Lippe in Zeiten der Herausforderung: Landrat Dr. Axel Lehmann im LWZ-Interview

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Seit mehr als acht Jahren ist er als Landrat Lippes höchster politischer Repräsentant: Dr. Axel Lehmann. Foto: Privat

Kreis Lippe. Die LIPPISCHE WOCHENZEITUNG führt ab sofort in loser Folge ausführliche Interviews mit wichtigen Persönlichkeiten aus dem politisch-gesellschaftlichen Bereich des Lipperlandes. Den Anfang macht der höchste politische Repräsentant Lippes, Landrat Dr. Axel Lehmann (SPD).

LWZ: Herr Landrat Dr. Lehmann, wie geht es Ihnen in diesem, noch jungen Jahr 2024 – in persönlicher, beruflicher und politischer Hinsicht?
Landrat: Es geht mir gut – allerdings, gleich hinzugefügt: Wir leben in der Tat in turbulenten Zeiten. Wir befinden uns in einer Art ‚Dauerschleife Krise‘ – sozusagen von Corona bis hin zur aktuellen kommunalen Finanzkrise. Aber ich sage auch und bin überzeugt: Wir in Lippe werden die vielfältigen Herausforderungen meistern!

LWZ: Sie sind jetzt 57 Jahre alt und seit mehr als acht Jahren Lippes Landrat. Mit Blick auf Ihren beruflichen Lebensweg müsste man Sie demzufolge wohl zuvörderst als Verwaltungschef respektive Behördenleiter bezeichnen; aber eben auch als Journalist, Historiker und natürlich Politiker. Wie lautet Ihr persönliches Selbstverständnis zu diesen vier Kategorien?
Landrat: Als Behördenleiter und Politiker möchte ich möglichst viel Positives für die Menschen, die Unternehmen und die Kultur in Lippe konkret erreichen. Das bewegt mich sehr und ist mein entscheidendes Ziel. Als gelernter und ehemals praktizierender Journalist möchte ich sagen, dass dem Journalismus aus meiner Sicht für die Stabilität unserer demokratischen Gesellschaft eine hervorgehobene Verantwortung zukommt – und zwar im Sinne eines unverzichtbaren Korrektivs. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, ist insbesondere die saubere Trennung von Nachricht und Meinung wichtig, um die Leser nicht durch eine Vermischung dieser beiden Sphären in falscher Weise zu ‚steuern‘. Schließlich zur Relevanz von Geschichtsbewusstsein: Die Historie wiederholt sich zwar nicht, doch es ist sehr wohl möglich, aus ihr zu lernen. Es geht hier um Ursache- und Wirkungszusammenhänge in der Geschichte: Was geht woraus hervor? Und da gibt es sozusagen wiederkehrende Mechanismen zu entdecken.

LWZ: Können Sie das etwas konkretisieren?
Landrat: Nehmen Sie das teils verbreitete Verhalten von Menschen in wirtschaftlichen oder anderen Krisenzeiten. Manche neigen sich dann eher den politisch-extremen Rändern zu, die Mitte wird ausgedünnt – das ist gefährlich für die Demokratie. In Deutschland ist die Zeit der Weimarer Republik dafür ein beredtes Zeugnis. Und auch in unserer Gegenwart sind Tendenzen solcher Art erkennbar, weshalb ein waches historisches Bewusstsein erforderlich ist, um nicht in ähnliche ‚historische Fallen‘ zu laufen.

LWZ: Apropos Vergangenheit und Gegenwart: Ist für Sie eigentlich die Gegenwart stets und von vornherein rundweg besser als die Vergangenheit? Als Beispiel, ganz konkret: War das Lippe der 1980er-Jahre in irgendeiner Hinsicht besser als das Lippe im Jahre 2024?
Landrat: Da gilt es zu differenzieren. Technik und Digitalisierung beispielsweise erleichtern und verbessern das heutige Leben immens. Doch es gibt auch Bereiche, die mir etwa im Lippe der 1980er/90er-Jahre durchaus besser gefallen haben – wie der stärkere Zusammenhalt durch ein ausgeprägteres Vereins- und Dorfleben. Heute ist dagegen ein gewisser Rückzug ins Private zu beobachten, der die gemeinschaftlichen Strukturen tendenziell reduziert. Das bedauere ich sehr.

LWZ: Was machen für Sie die Qualitäten und Reize unserer lippischen Heimat sowie die Vorzüge und Stärken ihrer Menschen aus?
Landrat: Einfach ausgedrückt: Lippe hat alles, was es braucht, um eine rundum erfolgreiche Region zu sein. Wir haben starke familiengeführte Unternehmen, tolle Kulturinstitutionen, eine schöne Landschaft und Natur – und vor allem Menschen, die bodenständig sind, auf die man sich verlassen kann und die ihren Job machen. Alles gut also, vielleicht ein Kritikpunkt nur: Wir Lipper tendieren dazu, unser Licht zu sehr unter den Scheffel zu stellen. Wir könnten ruhig insgesamt etwas ‚offensiver‘ agieren.

LWZ: Ein Blick in die Zukunft: Welche drei Herausforderungen für die Gesellschaft Lippes sollten nach Ihrem Geschmack in den kommenden zehn Jahren gemeistert worden sein?
Landrat: Ganz oben stehen hier die Auswirkungen des demografischen Wandels auf Arbeitsmarkt und Wirtschaft – eine in der Tat riesige Herausforderung durch das Ausscheiden der ‚Babyboomer‘-Jahrgänge aus dem Berufsleben. Zweitens ist der Klimaschutz zu nennen, der für mich immer auch unmittelbar vor Ort beginnt. Wir in Lippe sind da, das kann ich guten Gewissens sagen, auf einem positiven Weg. Drittens komme ich noch einmal auf das Thema ‚Gesellschaftlicher Zusammenhalt‘ zurück. Wir sollten keine Anstrengung scheuen, leider erkennbare Spaltungstendenzen in unserer demokratischen Gesellschaft zurückzudrängen. Das ist mir sehr wichtig.

LWZ: Warum ist Lippe Ihrer Meinung nach beim Klimaschutz gut unterwegs?
Landrat: Ich weise an dieser Stelle nur auf den ‚European Energy Award‘ hin, den Lippe jüngst erneut – und zwar dieses Mal sogar als Nummer eins unter sämtlichen Kommunen in ganz Deutschland – gewonnen hat. Es geht dabei insbesondere um den wirkungsvollen Einsatz erneuerbarer Energien. In Kürze findet die offizielle Preisverleihung statt, und ich denke, darauf können wir alle gemeinsam im Kreis Lippe zurecht stolz sein.

LWZ: Zur extrem angespannten kommunalen Finanzlage. Sie haben kürzlich betont, man müsse sparen, ohne allerdings „kaputt zu sparen“. Was ist der Unterschied zwischen hilfreicher und kontraproduktiver Sparsamkeit?
Landrat: Genau das zu erkennen, macht gute Politik aus. Wir müssen vor allem vermeiden, dass Zukunftsprojekte dem Rotstift zum Opfer fallen. Ein Beispiel aus dem Bereich der ‚Mobilitätswende‘. Wir haben Schnellbus-Achsen geschaffen, was sicherlich nicht ganz billig gewesen ist. Dieses zukunftsweisende Projekt jetzt aber aus Gründen einer aktuellen Finanzkrise einfach zu streichen, wäre sehr kurz gedacht. Denn, wenn die Finanzlage es in vielleicht wenigen Jahren wieder zulassen würde, dann ist die Wiederbelebung etwa eines solchen Projektes eben nicht so einfach möglich. Verhaltensweisen und Gewohnheiten von Menschen lassen sich nun einmal nicht ‚auf Knopfdruck‘ hin und her verändern.


Das Interview führte Mathias Vehrkamp.