Lage-Hardissen. Olga Oberdörfer aus Hardissen brauchte nicht lange nachzudenken, wie sie die im Sandkamp heimatlos gewordene Familie in ihrem Eigenheim an der Hermann-Hesse-Straße unterbringen soll. „Da rücken wir zusammen“, sagt sie im Gespräch mit der LWZ.
Das Foto von der ausgebrannten Wohnung sieht schon schauerlich aus. Ein dicker schwarzer Rauchbelag zeigt an, mit welcher Wucht die Flammen am Sonntag, 2. Februar, aus dem Fenster geschlagen haben. Die Feuerwehr rückte im Eiltempo vor dem Haus in der Straße „Im Sandkamp“ an, schräg gegenüber der Kita des Kinderschutzbundes: Die Wohnung im Dachgeschoss des Wohnhauses stand zu diesem Zeitpunkt in hellen Flammen. Der Rauchmelder hatte kurz zuvor laut gebrüllt, schrill und in höchsten Tönen. Der 55-jährige Bewohner, der den Brand als Erster bemerkte, erlitt eine leichte Rauchvergiftung und wurde ins Krankenhaus gebracht.
Die Ermittlungen der Kriminalpolizei ergaben anschließend, dass das Feuer mit hoher Wahrscheinlichkeit durch einen technischen Defekt an der Elektronik im Schlafzimmer des Obergeschosses entstanden war. Brandexperten schätzen den Schaden auf etwa 150.000 Euro.
Dringlicher war die Frage, wo die ausgebrannte Familie denn nun unterkommen sollte. Für Walter und Olga Oberdörfer aus Hardissen keine Frage. „Blut ist dicker als Wasser“, sagten sie und rüsteten ihr Einfamilienhaus an der Hermann-Hesse-Straße für die Aufnahme der obdachlos gewordenen Verwandtschaft aus. Keine leichte Aufgabe trotz des gewohnt großen Umfangs der Familie: drei Kinder, zehn Enkelkinder; ein Urenkel unterwegs. Im Obergeschoss wohnt die Familie einer Enkeltochter, also blieb für die Neuaufnahme nur der Keller übrig.
Das Wohnquartier am Hudeweg wird mitunter geringschätzig als „Klein Moskau“ bezeichnet: Tatsächlich wohnen dort – allerdings schon seit Jahrzehnten – deutsch-russische Aussiedlerfamilien der ersten Einwanderungs-Welle in den 80er-Jahren. Mitunter kann man hören, wie sie sich wieder untereinander auf Russisch unterhalten, nachdem diese Mundart lange Zeit geradezu verpönt war. Warum jetzt wieder? Weil sie’s können, und weil Zweisprachigkeit ein Trumpf ist, der den geistigen Horizont erweitert.
Die Vorteile einer traditionellen Lebenseinstellung sind in Notsituationen besonders gut zu sehen. Familie steht da an Nummer eins, dicht gefolgt von der Gemeinschaft, mit der sich die Familien eng verbunden fühlen. Da ist es sowas von selbstverständlich, dass man einander selbstlos hilft, wenn die Umstände es erfordern.
Susanne Semler gehört zwar nicht zur Familie, aber sie fühlte sich sofort herausgefordert, als sie hörte, dass der Familie ihrer Freundin schreckliches passiert war. Sieben Menschen mussten schnell bei Verwandten untergebracht werden. Die Schulfreundin, deren Ehemann, der Bruder der Schulfreundin, die beiden Kinder im Alter von drei und anderthalb Jahren und die Großeltern haben in dem Haus im Sandkamp gewohnt. Sieben Personen.
Der Schaden ist groß. „Die erste und zweite Etage müssen renoviert werden. Die Sachen der Familie sind allesamt unbrauchbar. Es ist verbrannt, riecht alles nach Rauch, das Löschwasser hat auch vieles zerstört“, sagt Susanne Semler nach einem Bericht der LZ vom 19. Februar. Sie sammelte Spenden in Höhe von rund 30.000 Euro, die der siebenköpfigen Familie helfen sollen, wieder neu anzufangen; denn eine Hausratversicherung hatte die Familie nicht. Wann alle wieder in das Haus zurückkehren können, die Versicherungsfragen geklärt und die Reparaturen gemacht sind, stehe noch nicht fest. Ein Jahr wird die Renovierung aber wohl mindestens in Anspruch nehmen.