Altkleider in der Krise: Container verschwinden – Erlöse brechen weg

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Die Zahl der Altkleider-Container schwindet. Am Bauhof in Lage aber gibt’s noch ein großes Depot. Foto: Hajo Gärtner

Lage/Detmold/Bielefeld. An vielen Stellen im Kreis Lippe bauen Organisationen, die Altkleider sammeln, ihre Container ab, denn die Branche steckt in einer tiefen Krise. Die Preise auf dem Verwertungsmarkt sind drastisch gesunken, so dass sich mit dem Sammelgut kaum noch Gewinne erzielen lassen. Dazu kommt eine Vermüllung vieler Standorte, der die Container-Betreiber kaum Herr werden können.

In Lage scheint die Welt indessen noch in Ordnung zu sein: Acht adrette, saubere Sammelboxen in der Nähe von Bauhof und Feuerwehr – zwei vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), sechs aus den von Bodelschwinghschen Stiftungen (Bethel) – machen einen soliden, wohlbehüteten Eindruck, während die Container an anderen Orten nahezu im Müll ersticken: an Restmüll aller Art wie Küchenabfälle, Windeln, Verpackungen, Toaster, Staubsauger, Fernseher, Stühle, Matratzen, Teppiche.

So unappetitlich wie hier beim DRK Dieburg (Südhessen) sieht es an vielen Altkleidercontainern aus. Sie werden als Mülldeponien missbraucht.

Die Vermüllung hängt stark vom sozialen Umfeld ab und dem Wohnquartier, in dem die Container stehen, berichtet André Diestelkamp, beim DRK zuständig für die Altkleidersammlung. Eine seiner ersten Amtshandlungen, nachdem er die Verantwortung fürs DRK-Altkleidergeschäft im August vergangenen Jahres übernommen hat, war der Abzug der Container von „Plocken-Otto“ an der Krummen Weide, „dieser altehrwürdigen Fritten-Schmiede in Schötmar“.

Die Vermüllung ließ sich schlicht nicht mehr beherrschen: Vor allem, wenn die Kommunen sich für diesen Müll nicht zuständig fühlen und der Unrat notgedrungen in die Mulde der Altkleidersammler expediert werden muss. Dann baut sich auf das Problem des Einnahmeschwundes bei den Erlösen noch der Kostenpunkt „Müllentsorgung“ auf.

Ein Problem des ganzen Systems

Ist das System überhaupt noch zu halten? Diestelkamp hält es für möglich, dass auch das DRK eines Tages aufstecken muss. „Wir machen jedoch weiter, solange wir die Schwarze Null in der Bilanz sehen“, verspricht er im Gespräch mit der LWZ. „Wir haben jetzt sogar die Container der Lebenshilfe in Lemgo übernommen.“ Wenn der Sektor jedoch defizitär wird, ist es vorbei. „Wir können nicht aus Spenden für unsere sozialen Aktionen die Altkleidersammlung finanzieren“, erläutert der Experte. Es gebe Verwerter, da könne man zwar das Sammelgut noch abliefern, aber: „Die zahlen keinen Cent mehr.“

Das Problem der Container-Vermüllung kennt auch Bethel-Mitarbeiter Mükrem Mücke. „Manchmal haben wir Glück und werden den Mist beim städtischen Bauhof hier in Bielefeld  los.“ Aber andernorts bissen die Kollegen auf Granit, berichtet er. „Detmold ist da sehr pingelig.“

Zerschlissene, schmutzige Kleidung dürfe nicht mehr in die Reststoff-Tonne entsorgt werden: Diesem verbreiteten Missverständnis sitzt sogar der professionelle Bethel-Müllwerker auf und erklärt sich mit diesem Irrtum die massiv gestiegenen Ablagerungen an den Containern. Die „neue Regel“ der EU-Verordnung vom Anfang dieses Jahres zielt aber auf die Altkleider-Sortierer, nicht die privaten Haushalte.

Wie wollte man denn auch kontrollieren und sanktionieren, wenn ich eine zerschlissene Jeans weggeworfen habe? Für die Unternehmen der Sortier-Branche ist das Geschäft dadurch aber unhaltbar geworden. Wohin mit dem großen Müllanteil im „Sammelgut?“ Einfach wegwerfen – das geht jetzt nicht mehr.

Die Erlöse auf dem Altkleidermarkt sind in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. Während in den 1990er-Jahren für ein Kilogramm unsortierter Altkleider etwa 40 Cent gezahlt wurden, liegen die Preise heute nur noch bei unter 10 Cent pro Kilogramm. Ein Rückgang um 75 Prozent.

„Fast Fashion“ nimmt inzwischen einen großen Anteil im Sammel-Sortiment ein. Diese „Mode“ mit extrem kurzer Saison-Laufzeit wird nur ein, zweimal getragen und dann weggeworfen. Auf Kurzlebigkeit getrimmt, ist die Qualität so schlecht, dass Recycler, gemeinnützige Organisationen und Gemeinden dafür keine Abnehmer finden. So sind beispielsweise beim Bayerischen Roten Kreuz die Erlöse aus Altkleidersammlungen im vergangenen Jahr auf die Hälfte gesunken, obwohl die Sammelmenge um zehn Prozent gestiegen ist.

Qualitätsverlust durch Fast Fashion und das Überangebot an Altkleidern drückt die möglichen Erlöse dramatisch. Dazu kommt das Wegbrechen der Exportmärkte: Traditionelle Absatzmärkte in Afrika und Osteuropa sind durch wirtschaftliche und politische Faktoren weniger aufnahmefähig geworden und die Lieferkette staut die Ware nach Europa zurück.

Konsequenz: Ein Beispiel für den Rückgang ist die Stadt Dortmund, wo jüngst rund 331 Container entfernt wurden. In Quedlinburg im Landkreis Harz hat der Rückzug eines Anbieters vom Markt den Abbau von 36 Containern zur Folge.


Kommentar

Man kann sich darüber aufregen, dass Altkleidercontainer verschwinden. Es scheint schwieriger zu werden, alte Kleidung loszuwerden. Tatsächlich braucht man nur nach verbliebenen Container-Standorten zu suchen. Es sind im Kreis Lippe noch richtig viele. Sie werden vom DRK im Internet schön übersichtlich aufgelistet.

Das ist aber nicht die ganze Wahrheit. Jährlich werden in Deutschland rund 1,3 Millionen Tonnen Kleidung entsorgt, ein großer Anteil davon nur ein, zweimal getragen. Davon landen etwa 50 Prozent in Altkleidercontainern. Doch was früher oft hochwertige, gut erhaltene Kleidung war, ist heute in der Mehrzahl minderwertig: sogenannte „Fast Fashion“ dominiert den Markt.

Immer kürzere Modetrends – zwei, drei pro Saison – billige Produktion und mangelhafte Qualität führen dazu, dass viele Kleidungsstücke kaum ein zweites Leben führen können. Die Textilberge wachsen, und wohltätige Organisationen sowie Recyclingfirmen stoßen an ihre Grenzen. Aus wohltätiger Absicht ist ein komplexes Problem geworden. Was einmal als Mittel zur Ressourcenschonung und nachhaltiger Lebensweise gedacht war, hat sich ins glatte Gegenteil verkehrt. Ohne Reform des ganzen Systems lässt sich Altkleidersammlung mit einem modernen ökologischen Bewusstsein nicht mehr vertreten.

Mehr als 60 Prozent der weltweiten Kleidung bestehen mittlerweile aus synthetischen Fasern wie Polyester, Nylon, Acryl oder Elastan. Polyester ist dabei der meistverwendete Stoff in der Textilindustrie – vor allem in der günstigen Massenware der Fast-Fashion-Marken.

Diese Fasern werden aus Erdöl hergestellt und sind somit nicht biologisch abbaubar. Und sie verbrauchen jenen problematischen Rohstoff, den man in anderen Sektoren notgedrungen, aber produktiver einsetzen könnte. Dazu kommt die Plastik-Vermüllung in der Luft, zu Wasser und zu Lande. Mikroplastik belastet inzwischen sogar den menschlichen Organismus erheblich.

Was gar nicht geht: gemeinnützige Organisationen wie das DRK und Bethel mit dem gesamtgesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Problem im Regen stehenzulassen. Letztlich ist ein Umdenken beim Verbraucher gefragt: nachhaltig denken, weniger konsumieren, weniger wegwerfen, bescheidener leben.