Kreis Lippe/Toase. Da staunte Friederike Saueressig nicht schlecht: Ein Praktikum im Rahmen ihrer berufsbegleitenden akademischen Ausbildung zur „Physician Assistant“ hat die Notfallsanitäterin des Kreises Lippe kürzlich in das Frimpong-Boateng-Medical Center nach Toase, eine rund 40.000 Einwohner zählende Gemeinde in Ghana, geführt.
Rudimentär sind die Versorgungsstrukturen in dem kleinen privaten Krankenhaus im Südwesten des westafrikanischen Staates, aber ein Rettungswagen (RTW) steht bereit. Und der hat seine Wurzeln im Kreis Lippe.
Tatsächlich ist dem RTW seine Herkunft nach wie vor anzusehen: Auf der Hintertür prangt der Schriftzug „Rettungsdienst Kreis Lippe“, der Innenausbau ist nahezu identisch geblieben: „Es gibt viele Zufälle im Leben, aber dieser ist schon ganz besonders“, sagt die 48-Jährige. „In meiner Tätigkeit für den Kreis bin ich in Lippe selbst häufig damit gefahren“, erzählt sie.
Ihr Mann Marcus, ebenfalls Mitarbeiter beim Bevölkerungsschutz des Kreises, recherchiert und wird fündig: 2022 hat Landrat Dr. Axel Lehmann eine Spendenanfrage vom renommierten Thoraxchirurg Prof. Dr. Dr. Axel Haverich erhalten, seines Zeichens gebürtiger Barntruper.
In seinem Medizinstudium hatte der heute pensionierte Arzt den Ghanaer Kwabena Frimpong Boateng kennenglernt und eine enge persönliche Verbindung aufgebaut. Frimpong studierte an der gleichen Universität wie Haverich deutsch, wurde später Wirtschaftsminister in Ghana, gilt in seinem Heimatland als Pionier der Herz-Thorax-Chirurgie und hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Gesundheitswesen in Ghana voranzubringen.
2001 gründete Frimpong das Medical Center in Toase. Drei Ärzte sind derzeit dort tätig, daneben sieben Physician Assistants – medizinische Assistenten, die Aufgaben wie die Anamnese, Untersuchung, Wundversorgung und Assistenz bei Eingriffen übernehmen, um den Arzt zu entlasten. „Der Beruf ist in einigen Ländern bereits weit verbreitet, der Ärztemangel ist ein großes Thema“, weiß Saueressig.
„In Deutschland etabliert sich das Berufsbild gerade“. Zur Motivation, mit 48 Jahren und nach 25 Jahren in der Notfallrettung noch einmal die „Schulbank“ zu drücken, sagt sie: „Mein Job macht mir Spaß, aber ich weiß, dass ich allein körperlich nicht in der Lage sein werde bis zur Rente im Rettungsdienst zu arbeiten“. Das Praktikum in Ghana hatte Axel Haverich eingestielt, der seit Jahrzehnten gute Kontakte zum Land pflegt, das Gesundheitswesen dort genau verfolgt und – dort schließt sich der Kreis – Onkel von Friederike Saueressig ist.
Aber zurück zum Rettungswagen: Da der RTW bereits 250.000 Kilometer auf dem Tacho hatte und in Lippe sowieso kurz vor der Ausmusterung stand, sagte der Landrat sofort zu. Und so machte sich der RTW Kalletal 9-83-1, wie er offiziell hieß, im Container auf den Weg nach Ghana. Dass er schließlich im Frimpong-Boateng Medical Center in Toase zum Einsatz kommen sollte, war dann der besagte Zufall und bis zum Praktikum von Saueressig nicht bekannt.
Zur Unfallrettung wird der RTW in Toase und Umland übrigens nicht eingesetzt. Es gibt keine 112, die Hilfesuchende wählen können. Jeder, der Hilfe benötigt, muss aktiv zum Krankenhaus fahren. Das Medical Center nutzt den Rettungswagen, um Schwerstkranke oder –verletzte ins nächstgelegene Krankenhaus nach Kumasi zu bringen, 45 Autominuten entfernt und mit drei Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Ghanas.
Friederike Saueressig arbeitet gerade an ihrer Bachelorarbeit, in der sie Einsatz und Arbeitsweise von Physician Assistants in Deutschland und Ghana vergleicht. „In Ghana ist die medizinische Versorgung der Bevölkerung mit akademisierten Personal unterhalb der ärztlichen Qualifikation schon sehr lange implementiert“, erklärt sie. „In Deutschland sind die Rahmenbedingungen noch nicht festgeschrieben, so dass ich in Toase sehr viele Eindrücke und Erfahrungen über das Einsatzgebiet dort und mögliche Einsatzoptionen bei uns sammeln konnte“.