Detmold. Dass Alexander Muth an diesem Sonntag (30. März) seinen 100. Geburtstag feiert, wundert seinen Sohn Andrej Muth (61) kein bisschen. Denn der Vater hat sich seine Vitalität das ganze Leben über erhalten. Ergebnis: sieben Kinder, 15 Enkel, 23 Urenkel und ein Ururenkel. Das schaffen in der Tat nicht viele Menschen, auch wenn die Zahl der 100-Jährigen (und älter) weltweit steigt.
So leben allein in Deutschland 23.500, weltweit 343.000 „Methusalems“. Doch diese große Zahl täuscht, denn wenn man sie auf die Weltbewohnerzahl insgesamt bezieht, bleibt man unter 0,0005 Prozent, also weit unter dem Tausendstel eines Prozents. In Deutschland machen die „Methusalems“ immerhin 2,8 Prozent aus.
Alexander Muth ist einer von diesen Langlebigen. Dabei hatte er es im Leben durchaus nicht immer leicht. In Russland geboren, verbannte ihn Stalin 1941 nach Sibirien, wie überhaupt alle Russlanddeutschen: als potenzielle „Verräter“.
Denn Stalin sah sie als Deutsche an, und gegen die führte er einen erbarmungslosen Krieg, den Hitler ihm in jenem Jahr mit der Operation „Barbarossa“ aufgezwungen hatte. So wurde Alexander als Jugendlicher (17 Jahre alt) in ein Arbeitslager gesteckt, das viele seiner Mithäftlinge nicht überlebten. 200 Gramm Brot gab es pro Tag und eine Kohlsuppe, die den Namen Suppe nicht verdiente und nach Kohl höchstens roch. Die Häftlinge mussten den ganzen Tag und die ganze Woche über draußen arbeiten, selbst wenn das Thermometer unter minus 40 Grad fiel.
Nachdem Stalin „den Löffel abgegeben hatte“ und sein Nachfolger Breschnew die Zügel etwas lockerer ließ, durfte Alexander Muth ausreisen und siedelte sich 1957 mit den Seinen in Krasnojarsk im Dorf Besjasykowo (Kirgisien) an. 1950 hatte er nämlich geheiratet. Nun durfte er in einer deutschen Siedlung endlich wieder ungestraft seine Muttersprache sprechen und die christliche Religion ausleben.
In Russland hatte seine Mutter den Kindern immer eingeschärft, bloß nicht Deutsch zu reden, denn damit hätten sie die Verfolgung auf sich gezogen. Ein Jahr später zog der KPdSU-Chef die Zügel mit seiner „Breschnew-Doktrin“ wieder an, um die Vasallenstaaten der UdSSR auf Linie zu bringen, was unter anderem zum Ungarn-Aufstand 1956 und zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 führte.
Im stalinistischen Arbeitslager musste Alexander Muth mit knurrendem Magen und frierenden Händen Bäume fällen; in Kirgisien hatte er eine führende Position in einem „riesengroßen Lager“ für landwirtschaftliche Ersatzteile inne. Nahezu das ganze Dorf Besjasykowo arbeitete für diesen Arbeitgeber, der seine Leute sehr gut behandelt habe.
Woher wissen wir das alles so genau? Alexander Muth hat mehrere Bücher geschrieben, die vom Schicksal der deutsch-russischen Auswanderer erzählen. Diese Bücher seien in Museen sehr gefragt, berichtet sein Sohn Andrej.
Warum ist Alexander Muth dann nicht in Kirgisien geblieben? Warum ist er mit seiner Familie im Alter von 64 Jahren nach Deutschland ausgewandert? „Letztlich ging es darum, seine Religion vollgültig auszuleben“, sagt sein Sohn Andrej, der sich nicht mehr so stark an Religion gebunden fühlt wie sein Vater. Andrej arbeitet bei Isringhausen in Lemgo und hat in seinem großen, schönen Haus an der Barntruper Straße in Detmold ein gutes Auskommen. Er weiß, wem er das zu verdanken hat.