Berlin. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ist ein Kanzlerkandidat nach einer Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen im ersten Wahlgang gescheitert. CDU-Vorsitzender Friedrich Merz erhielt in der geheimen Abstimmung lediglich 310 Stimmen – sechs weniger als die erforderliche absolute Mehrheit von 316. Das berichtet die Tagesschau.
Trotz einer rechnerischen Mehrheit von CDU/CSU und SPD mit insgesamt 328 Sitzen stimmten offenbar nicht alle Koalitionsabgeordneten für Merz. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner verkündete das Ergebnis offiziell und stellte fest, dass Merz somit nicht zum Bundeskanzler gewählt sei – gemäß Artikel 63 Absatz 2 des Grundgesetzes. Insgesamt beteiligten sich 621 von 630 Abgeordneten an der Abstimmung.
Die Abstimmung gilt als politisches Beben. Noch nie zuvor hat ein designierter Kanzler im Bundestag in der ersten Wahlrunde keine Mehrheit erhalten. Die Sitzung wurde daraufhin unterbrochen, die Fraktionen beraten derzeit über das weitere Vorgehen.
Sowohl Merz als auch SPD-Co-Vorsitzender Lars Klingbeil hatten sich vor der Wahl zuversichtlich gezeigt, dass eine klare Mehrheit hinter ihrem Regierungsbündnis stehen würde. Interne Fraktionssitzungen am Morgen hatten bestätigt, dass alle Abgeordneten anwesend seien.
Laut Grundgesetz kann der Bundestag nun innerhalb von 14 Tagen erneut einen Kanzler wählen – mit absoluter Mehrheit. Innerhalb dieses Zeitraums sind mehrere Wahlgänge möglich. Sollte auch dann kein Kandidat die Mehrheit erreichen, genügt in einem dritten Wahlgang die einfache Mehrheit der anwesenden Abgeordneten.
Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters soll Unzufriedenheit innerhalb der Koalitionsfraktionen zum Wahlergebnis beigetragen haben. In der Union habe es Kritik an der neuen Finanzpolitik gegeben, insbesondere wegen der Lockerung der Schuldenbremse und geplanter Milliardeninvestitionen. Auch in der SPD gab es Vorbehalte gegenüber Merz – etwa wegen seiner politischen Ausrichtung oder der Rollenverteilung innerhalb der Koalition.
Aus dem Umfeld der SPD-Fraktion hieß es gegenüber der dpa, man gehe davon aus, dass die SPD-Abgeordneten geschlossen für Merz gestimmt hätten. Allerdings gab es vereinzelt Hinweise auf Unmut über die starke Position von Lars Klingbeil.
Die Oppositionsparteien reagierten scharf auf das Wahlergebnis: AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel sprach von einem schlechten Vorzeichen für die neue Regierung und warf der Koalition politische Schwäche vor. Auch aus der Linkspartei kam Kritik: Co-Vorsitzender Jan van Aken bezeichnete das Abstimmungsergebnis als Vertrauensverlust und Ines Schwerdtner warf Merz vor, sich nicht klar genug von der AfD zu distanzieren.
Update
Der zweite Wahlgang, um Friedrich Merz als neuen Bundeskanzler zu ernennen, startete noch am heutigen Dienstag um 15.15 Uhr. In diesem wurde Merz dann als neuer deutscher Kanzler bestätigt.