Zeitgeist, Zwang und historischer Irrtum: Lages Politiker auf dem Langen Marsch der Genderer

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Mit dieser Karikatur geißelte die Universität Duisburg-Essen auf ihrer Website am 16. Dezember 2020 satirisch den Vorstoß "gendergerechter Sprache" im akademischen Betrieb. Das ändert nichts daran, dass in so ziemlich allen Unis inzwischen "Gendersprache"-Leitfäden den akademischen Sprachgebrauch bestimmen und hässlicher Sprachgebrauch mit Notendruck durchgesetzt wird. Grafik: Uni Duisburg-Essen

Kreis Lippe/Lage. In der Lagenser Politik – und nicht nur dort – sind Doppelnennungen wie „Bürgerinnen und Bürger“, „Wählerinnen und Wähler“, „Einwohnerinnen und Einwohner“ verbreitet zur Standardformulierung geworden. Inzwischen gehört „doppelt gemoppelt“ auch zum Standardvokabular von Verwaltungen und Vereinen. Deshalb ist mal eine historische Aufklärung angebracht.  

Die sogenannte „gendergerechte Sprache“ ist als Teil der „political correctness“ geradezu ein moralisches Gebot geworden. Wer Doppelnennungen wie „Lehrerinnen und Lehrer“ nicht anwendet oder durch „Lehrkräfte“ ersetzt, gilt vielen inzwischen als konservativ, reaktionär oder gar „Nazi“. Dabei ist der von Kritikern als „Gendergaga“ bezeichnete Sprachduktus noch gar nicht so alt und gleichzeitig älter, als man denkt. Niemand ist – wenn er sprachlich korrekt formulieren will – dazu verpflichtet. Noch nicht.

Von der feministischen Linguistik in den 70er- und 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts gepuscht, spricht der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker sein Publikum in seiner Weihnachtsansprache am 24. Dezember 1985 als „Bürgerinnen und Bürger“ an. Eines der frühen Dokumente dieses neuen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik.

Die Zeitung Welt hat jüngst aber darauf hingewiesen, dass als erster Adolf Hitler schon ab 1925 die Doppelnennung benutzte. Am 1. Mai 1933 begrüßt Hitler seine große Zuhörerschar auf dem Tempelhofer Feld in Berlin so: „Deutsche Volksgenossen und Volksgenossinnen, der Mai ist gekommen.“ Er hat soeben den „Tag der Arbeit“- erstmals begangen am 1. Mai 1890 als internationaler Kampftag der Arbeiterbewegung – zum nationalen Feiertag erklärt, was ihn nicht daran hindert, tags drauf die freien Gewerkschaften zu zerschlagen und durch die nationalsozialistische „Deutsche Arbeitsfront“ zu ersetzen.

Hitler also ein Vorkämpfer der „gendergerechten Sprache“? Jedenfalls sieht er sie als taugliches Mittel an, auch den weiblichen Teil seiner „Volksgemeinschaft“ nationalistisch stilbildend zu adressieren.

Natürlich verfolgt die feministische Bewegung und ihr linguistischer Arm der 70er Jahre eine ganz andere Intention. Es geht nun darum, die Sichtbarkeit von Frauen in der Sprache zu erhöhen und eine inklusive Ansprache zu fördern. Dieses Argument ist das treibende Motiv, mit dem sich der neue sprachliche Standard in Politik und Verwaltung, akademischem Betrieb und Schuladministration durchsetzt. Er wird inzwischen an vielen Unis mit Zeugnisnotendruck erzwungen.

Und das, obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung das „Gendern“ ablehnt. Die Zahlen schwanken bei den Meinungsforschungsinstituten zwar, liegen aber allemal bei einer Zweidrittel-Mehrheit für die ablehnende Haltung. Eine Umfrage von „Infratest dimap“ ergab, dass 65 Prozent der Wahlberechtigten die Verwendung „gendergerechter Sprache“ in Medien und Öffentlichkeit ablehnen. Diese Umfrage wurde im Auftrag des WDR im Erhebungszeitraum vom 22. bis 26. September 2022 durchgeführt.

Kritiker der „gendergerechten Sprache“ sehen in diesem Sprachgebrauch eine ideologisch ambitionierte Praxis, die nicht verbindet, sondern trennt. Sie argumentieren, dass durch die sprachliche Hervorhebung von Geschlechtsunterschieden eher eine Betonung des Trennenden statt des Gemeinsamen stattfinde. Das führe zu einer umfassenden Sexualisierung des Sprachgebrauchs.

Experten der Sprachwissenschaft weisen darauf hin, dass grammatische Bausteine wie das sogenannte „generische Maskulinum“ nicht auf das Geschlecht („sexus“) referieren, sondern auf eine geschlechtsunabhängige generische (= „allgemeine“) Bedeutung („genus“). Es heiße ja auch „der Busen“ (männlich?) und „die Person“ (weiblich?). Wir sagen doch: „Mr. Hyde ist eine Bestie in Menschengestalt.“ Die historische Entwicklung einer männlich dominierten Gesellschaft („Patriarchat“), die der Vergangenheit angehört, habe zu dem verbreiteten grammatischen Missverständnis „genus gleich sexus“ geführt.

Schwerer noch wiegt der sprachästhetische Aspekt: Die Sätze würden immer länger und mit holprigen und semantisch falschen Partizipial-Konstruktionen überfrachtet, klagen die Sprachfreunde: „Der ADFC meldet weniger tote Radfahrende auf Berlins Straßen.“ Also weniger Zombies? Sprache dränge von sich aus zu einem eleganten, kompakten Ausdruck. Das mache guten Stil aus. Früher lernten wir in der Schule, dass es zum guten Stil gehört, Wort-Wiederholungen zu vermeiden und intelligent zu ersetzen. Beim Gendern werden sie geradezu erzwungen.

Die Satirikerin Sarah Bosetti, die sich selbst als „Feministin wider Willen“ bezeichnet, hat es drastisch formuliert: „Gendern ist hässlich und umständlich und verwandelt die Schönheit eines jeden Satzes in Scheiße.“ Sie hat damit den Kern der „Gender“-Kritik auf den Punkt gebracht, auch wenn sie diese Kritik eigentlich satirisch geißeln wollte.

Nun wird sich nicht jeder, der Doppelformulierungen verwendet, gleich in die Tradition feministischer Sprachkritik stellen oder gar der „Gender“-Bewegung anschließen wollen. Er möchte als „progressiv“, „modern“ und „politisch korrekt“ gelten und „bloß keinen Fehler machen“. Trotzdem sollte man überlegen, wem man da den Steigbügel hält.

Wer die Sprache liebt, für den kommt „gendern“ nicht infrage; wem Sprache schnurzegal ist, der zeigt keine Hemmung, nach Kräften zu gendern. Politisch ist das „Gendern“ im linken und grünen Spektrum beheimatet; man hört Doppelformulierungen, aber genau so auch in anderen Teilen der politischen Bandbreite.