Lage. Normalerweise führt man mit Zukunftsvisionen allenfalls ein paar PowerPoint-Folien vor gelangweiltem Publikum vor. In Lage dagegen zwängen sich mehr als 120 Zuhörer in einen Saal mit 90 Stühlen. Die letzten Gäste stehen so weit draußen, dass man befürchten muss, daß sie beim andächtigen Zuhören auf den Treppenstufen zum Hauseingang hinauf stürzen. Doch niemand murrt: Man harrt geduldig zweieinhalb Stunden aus. In Zeiten, in denen selbst Netflix-Serien nach 45 Minuten auf „Cliffhanger“ setzen, ist das schon fast olympisch.
Vier Bürgermeisterkandidaten sitzen auf der Bühne, vereint in ihrer Mission: „Lage 2030“. Wer hier auf deftige Wortgefechte gehofft hat, bekommt allerdings eher ein harmonisches Quartett zu hören. Unterschiedliche Partei-Positionen? Fehlanzeige! Die Wortbeiträge der Kandidaten klingen so ähnlich, dass man dem Eindruck erliegt, alle hätten heimlich denselben Ghostwriter gebucht. In der Sprache des Sports: wie ein Fußballspiel, das nur auf ein Tor zielt.
Moderator Sascha Schmittutz ist der heimliche Held des Abends. Mit vorbereiteten Fragen jonglierend, hält er die Kandidaten bei Laune – und irgendwann auch das Publikum, das sich wünscht, er möge endlich den Sack zubinden. Als er um 21:30 Uhr tatsächlich abpfeift, ist das fast so erleichternd wie das Schlusssignal nach einer Verlängerung im DFB-Pokal.
Doch ein kleines Feuerwerk gibt es dann doch: Schulpolitik! Stefan Zibart (Aufbruch C) bringt die Idee einer Gesamtschule in Trägerschaft des „Christlichen Schulvereins Lippe“ ins Spiel. Bürgermeister Matthias Kalkreuter springt sofort auf wie ein Fußballtrainer, der einen Konterschlag der gegnerschen Mannschaft kommen sieht. „Gefährdung fürs Gymnasium!“, wettert er und setzt ein Loblied auf das gegliederte Schulsystem in Lage oben drauf. CDU-Mann Frederik Topp hingegen überrascht alle: Er zeigt sich plötzlich offen für eine Gesamtschule. Manch ein kommunalpolitscher Insider reibt sich die Augen: Hat er sich verhört, oder ist das der Moment, in dem die CDU in Lage Schulgeschichte schreibt? Kalkreuter jedenfalls sieht sich veranlasst, die Idee einer öffentlichen Gesamtschule aus der Kiste zu ziehen, nachdem sie doch vor zwei Jahren krachend eingemottet worden war. Dramaturgisch reif für einen veritablen „Plot Twist“.
Abseits von diesem kurzen Fingerhakeln sind die Beiträge eher ein harmonisches Dauerlächeln: Kultur darf nicht kaputtgespart werden, das soziale Leben macht Lage lebenswert, und die Beratungsstrukturen in der Verwaltung sind wie junge Pflänzchen – bloß nicht zu früh jäten! Wie das alles mit einem zweistelligen Millionen-Euro-Loch im Haushalt finanziert werden soll, bleibt allerdings so geheim wie die Rezeptur von Coca-Cola. Stattdessen verweist man auf die Bier-Brauer in Kreis, Land und Bund – in der Hoffnung, dass dort irgendwo ein rettendes Rezept entwickelt wird.
Kurzum: Wer an diesem Abend mit düsteren Wahrheiten gerechnet hat, geht ohne sie nach Hause. Die Kandidaten wissen nur zu gut, was mit Überbringern schlechter Nachrichten passiert: aus dem Geschichtsunterricht über die Antike. Und so gerät „Lage 2030“ weniger zu einer harten Finanzdebatte, sondern eher zu einer wohltuenden Gruppenmeditation.