„Internationaler Hurentag“: Herforder Beratungsstelle „Theodora“ unterstützt Prostituierte

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Katharina Hontscha und Diana Dimitrova (von links) beraten und begleiten Frauen, die in Clubs, Bars, Appartements, Wohnungen, Wohnwagen und Kneipen sexuelle Dienstleistungen anbieten. Foto: Prostituierten- und Ausstiegsberatung Theodora

Kreis Lippe/Herford. Sexarbeit gilt als anrüchig. Halbwissen und Pauschalurteile sind verbreitet, Diskussionen häufig klischeedurchsetzt und emotional aufgeladen.

Bereits im Jahr 1975 demonstrierten Prostituierte gegen die gesellschaftlich tief verankerte Stigmatisierung, alltägliche Anfeindungen und Repressionen, indem sie die Kirche Saint-Nizier in Lyon in Frankreich besetzten. Hervorgegangen ist daraus ein inoffizieller Gedenktag, der jährlich am 2. Juni begangen wird: der Welthurentag.

Menschen, die sich nicht nur am 2. Juni mit einem immer noch tabuisierten Thema befassen, sind die Mitarbeiterinnen der Frauenberatungsstelle Theodora in Herford. Die Lippische Wochenzeitung (LWZ) sprach mit zwei von ihnen: Diana Dimitrova und Katharina Hontscha gehören zum Theodora-Team, das die zentrale Anlaufstelle für Frauen in der Prostitution in Ostwestfalen und Lippe ist.

LWZ: Hure, Sexarbeiter, Prostituierte. Drei Begriffe, eine Bedeutung …?
Diana Dimitrova und Katharina Hontscha: Sexarbeit und Prostitution sind nicht dasselbe, aber beides existiert. Eine Sexarbeiterin ist eine professionelle Dienstleisterin, die einen bestimmten Service anbietet (Escort, Domina), um damit Geld zu verdienen. Prostitution bezeichnet die Zurverfügungstellung sexueller Handlungen gegen Entgelt.
Seit den 1970er-Jahren wird die Vornahme sexueller Handlungen gegen Entgelt unter dem Begriff Sexarbeit subsumiert. In Abgrenzung zur Prostitution ist der Begriff „Sexarbeit“ positiver konnotiert und betont, dass es sich um Arbeit handelt. Sexarbeit ist eine gesellschaftliche Realität in Deutschland.

LWZ: Warum ist es wichtig, dass weiterhin an den „Hurenstreik“ erinnert wird?
Dimitrova und Hontscha: Jedes Jahr machen Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen nun auch in Deutschland an diesem Tag auf bestehende Diskriminierungen aufmerksam und fordern ihre Rechte ein. Auch heute noch sind sie gesellschaftlicher Stigmatisierung, moralischer Verurteilung, Mehrfachdiskriminierung und Ungleichbehandlung ausgesetzt. Aus Anlass des Internationalen Hurentages am 2. Juni organisieren die Mitarbeiterinnen von „Theodora“ eine Blumenaktion: Sämtliche Prostitutionsbetriebe in OWL werden aufgesucht und jede Frau bekommt eine Blume und ein kleines Geschenk.

LWZ: Wie viele Prostituierte gibt es in Ostwestfalen-Lippe? Machen sie ihre Arbeit freiwillig?
Dimitrova und Hontscha: Im Jahr 2023 wurde Kontakt zu 611 Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen in OWL aufgenommen. 130 Frauen davon wurden intensiv und individuell beraten und betreut. Dazu kam die Betreuung von 37 Kindern dieser Klientinnen. Die Frauen, die wir bei der aufsuchenden Arbeit getroffen haben, arbeiten legal und freiwillig.

LWZ: Welche Rolle spielen Zwangsprostitution und Menschenhandel?
Dimitrova und Hontscha: Im Kontext von Prostitution ist oft von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung die Rede. Erfolgt die Prostitution unfreiwillig, ist es Zwangsprostitution. Wir halten eine strikte Trennung der Themenbereiche Menschenhandel und Sexarbeit für unabdingbar.
Menschenhandel ist strafbar und muss selbstverständlich in aller Konsequenz verfolgt werden. Dennoch gibt es Situationen, bei denen sich erst im Gespräch mit der Klientin herausstellt, dass Zwang ausgeübt wird und die Einschaltung der Fachberatungsstelle Nadeschda, die für Betroffene von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung da ist, notwendig ist.

LWZ: Welche Frauen suchen bei Ihnen Unterstützung? Wie hoch ist der Anteil an Migrantinnen?
Dimitrova und Hontscha: Viele Prostituierte können aufgrund ihrer geringen Sprachkenntnisse und ihres fehlenden Wissens über das deutsche Sozialsystem nicht nach adäquaten Beratungsangeboten zu suchen. Vorwiegend handelte es sich um Frauen aus Rumänien, Bulgarien, Thailand, Polen). 80 Prozent der Frauen sind Migrantinnen.

LWZ: Welches Angebot stellen Sie durch die Beratungsstelle Theodora bereit?
Dimitrova und Hontscha: Die mobile, aufsuchende Sozialarbeit ist ein wesentlicher Tätigkeitsschwerpunkt der Beratungsstelle Theodora. Ohne diese wird die Zielgruppe mit Informationen und Hilfeangeboten nicht erreicht. Die Mitarbeiterinnen bieten muttersprachliche Gesundheits- und Ausstiegsberatung vor Ort an.
Wir beraten und helfen bei der Arbeit in der Prostitution, beim Ausstieg aus der Prostitution, bei der Abklärung von Krankenversicherungsschutz und Gesundheitsvorsorge, bei Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten, bei der Wohnungssuche, beim Kontakt mit Ämtern (Job Center, Familienkasse, Krankenkasse, Banken, Gesundheitsamt und so weiter).
Ebenso sind Begleitung und Unterstützung zu den Gesundheitsämtern, Ordnungsämtern, zur Familienkasse, zum Jugendamt sowie zu Schuldner-, Schwangerschaftskonflikt- und Migrationsberatungsstellen oder die Unterstützung bei der Wohnungssuche Bestandteile unserer Arbeit.

LWZ: Wie und wie lange muss man sich die Begleitung vorstellen?
Dimitrova und Hontscha: Wir beraten und begleiten Sexarbeiterinnen beim Ausstieg aus der Prostitution oder der Entwicklung eines informierten und unabhängigen Lebens. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Unterstützungsbedarfe. Fast alle Frauen brauchen intensive Beratung und individuelle Begleitung auf den Weg in den Ausstieg und eine neue berufliche Orientierung. Die Beratungs- und Begleitungsdauer kann zwischen paar Wochen und bis zu zwei Jahren dauern. Für einen geglückten Ausstieg aus der Prostitution ist fast jede Klientin der Beratungsstelle „Theodora“ auf SGBII-Leistungen des Job-Centers angewiesen. Der Wechsel in ein anderes Arbeitsfeld ist nicht leicht und kann Jahre dauern.

LWZ: Wie viele Mitarbeiterinnen hat „Theodora“?
Dimitrova und Hontscha: Das Team von „Theodora“ besteht aus 2,8 Personalstellen mit einer Sozialpädagogin und einer Psychologin. Derzeit befindet sich eine Kollegin in Mutterschutz und Elternzeit. Daher sind wir auf der Suche nach einer Elternzeitvertretung.

LWZ: In Deutschland gibt es seit 2017 das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), das von vielen Verbänden für die negativen Auswirkungen auf Sexarbeiterinnen kritisiert wird. Kernelemente sind die Einführung einer Erlaubnispflicht für alle Prostitutionsgewerbe und einer Anmeldebescheinigung für Prostituierte. Welche Auswirkungen hat dieses Gesetz?
Dimitrova und Hontscha: Das ProstSchG soll die Rechtssicherheit für die legale Ausübung der Prostitution verbessern und die Kriminalität und Diskriminierung in der Prostitution wie Menschenhandel und Gewalt bekämpfen. Häufig haben zugewanderte Frauen in ihren Herkunftsländern schlechte Erfahrungen mit staatlichen Stellen (Polizei) gemacht. Aus diesen Gründen haben einige Sexarbeiterinnen oft Sorge, sich für das Anmeldeverfahren an die zuständigen Behörden zu wenden.
Die Frauen werden in die Illegalität gedrängt beziehungsweise verbleiben dort und sind dann auch für Beratungs- und Ausstiegsangebote viel schwerer zu erreichen. Für Migrantinnen, die nur für kurze Zeit nach Deutschland kommen und hier keine Meldeadresse haben, besteht die Gefahr, dass Post (etwa vom Finanzamt) an die Heimatadresse geschickt wird. Herkunftsfamilien können so gegen den Willen der Frau von der Prostitutionstätigkeit erfahren.

LWZ: Es muss aber mehr verändert werden als nur die Rechtslage. Stichwort Stigmatisierung: In den Köpfen der Menschen gibt es viele falsche Bilder. Prostitution ist gesellschaftlich, theologisch und moralisch immer noch ein Tabu. Welche Wege sehen Sie, dies zu verändern?
Dimitrova und Hontscha: Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen werden noch immer gesellschaftlich ausgegrenzt und diskriminiert. Daher ist ein Ziel der Beratungsstelle Theodora, der Diskriminierung entgegenzuwirken und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren.
Eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen kann nicht durch Kriminalisierung, sondern nur durch die Stärkung ihrer Rechte und die Bekämpfung von Stigmatisierung erreicht werden. Hierzu zählen: Arbeitsrechte und Selbstbestimmung sowie die Beteiligung von ihnen bei Themen und Entscheidungen, die ihre Berufsgruppe betreffen.

LWZ: Wie ist die Finanzierung von „Theodora“ zusammengesetzt und ist sie derzeit gesichert?
Dimitrova und Hontscha: Die Kreise Herford, Lippe, Höxter, Paderborn, Gütersloh, und Minden-Lübbecke sowie die Stadt Bielefeld haben die Finanzierung bis zum 31. Dezember 2025 gesichert. Um den damit verbundenen Eigenanteil aufzubringen, sind wir dankbar für jede Hilfe, Spenden und Kollekten, die es uns materiell und ideell erleichtern, unsere Arbeit kontinuierlich, flexibel, kreativ und motiviert fortzuführen.

LWZ: Was wünschen Sie sich für die Frauen und für Ihre Beratungsstelle?
Dimitrova und Hontscha: Wünschenswert ist ein besserer Zugang der Aussteigerinnen zum Arbeitsmarkt, zu Jobcentern, Sprachkursen, Umschulungen und anderen Qualifizierungsmaßnahmen in der Phase des Ausstiegs. Kostenlose Gesundheitsangebote und medizinische Versorgung für die Frauen ohne Krankenversicherung stehen ebenfalls auf unserer Wunschliste, genauso wie die gesellschaftliche Anerkennung der Sexarbeit als Dienstleistung und die Stärkung der Rechte der Sexarbeiterinnen.
Und ab 2026 hoffen wir auf eine langfristige, kostendeckende und bedarfsgerechte Finanzierung, damit wir unsere Klientinnen auch zukünftig bei der Arbeit in der Prostitution und beim Ausstieg aus der Prostitution unterstützen können.

Das Interview führte Karen Hansmeier.


Hintergrund

In Trägerschaft der Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. berät „Theodora“ seit 2011 Frauen in der Prostitution in Ostwestfalen-Lippe. Die Frauenberatungsstelle ist nach der gleichnamigen byzantinischen Kaiserin (circa 497 bis 548 nach Christus) benannt. Geboren als Tochter eines Bärenwärters des Hippodroms von Konstantinopel, gelang ihr der spektakuläre Aufstieg von einer einfachen Prostituierten und Tänzerin bis zur Gemahlin Kaiser Justinians. Die kluge und schöne Frau wurde zur wichtigen Ratgeberin des Herrschers und kämpfte für Frauenrechte sowie gegen Korruption und Ungerechtigkeit innerhalb des Staates. Weitere Informationen gibt’s hier.