Gemeinde geht eigenen Weg: Kalletal bekommt sein MVZ

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Das alte Verwaltungsgebäude der Ziegelei Bergmann: Dort soll das MVZ für das Kalletal entstehen. Foto: Reiner Toppmöller

Kreis Lippe/Kalletal. Man kennt es aus amerikanischen Filmen: Jemand, der in der Handlung verstorben ist, beobachtet aus einer anderen Welt, wie man über ihn spricht. So oder ähnlich muss sich Dr. Sergei Stepanov vorgekommen sein, als er der Ratssitzung des Kalletaler Rates am 4. Juli als Besucher folgte.

In der Sitzung wurde nicht nur über ihn gemutmaßt und gesprochen, ohne ihn zu hören, sondern auch dem Bürgerentscheid zum Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) in Hohenhausen mehrheitlich beigetreten.

Damit ist der Ratsbeschluss gegen ein MVZ vom 21. März des Jahres aufgehoben. Vorausgegangen waren nicht nur große Veränderungen in der SPD-Fraktion (ein Mitglied wurde durch einen Nachrücker ersetzt, ein weiteres hat aufgrund der ersten Abstimmung die Fraktion verlassen), sondern zeitgleich zur Unterschriftensammlung für das Bürgerbegehren wurde auch Druck auf Entscheidungsträger und Drohanrufe gegenüber Mitgliedern der UKB-Fraktion ausgesprochen. Letzteres wurde vom Fraktionsvorsitzenden der CDU, Julian Gerber, in der Sitzung thematisiert und von der UKB bestätigt.

Aber zurück zu Dr. Stepanov. Im Gespräch mit der LIPPISCHEN WOCHENZEITUNG nimmt der zukünftige neue Allgemeinmediziner, er wird die Praxis von Dr. Langkamp am 1. Januar 2025 übernehmen, jetzt Stellung zu dem, was in der Sitzung über ihn erzählt wurde.

Ende des vergangenen Jahres sei er auf der Suche nach einer eigenen Praxis gewesen, als er das erste Mal Kontakt zu Bürgermeister Mario Hecker aufgenommen habe, erzählt der 43-Jährige.

„Ich habe mich für das Thema MVZ ganz allgemein interessiert. Es war neu für mich, daher rührte mein Interesse“, sagt Dr. Stepanov. Völlig aus der Luft gegriffen sei daher die Äußerung von Annette Vollmer (Grüne) in der Sitzung, er habe sich um eine Anstellung bemüht.

„Ich habe mich weder bemüht noch abgesagt, noch in irgendeiner Weise geäußert, ich würde die frei werdende KV-Praxis nicht übernehmen. Ich wollte immer selbständig sein. Das Konzept des MVZ hat mich nicht überzeugt, nur das habe ich mitgeteilt“, betont der Mediziner. Danach habe es bis heute keine weiteren Kontakte mehr mit der Verwaltung gegeben.

Nach wie vor verstehe er die Entscheidung für das MVZ im Kalletal nicht, da es seiner Meinung nach ausreichend ärztliche Versorgung gäbe. Vielmehr glaube er an eine politische Entscheidung, bei der es um mehr als um die ärztliche Versorgung gehe.

Unterstützt wird seine Meinung dadurch, dass er nach der Entscheidung des Rates gegen das MVZ am 21. März versucht habe, mit dem Bürgermeister zu sprechen, dieser aber für ihn keine Zeit gefunden habe. „Selbst in der aktuellen Ratssitzung ist die neue Situation nicht thematisiert worden“, sagt Sergei Stepanov.

„Mir ist immer noch nicht klar, wie das Konzept aussehen wird. Wer wird Geschäftsführer, wer investiert? Was steckt dahinter? Mir fehlt die Transparenz. Patientenversorgung ist ein komplexes Thema. Ich wundere mich, wie das hier durch die Politiker auf so leichte Schultern genommen wird“, sagt der Mediziner, der im Jahr 2013 aus Russland nach Deutschland gekommen ist und seine medizinische Ausbildung im Klinikum Lippe in Lemgo bei Prof. Dr. Hartmann absolviert hat.

Nach der allgemeinmedizinischen Ausbildung bei Dr. Kunde und Feuchtel in Bad Salzuflen wird er nun ab dem 1. Januar 2025 als neuer Allgemeinmediziner im Kalletal tätig sein. „Die Praxis hat auch Möglichkeiten zur Erweiterung für zwei Ärzte. Auch dafür bin ich offen. Das Kommunale MVZ könnte da aber schon jetzt eine ernste Konkurrenz für Einzelpraxen werden“, sagt er.

Trotz der erheblichen Schwierigkeiten vor seiner Praxiseröffnung sieht der Lemgoer sich aber willkommen im Kalletal. „Ich erhalte hier gute Unterstützung von den Menschen, die ich behandeln werde und der KV“, schließt er seine Ausführungen.

Die CDU-Fraktion im Kalletaler Rat hat dem MVZ, wie die UKB und das ehemalige SPD-Fraktionsmitglied, nicht zugestimmt. Die CDU-Fraktion kritisiert seit Beginn der Diskussion die vollständige Nichtöffentlichkeit der Verwaltungsvorlage.

„Obwohl die Idee eines MVZ in öffentlichen Gremien eingebracht wurde, fehlt bis heute die Bereitschaft, fast alle relevanten Daten und Zahlen bezüglich der von der Verwaltung vorgeschlagenen Variante offenzulegen“, erklärt Julian Gerber, Vorsitzender der CDU-Fraktion. Diese mangelnde Transparenz des Bürgermeisters habe die Diskussion unnötig erschwert und das Vertrauen in den gesamten Prozess beeinträchtigt, so Gerber. Die CDU-Fraktion sieht nach wie vor Alternativen zur vorgeschlagenen Form eines kommunalen MVZ.

„In den Nachbarkommunen Lemgo, Lage und Leopoldshöhe wird ein MVZ auf Augenhöhe mit den niedergelassenen Ärzten und unter Einbindung eines starken Partners aus dem Gesundheitssektor, dem Deutschen Roten Kreuz, geplant“, so der Fraktionsvorsitzende.

Die CDU-Fraktion kritisiert auch, dass durch das geplante MVZ eine unnötige Konkurrenzsituation für die ansässigen Ärzte geschaffen wird. „Die bereits niedergelassenen Ärzte stehen bereit, die Patienten zu versorgen, und die Schaffung weiterer Konkurrenz ist daher nicht notwendig“, so Gerber. Dies könnte die bestehende Versorgung destabilisieren und zusätzliche finanzielle Belastungen für die Gemeinde mit sich bringen.