Lagenser Verkehrslogik: Verfehlte Straßenbeschilderung erzeugt brenzlige Situationen

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Verwegene Verkehrslösung: Obwohl die rechte Fahrbahn von Hindernissen frei ist, wird der Verkehr in Richtung Detmold - nahe der Zuckerfabrik - durch eine überflüssige Absperrung zum Spurwechsel gezwungen und in den Gegenverkehr gelenkt. Fotos: Hajo Gärtner
Das ist jetzt schon der zweite Unfall binnen weniger Tage im Zusammenhang mit der Baustelle an der B239. Für den ersten am „Landgasthaus Ellernkrug“ war jedoch nicht die bizarre Absperrung ursächlich. Fotos: Gärtner

Lage. Auf der einen Seite will die Stadt dem „Blitzer“-Kartell Detmold beitreten, um mit einem vermehrten Einsatz von Geschwindigkeitskontrollgeräten mehr Sicherheit im Verkehr zu schaffen. Auf der anderen Seite toleriert sie schon seit Wochen gefährliche Situationen an der B239.

Der Unterschied ist klar: Bei der vermehrten Blitzerei soll es um die Sicherheit der „vulnerablen Gruppe“ gehen, also der Kinder, Radfahrer, Senioren. An der B239 sind „nur die Autofahrer“ in Gefahr. Und zwar durch eine aberwitzige Beschilderung, die zu Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung verleitet.

An dieser Kreuzung in Höhe der Dieselstraße verpasste die Polizei Autofahrern vor ein paar Wochen 45 Strafzettel in drei Stunden: wegen „verbotener Einfahrt“. Heute hält sich keiner mehr an das Verbotsschild und niemand befürchtet eine Polizeikontrolle.

Man darf eigentlich nicht in die B239 Richtung Detmold einbiegen: auf Höhe des Ostrings. Das sagt ein „Einfahrt verboten“-Schild, verbunden mit der entsprechenden Absperrung, die man aber tatsächlich – und rein physisch – problemlos passieren kann. Drei Mahnungen sieht der Autofahrer unterwegs: am „Marktkauf“-Kreisel, auf Höhe der Friedrich-Wienke-Straße und schließlich vor Holz Speckmann. „Frei bis Dieselstraße“ steht da jedes Mal, was in Verbindung mit einem „Einfahrt verboten“-Schild paradox erscheint.

Als die Polizei das Verbot der Einfahrt in die Detmolder Straße im Januar kontrolliert hat, verbuchte sie in drei Stunden 45 Verkehrsverstöße und stellte entsprechend viele Strafbescheide im 50-Euro-Wert aus. An der Beschilderung und Absperrung hat sich nichts geändert, aber jetzt kontrolliert niemand mehr und die Autofahrer fahren von Lage aus in Richtung Detmold, um auf kurzem Weg und ungestört die Firma Meise oder das Gewerbegebiet Sülterheide zu erreichen.

Aber es kommt noch besser: Auf Höhe der Friedrich-Wienke-Straße zwingt Absperrung Nummer zwei die Autofahrer, auf die linke Fahrbahn zu wechseln, um das Hindernis zu umfahren: ab in den Gegenverkehr.  Und dann müssen die Autolenker auch noch ein weiß umrandetes Flächenfeld mit dicken weißen Querstreifen durchqueren. Jeder Autofahrer weiß, was das bedeutet: Eine Sperrfläche darf gemäß StVO nicht mit einem Fahrzeug benutzt werden. Daher ist es nicht gestattet, die Markierung zum Ausweichen, Überholen, Halten oder Parken zu verwenden. In Höhe der Friedrich-Wieneke-Straße werden Fahrzeuge zum Passieren der Sperrfläche aber gezwungen.

Und warum fahren alle in Höhe des Ostrings in der Detmolder Straße weiter wie die Lemminge? Im Februar hat man Autofahrer gesehen, die sich vorsichtig und zaghaft an der Absperrung vorbeimogelten. Dann folgten andere selbstsicher, und jetzt gibt es dort einen regelmäßigen Verkehrsfluss der Selbstbewussten. Die Entwicklung muss man sich ähnlich vorstellen wie bei der Entstehung einer veritablen Müllhalde im Wald. Erst wirft einer einen Müllsack rein, ein zweiter wirft seinen kompletten Hausmüll nach – und dann gibt’s kein Halten mehr.

Ich frage bei der Polizeiwache in Lage nach. Die Polizei sei hier nicht zuständig, sagen mir die freundlichen Beamten. Verantwortlich sei vielmehr das Unternehmen, das eine Firma mit der Baustellen-Absicherung beauftragt hat, und letztlich die Stadt. Aber darf die Polizei tatenlos zusehen, wenn die Stadt Autofahrer zu Straftaten im Straßenverkehr verleitet? Und das auch noch quasi vor der eigenen Haustür?

Lassen wir die Kirche im Dorf. Nehmen wir an, das gegebene Ignorieren einer Absperrung werde toleriert, solange die Baufirma noch nicht losgelegt hat. Nehmen wir sogar mal an, die Passage vom Ostring her gelte als erlaubt, und die drei Verbotsschilder davor seien eine Art Straßen-Dekor. Dann frage ich mich doch: Wann fängt die Firma denn an, ihre Kabel zu verlegen? Im Januar fand die erste halbseitige Sperrung der B239 statt, die dann nach Anwohnerprotesten gegen den Umgehungsverkehr eine Woche später wieder aufgehoben wurde.

Dann diskutierte man eine zweistreifige Lösung mit Bauampeln, um auch die wieder zu verwerfen, weil der Rückstau vor der Ampel zu lang würde. Ende Februar sollte die Baumaßnahme beendet sein. Jetzt, Ende März, hat sie noch nicht einmal begonnen. Wie lange will sich die Stadt Lage denn noch auf der Nase herumtanzen lassen? Der Sprecher der Firma, die das Glasfaserkabel im Auftrag der Firma EWE verlegen soll, haut mal diese, mal jene Nachricht über den geplanten Baubeginn heraus; und dann noch eine dritte, die den beiden anderen zuwiderläuft. Mal ist die Witterung zu schlecht, mal schmeckt auch der bereits geplante Zeitpunkt nicht so richtig.

Noch eine Kuriosität: Auf der B239 in Höhe der Stadtwerke weist ein großes gelbes Straßenschild die Umleitung „U3“ über die Pivitsheider Straße aus. Die Abfahrt über die Breite Straße wird für „gesperrt“ erklärt (doppelt rot durchgestrichen). Wie das? Die Straße führt doch vollkommen frei am Schulzentrum und Marktkauf vorbei.

Damit sollen wohl potenzielle Linksabbieger schon im Vorfeld daran gehindert werden, durch Heiden zu düsen. Sympathischer Zug: Das Dorf Heiden wird geschont, denn die Umleitung über die Pivitsheider Straße ist verkehrstechnisch sicherlich das geringere Übel. Aber: Darf man eine Straße einfach so als „gesperrt“ ausgeben, obwohl sie von Hindernissen vollkommen frei ist? Außerdem möchten dort gern Autofahrer lang fahren, die auf kurzem Weg nach Bad Salzuflen oder Herford oder zur A2 in Richtung Hannover wollen.

Folgen sie der ausgewiesenen Umleitung „U3“, wird ihnen ein mächtiger Umweg auferlegt: über die Pivitsheider Straße, am „Kohlpott“ scharf links um die Kurve, runter bis zur Kreuzung „Ellernkrug“, und dann zurück über die Detmolder Straße (B239) bis zum Ausgangspunkt-Kreisel, um sich – diesmal auf der anderen Straßenseite – in Richtung Oerlinghausen, Bad Salzuflen oder Herford führen zu lassen. Macht ’ne gute Stunde Fahrtzeit obendrauf.

Ist es fair, dem Umgehungsverkehr eine Stunde Umweg aufzubrummen, indem man eine Straße für gesperrt erklärt, damit das Dorf Heiden von eventuellem Umgehungsverkehr verschont bleibt? Nach links abbiegen möchte hier auch gern, wer nach Bad Salzuflen, Herford oder zur A2 will. Natürlich kommt man da auch nach Lemgo oder Detmold. Warum wird hier gelogen, dass sich die Straßen biegen?

Ist es fair, dem Umgehungsverkehr eine Stunde Umweg aufzubrummen, indem man eine Straße für gesperrt erklärt, damit das Dorf Heiden von eventuellem Umgehungsverkehr verschont bleibt? Nach links abbiegen möchte hier auch gern, wer nach Bad Salzuflen, Herford oder zur A2 will. Natürlich kommt man da auch nach Lemgo oder Detmold. Warum wird hier gelogen, dass sich die Straßen biegen?

Noch eine Kuriosität: Wer die Baustelle aus Richtung Detmold nach Lage passiert, kann – wenn er gut aufpasst und auf der Streckenhälfte genau hinsieht – am Rand der rechten Fahrbahn ein „Tempo 70“-Schild entdecken. Es ist weder durchgestrichen, noch mit einem Tuch verhängt oder sonstwie ungültig gemacht. Tempo 70 in einer Baustelle wie dieser? Das macht doch nun überhaupt keinen Sinn.

Eine Stadt, die sich um den Verkehr vor Kindergärten sorgt, sollte sich auch um die Situation auf ihren großen Straßen Gedanken machen. Sonst bestätigt sich der Verdacht, dass die programmatisch „autofreundliche Stadt“ des ausgehenden 20. Jahrhunderts sich in eine „autofahrerfeindliche Stadt“ des neuen Jahrtausends verwandelt hat.

Tatsächlich passieren vor Kitas und Seniorenheimen weitaus weniger schlimme Unfälle als auf großen Straßen. Kinder kommen nicht vor der Kita, sondern im elterlichen Auto oder auf dem Fahrrad entlang einer großen Straße zu Tode. Weitaus mehr Menschen sterben auf der Landstraße als vor dem Seniorenheim. Vor Kindergärten führt auch nicht der Durchgangsverkehr zu gefährlichen Situationen, sondern die endlose, undisziplinierte Schlange der „Elterntaxis“.