Bad Meinberg. Beliebter als Fußball ist im Laufe der vergangenen Jahre die indische Philosophie für Seele, Körper und Geist geworden – circa 20 Prozent der Deutschen praktizieren mittlerweile Yoga, während nur elf Prozent aktiv dem runden Leder hinterherjagen. Am 21. Juni ist der Tag des Yoga, der die vielen Vorteile der Yoga-Praxis in den Fokus rückt.
Als Nicht-Yogi kennt man, wenigstens rein optisch gesehen, die bekanntesten Übungen des Yogas, was aber dahintersteckt, ist für den Ungeübten eher schleierhaft. Yoga ist tatsächlich mehr als nur Atmung, Körperbeherrschung und Meditation.
Yoga, das in ungefähr 130 verschiedenen Arten existiert, ist auch Lebensphilosophie und Lebensweisheit: Einfach leben und erhaben denken – das trifft den Kern dieser Philosophie, oder wie Mahatma Gandhi es ausdrückte: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier“.
Gerade in Zeiten des materiellen Überflusses und der digitalen Überflutung scheint eine Sehnsucht da zu sein, von all dem Abstand zu nehmen – wenigstens gelegentlich. Auch der Wunsch nach Veränderung und hin zu einer nachhaltigen Lebensweise führt zur Yoga-Praxis.
Der Yogalehrer und Ökonom Dr. Christoph Harrach meint, dass der Mensch mit Yoga zur Lösung der Klima- und Biodiversitätskrise beitragen kann: „Yoga sagt, dass der Wandel bei jedem selbst beginnt, wenn wir innerlich zum Frieden kommen, gelingt uns das auch im Außen, mit unseren Mitmenschen, mit den Tieren, mit der Natur. Dieses Oberziel von Yoga deckt sich wunderbar mit dem Oberziel der nachhaltigen Entwicklung.“
Bei den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen ist bereits 2015 die Rede von der Wechselwirkung von Frieden und Nachhaltigkeit. Wie können aber die Yoga-Prinzipien dazu genutzt werden, die Nachhaltigkeit voranzutreiben?
„Ein ökologisches Prinzip der Nachhaltigkeit ist das Thema planetare Grenzen, also so zu leben, dass wir mit den Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, gut auskommen – im Yoga geht es ebenfalls um ein freiwillig gewähltes genügsames, einfaches Leben“, sagt der Gründer der Wertegemeinschaft Karma Konsum und ergänzt: „Das andere Prinzip der Nachhaltigkeit bedeutet Partnerschaft – wir können die großen, globalen Probleme nicht im Alleingang lösen, wir müssen uns mit Menschen zusammen tun; im Yoga spricht man von Sangha – auch hier geht es um partnerschaftliches Zusammenwirken und gegenseitige Inspiration. Ein weiterer Pfad des Yoga ist das sogenannte Karma Yoga; hier steht das selbstlose Handeln, das Einnehmen einer dienenden Haltung gegenüber anderen Menschen, im Mittelpunkt“.
Harrach, der in Bad Meinberg ansässig ist, hält die Diskrepanz zwischen Einstellung und Verhalten für ein besonders großes Problem bezüglich der Nachhaltigkeit; viele Menschen würden zustimmen, dass wir eine Klimakrise haben, dass wir ein Tierwohl-Problem haben, aber die wenigsten Menschen würden zum Beispiel auf Flugreisen oder Fleisch- und Milchkonsum verzichten, und diese Lücke könnte mit Yoga und Achtsamkeitstraining geschlossen werden, was wissenschaftlich nachweisbar ist.
Das wiederum wirkt sich positiv auf das eigene Wohlbefinden aus und so schließt sich der Kreis. Vom Kind bis zum Greis, ob sportlich oder körperlich eingeschränkt, jeder kann Yoga praktizieren und das ist der Gesundheit, genauso wie der Krankheitsprävention, sehr dienlich.
Zu bedenken gibt Dr. Christoph Harrach, der auch Botschafter für Gemeinwohl-Ökonomie ist: „Allerdings wird die spirituelle Seite des Yoga in den westlichen Ländern weniger beachtet und stattdessen mehr genutzt, um Körper und Geist zu optimieren. Leute werden leistungsfähiger und stressresilienter, und da könnte man sich fragen, ob Menschen durch das Yoga bessere Erfüllungsgehilfen im Kapitalismus werden – in vielen Unternehmen gibt es bereits Business-Yoga, und Krankenkassen bezuschussen Yoga als Präventionsmaßnahme.“
Christoph Harrach kann allerdings aus eigener Erfahrung berichten, dass man, wenn man längere Zeit regelmäßig Yoga praktiziert, zur inneren Sinnsuche kommt und dann auch größere Fragen des Lebens stellt. So hat Harrach seine Karriere in einem Großkonzern beendet, war dann bei einem Ökounternehmen tätig und ist seit dem Herbst 2023 für das Nachhaltigkeitsmanagement der Technischen Hochschule OWL zuständig.
Er versteht sich quasi als Brücke zwischen ganz intensiv praktizierenden Yoga-Leuten beziehungsweise Nachhaltigkeitsaktivisten und der gesellschaftlichen Mitte, denn die Veränderung finge erst dann an, die notwendigen Früchte zu tragen, wenn sich eine große, kritische Masse anders verhielte.