Ravensbrück wurde sie von SS-Arzt Carl Clauberg zwangssterilisiert. Zudem musste sie mitansehen, wie sich Menschen aus Verzweiflung an einem mit 6.000 Volt geladenen Stromzaun umbrachten und Feuer aus ihren Mündern schoss.

Lesung in Lippe

Insgesamt kommen in dem Buch acht Frauen und vier Männer zu Wort. Als „Zweitzeuge“ schrieb der in Mannheim geborene Bestseller-Autor und Literaturpreisträger Richard Brox das Nachwort. „Die letzten Stimmen des Holocaust – 12 Überlebende erinnern sich“ (ISBN: 978-3-429-05947-7) umfasst knapp 300 Seiten, die mit zahlreichen Farbabbildungen illustriert sind, und ist für 24,90 Euro im Buchhandel oder als E-Book erhältlich.

Darüber hinaus findet am Sonntag, 25. Februar, um 19.30 Uhr (Einlass: 19 Uhr) eine Lesung, ein Vortrag und eine Diskussionsrunde mit Jean-Louis Pawellek und Edith Erbrich in der Schlosskapelle in Detmold (Schlossplatz 1) statt. Der Eintritt kostet im Vorverkauf 10 Euro. Tickets gibt es über das Buchhaus am Markt (Telefon: 05231/93880). An der Abendkasse gibt‘s die Karten für 12 Euro.