Detmold. Der US-amerikanisch-deutsche Schauspieler und Filmproduzent Walter Sittler erlangte in den 1990er Jahren große Popularität durch Fernsehserien wie „Girl Friends“ oder „Nikola“. Im Januar ist er zu Gast in Detmold.
Sein Gesicht ist seit Jahrzehnten aus dem deutschen Fernsehen nicht wegzudenken, doch begonnen hat Sittler seine Schauspielerlaufbahn am Theater; seit knapp 20 Jahren hat ihn das Theater wieder zurück, unter anderem mit drei Stücken zur Person von Erich Kästner. Mit der literarisch-musikalischen Revue „Prost Onkel Erich“ kommt der 72-Jährige am 24. Januar ins Landestheater Detmold. Im LWZ-Interview spricht er über Verantwortung, Gelassenheit und darüber, was eine Demokratie ausmacht.
LIPPISCHE WOCHENZEITUNG (LWZ): Herr Sittler, haben Sie schon als Kind Erich Kästner gelesen und geliebt?
Walter Sittler: Bei uns daheim gab es lediglich einen Band Tucholsky, sonst nichts. Erich Kästner ist mir somit erst in der Schule begegnet, später dann in der Schauspielschule und seit 2005 ganz intensiv, dank mittlerweile mehr als 500 Vorstellungen, die ich gespielt habe.
LWZ: Was schätzen Sie an Erich Kästner besonders?
Sittler: Ich mag, wie er denkt, wie er schreibt, wie er auf die Welt schaut – das ist sehr klug. Und mir gefällt, dass er sich selbst nicht so wichtig nimmt, sondern einfach versucht zu beschreiben, was er sieht, nicht was der Leser sehen oder denken soll – denken musst du selbst. Er ist in seinen Worten sehr klar, macht aber niemanden schlecht; zum Beispiel wie er über seine Mutter schreibt, zu der er eine sehr komplizierte Beziehung hatte, über die Schwierigkeiten, die er als Sohn hatte – nämlich dem gerecht zu werden, was er glaubte, als Sohn sein zu müssen. Und Erich Kästner hat nie vergessen, wo er herkommt, sein Vater war Sattler, seine Mutter hat Friseurin gelernt – er ist immer auf der Seite der normalen Menschen, nicht auf der der Reichen.
LWZ: Wie wichtig ist es für Sie als Künstler sich politisch zu äußern?
Sittler: In einer Zeit wie dieser ist es für jeden wichtig, für das einzutreten, was er für richtig hält; auch ich bin nicht mit allem einverstanden, was in der Welt los ist, und wenn ich sehe, was um uns herum passiert, egal ob es jetzt in den USA ist, in der Türkei, in Ungarn oder in Argentinien, da merkt man, dass es den Verantwortlichen überhaupt nicht mehr um die Menschen geht, sondern nur um ihre Macht, und jeder, der nicht ihrer Meinung ist, wird verunglimpft oder Schlimmeres. Wir werden das in Amerika erleben – da werden Tausende, die nicht auf Trumps Seite sind, ihren Beruf verlieren.
LWZ: Erwarten Sie auch für Deutschland einen deutlich spürbaren Rechtsruck?
Sittler: Man muss sagen, dass es in Deutschland schon immer eine relativ starke, rechte Szene gab, auch nach dem Zweiten Weltkrieg und in den 1960er-Jahren, die waren nur nicht so laut und haben sich nicht so weit rausgetraut; jetzt, mit dem Rechtsruck in der ganzen Welt, trauen sie sich mehr; allerdings glaube ich nicht, dass sie in der Bundesrepublik so stark werden, wie sie es beispielsweise in den USA sind, weil wir eine andere Tradition haben.
Dass dieses Unsinn-Reden und einfach irgendetwas behaupten, nur um zu polarisieren und für Schlagzeilen zu sorgen, dann auch noch Erfolg hat und den rechten Populisten, gerade bei konservativen Zeitungen, die erste Seite beschert, ist sehr bedauerlich – da machen die Zeitungen keine besonders gute Figur und das ist für die Demokratie abträglich. Eine unabhängige Presse ist unerlässlich für eine demokratische Gesellschaft.
Natürlich kostet es, Informationen zu bekommen, Redakteure müssen vernünftig bezahlt werden, damit sie ordentlich recherchieren können. Leider hat man sich durchs Internet daran gewöhnt, alles Mögliche umsonst zu bekommen, aber das hat dann auch eine ganz andere Qualität. Hinderlich ist, dass die meisten Zeitungen in einem großen Verbund sind, und dann wird eben flächendeckend positiv über zum Beispiel „Stuttgart 21“ geschrieben, oder die CDU wird gehypt, während die Grünen gebasht werden. Wenn sie mit den eigenen Leuten genauso umgegangen wären, wie mit den Grünen, dann wäre bei der CDU kein Stein auf dem anderen geblieben.
LWZ: Was ist Ihr Verständnis von Demokratie und wo sehen Sie diese am ehesten in Gefahr?
Sittler: Wir haben eine Verfassung, wo die Gewalt vom Volke ausgeht. Die von uns in die Verantwortung gewählten Politiker sind uns rechenschaftspflichtig; und die Demokratie hat ein Gerechtigkeitsversprechen, auf das unbedingt hingearbeitet werden muss.
LWZ: Im Programm „Lieber Onkel Erich“ spielen auch die Briefe Kästners an seine Mutter eine Rolle – ist für Sie das Briefeschreiben noch eine Option?
Sittler: Das Briefeschreiben hat bei mir stark abgenommen, ich schreibe eher mal eine Postkarte, ansonsten Mails und nur ganz selten Briefe, was ich allerdings ein bisschen bedauere, da ich selbst sehr gerne Briefe bekomme – die kriegt man aber nur, wenn man welche schreibt. Vielleicht bekomme ich das in Zukunft besser hin, denn eigentlich bin ich ja nun ein alter, weißer Mann in Rente, nur spüre ich im Moment noch nichts davon.
LWZ: Ist das so besonders arbeitsreiche Rentnerleben der großen Freude zu verdanken, mit der Sie Ihren Beruf ausüben?
Sittler: Solange mich jemand sehen will, mache ich weiter, denn es ist für mich ein Vergnügen, mit so schönen Programmen, wie den drei Kästner-Abenden, auf der Bühne zu stehen; das Spielen ist mein Beruf und den mochte ich schon immer. Das Anstrengende dabei ist tatsächlich, zu den Vorstellungen zu fahren – wenn ich dann da bin, ist alles gut.
LWZ: Sie machen viel, was lange hält, von den verschiedenen Serien bis hin zu ihrer Ehe (Anm. d. Red. Sittler ist seit 40 Jahren mit der Dokumentarfilm-Regisseurin Sigrid Klausmann verheiratet) – gibt’s ein besonderes Erfolgsrezept?
Sittler: Es gibt kein wirkliches Rezept, aber vielleicht ein paar Zutaten: erstens, sich nicht so wichtig nehmen und nicht glauben, dass das einzig Richtige das ist, was man selbst denkt, sondern mehr darauf achten, wie es dem Gegenüber geht; zweitens, einfach mal alle Fünfe grade sein lassen und nicht alles auf die Goldwaage legen – in einer langjährigen Beziehung muss man das können.
LWZ: Die letzte lange Serie, in der Sie die Hauptfigur verkörpert haben, ist „Der Kommissar und das Meer“, eine deutsch-schwedische Krimiserie, die mehr als 14 Jahre lief. In dieser Produktion haben Sie mit der Pippi-Langstrumpf-Darstellerin Inger Nilsson gespielt – war das von besonderer Bedeutung für Sie?
Sittler: Da es zu meiner Kindheit daheim keinen Fernseher gab, habe ich die Filme erst später durch die eigenen Kinder kennengelernt. Die Begegnung war sehr besonders, da sie eigentlich immer noch so ist, wie man sie von damals kennt – sie ist wach, schnell, nervös und humorvoll, aber die Rolle der Pippi Langstrumpf war ihrer Schauspielerkarriere nicht zuträglich, da sie dieses Pippi-Image nicht losgeworden ist, auch als erwachsene Frau.
LWZ: Was das Älterwerden betrifft: Schauen Sie da eher gelassen in die Zukunft oder gibt’s auch einen sorgenvollen Blick in diese Richtung?
Sittler: Sagen wir mal so, ich kann nicht mehr so schnell laufen wie die Jüngeren und komme schneller aus dem Atem, aber jünger war ich schon, das müssen jetzt andere Generationen machen; und das Schöne an meinem Beruf ist, dass man immer neue Rollen dazu gewinnt, die man vorher auf Grund des fehlenden Alters gar nicht spielen konnte. Außerdem geht man mit sämtlichen Situationen gelassener um, Hauptsache man hat seine Freunde, seine Familie und geht gut miteinander um. Meine Überzeugung ist: Wir sind dafür da, um uns das Leben leicht zu machen, und was wir gerade in den USA erleben, ist das absolute Gegenteil und das tut mir wahnsinnig leid, da ich Amerikaner bin und Menschen dort habe – ich könnte gar nicht so laut schreien wie ich möchte, wenn ich sehe, was da im Moment passiert!
Das Gespräch führte Mathias Lindner.
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Der gebürtige Aachener Mathias Lindner liebt das Kreativsein und hat sich in vielen kulturellen Sparten ausprobiert: Musik, Zeichnen, Gestalten, Schreiben, Radio machen und seit zwölf Jahren mit Leidenschaft Filmen – am liebsten Tiere und Tanz. Bei allem, was er macht, ist ihm eines besonders wichtig: Der Humor, der ihm auch dann wieder auf die Beine hilft, wenn er als Berichterstatter in einem Schweinemaststall gelandet ist.