Detmold. Die dunkle und kalte Schlosskapelle in Detmold bot am Sonntagabend, 25. Februar, rund 100 Gästen die Kulisse für die Lesung des Autors Louis Pawellek aus seinem Buch „Die letzten Stimmen des Holocaust – 12 Überlebende erinnern sich“. An seiner Seite saß an diesem Abend die extra aus Frankfurt am Main angereiste Holocaust-Überlebende Edith Ebrich.
Buchhändler Alfred Westermann vom Buchhaus am Markt in Detmold hatte den jungen Autor, der sein Werk erst vor Kurzem nach mehr als zwei Jahren Recherche und Gesprächen mit Holocaust-Überlebenden veröffentlicht hat, bereits im Vorfeld seiner Lesung tatkräftig unterstützt.
In seiner Einführungsrede sprach er darüber, dass auch zahlreiche Menschen aus Lippe dem Holocaust in den Konzentrationslagern zum Opfer gefallen waren. „Ich bin sehr angetan, dass sich ein junger Mensch nun diesem Thema angenommen und zwölf Zeitzeugen befragt hat“, betonte Westermann. Durch die Erzählungen der Betroffenen würde Louis Pawellek irgendwann selbst zum Zeitzeugen.
Auch der stellvertretende Landrat Stephan Grigat freute sich, dass trotz eines so traurigen und bedrückenden Themas so viele Menschen in die voll besetzte Schlosskapelle, die sich im Westflügel des Detmolder Residenzschlosses befindet, gekommen waren. Er griff zudem noch einmal auf, dass die betroffenen Opfer ganz normale Menschen, Geschäftsleute, Ärzte und sogar Anwälte gewesen seien. Auch erinnerte er an die vielen Stolpersteine, die in verschiedenen lippischen Städten vor den ehemaligen Häusern der Opfer verlegt worden seien.
Anschließend stellte sich Louis Pawellek den Anwesenden kurz vor und erzählte, wie er überhaupt den Weg zu diesem schwierigen Thema gefunden habe. Er berichtete über die schwere Zeit in zwei Kinderheimen in Lippe und die verschiedenen Schulen, an denen der Holocaust im Unterricht lediglich auf zwei Seiten abgehandelt worden wäre.
„Erst der Kontakt mit einer älteren Dame, die in einem Konzentrationslager gefangen war, und später in der Schule, über die ich ein Gespräch mit Karla Raveh führen durfte, haben dazu geführt, doch noch mehr über dieses Thema erfahren zu wollen“, erklärte Pawellek.
Nach seiner kurzen Einführung und Vorstellung griff der Autor schließlich zu seinem Buch und schnitt mit gelesenen Auszügen die Geschichten von fünf Betroffenen an.
Als Erstes ging es um das Schicksal von Christa Rose, die vor sechs Wochen im Alter von 86 Jahren verstorben ist. Bei ihrer Deportation nach Auschwitz sei sie dem dortigen KZ-Arzt Josef Mengele sofort durch ihre weizenblonden Haare und ihre blauen Augen aufgefallen. Mengele führte an ihr Experimente mit einer Giftspritze durch, was hohes Fieber und eine Erblindung zur Folge hatte.
Im weiteren Verlauf wurde auch die Geschichte von Sonja Strauß (92) vorgestellt. Auch sie wurde nach Auschwitz deportiert, aufgrund ihrer Herkunft als Sinti respektive Roma. Sie entkam der Gaskammer nur, weil ihr Vater in der Wehrmacht war. Sie musste allerdings unter anderem mit ansehen, wie Kinder in einer brennenden Teergrube bei lebendigem Leibe verbrannt wurden.
Das dritte NS-Opfer, dessen Martyrium den Zuschauern nähergebracht wurde, war Eva Szepesi (91). Sie sprach erst vor kurzem noch am 27. Januar, dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, im Bundestag. Sie überlebte Auschwitz nur durch eine Lüge: Eine slowakische Aufseherin hatte ihr bei der Selektion zugeflüstert, dass sie sich ab sofort als 16-Jährige ausgeben müsse.
Ruth Melcer (88) hatte zuvor nie öffentlich über ihre Erlebnisse gesprochen, war aber von dem jungen Autor so angetan, dass sie für ihn eine Ausnahme machte. Sie war ebenfalls in Auschwitz und fiel dort genau wie Christa Rose durch ihre blauen Augen und langen blonden Haare auf. Dank einer SS-Aufseherin mit dem Namen Ruth, die sie bemutterte, überlebte sie. Von ihr bekam sie Kleidung und Schuhe von Kindern, die zuvor vergast worden waren.
Als fünfte Holocaust-Zeitzeugin und -Überlebende war Edith Erbrich (86) persönlich in Detmold vor Ort. Im Gespräch mit Pawellek schilderte sie ihre berührende Lebensgeschichte bis zur Befreiung des Ghettos Theresienstadt. Ihr Vater war Jude, ihre Mutter Christin und so galt sie als „Mischling ersten Grades“.
Gemeinsam mit dem Vater und ihrer Schwester wurde sie von Frankfurt am Main nach Theresienstadt deportiert. Die Mutter blieb allein zurück. Erbrichs Vater warf während der Fahrt an die Mutter adressierte Postkarten aus dem Viehwaggon, in dem rund 40 Menschen eingepfercht waren.
Alle kamen an und existieren noch heute. Erbrich überlebte Theresienstadt, musste dort allerdings schockierende Situationen ertragen. Menschen seien beim Appell tot umgefallen und sie wäre von ihrer Schwester und dem Vater getrennt gewesen, erzählte sie den gebannt lauschenden Gästen.
„Wir wurden alle Haare abgeschnitten und ich musste den ganzen Tag mit einer Zahnbürste den Boden schrubben. Meine Schwester kam in einen Arbeitstrupp und musste dabei helfen, tote Menschen, die mit einem Waggon ankamen, auszuladen“, ergänzte Erbrich.
Der wichtigste Moment in ihrem Leben sei die Befreiung am 8. Mai 1945 gewesen, da sie am 9. Mai schon für die Gaskammer vorgesehen gewesen wäre. Mit einem Leiterwagen kämpften ihr Vater, ihre Schwester und sie sich durch nach Frankfurt. „Das hat sehr lange gedauert, aber die Freude war umso größer, als wir an der Uhlandstraße ankamen und dort auf der Straße unsere lebende Mutter sahen“, sagte Erbrich.
Das zweite besondere Ereignis in ihrem Leben sei ihre Hochzeit gewesen, so Erbrich. Nun hoffe sie eindringlich, dass so eine Zeit nie wieder kommen möge. „Ich habe das Weinen leider verlernt“, betonte sie zum Abschluss der Lesung.