Die Wahl ist gelaufen. Im Ergebnis bleibt der alte Bürgermeister auch der neue: Matthias Kalkreuter steht weiterhin auf der Kommandobrücke. Aber die politischen Verhältnisse haben sich so verändert, dass er mit schwerer See rechnen muss. Komfortable Mehrheiten gibt’s angesicht des Erstarkens der kleinen Parteien und der Halbierung der Grünen-Stärke nicht.  Schicke Grafiken gibt’s hier. Archivfoto: Pixabay

Lage. Matthias Kalkreuter bleibt Bürgermeister. Das ist bis auf einen winzigen Prozentbruchteil so sicher wie das Amen in der Kirche. Die AfD verdreifacht ihr Ergebnis. Die Grünen schrumpfen auf die Hälfte ihrer bisherigen Stärke zusammen. Eine Regierungsmehrheit von „Schwarz/Rot“ erscheint als fragil. „Aufbruch C“ holt beachtliche 10 Prozent und erreicht nahezu die Stärke der Grünen. Die „groß gewordenen kleinen Fraktionen“ bestimmen die Musik  im Konzert des neuen Rates mit.


Das Ergebnis der Stadtratswahl nach der Auszählung am Sonntagabend gegen 21.45 Uhr: SPD und CDU sind die Wahlsieger, mit mehr als 26 Prozent (%) etwa gleich auf; die AfD kann sich mit  fast 18 % als Etappensieger feiern ; die Grünen erscheinen mit weniger als 11 % als die großen Wahl-Verlierer; Aufbruch C holt mehr als 10 %; die FDP bleibt knapp unter 5 %; die Linke schafft keine 4 %. SPD und CDU haben zwei bis drei Prozent unter ihrem Ergebnis 2020 abgeschnitten; die AfD hat ihr Ergebnis von 2020 geradezu verdreifacht; die Grünen haben ihren bisherigen Standard nahezu halbiert.

KOMMENTAR von Hajo Gärtner

Die LWZ lag mit ihren Prognosen (und hier) genau richtig: Niemand kann Matthias Kalkreuter (SPD) aus seinem Amt verdrängen. Er holte nach ersten Hochrechnungen fast 50 Prozent der Stimmen; etwa doppelt so viel wie sein Konkurrent Frederik Topp von der CDU. Stefan Zibart landete auf Platz 3 mit beachtlichen rund 17 Prozent. 

Von den Parteien fuhr die AfD das eindrucksvollste Ergebnis ein: rund 18 Prozent und damit eine Verdreifachung gegenüber der Stadtratswahl 2020. Großer Verlieren: Die Grünen halbierten ihr Ergebnis gegenüber der Wahl 2020 auf rund 11 Prozent. Damit traf die zweite Prognose der LWZ voll ins Schwarze: Der Schuss gegen Uwe Detert ging nach hinten los.

Die Grünen hatten eine Kampagne gegen den AfD-Spitzenmann in Lage gestartet, in der sie ihn als rechtsradikal einstuften und in die Nähe der „Reichsbürger-Szene“ rückten. Aus wahltaktischen Gründen – was die Partei-Repräsentanten natürlich nicht zugeben – schlossen sich CDU und SPD in den Wahlausschüssen der Stadt und im Kreis der Grünen-Aktion an. Das kostete Detert die Bürgermeister-Kandidatur, weil er plötzlich als „nicht verlässlich verfassungstreu“ und „nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehend“ galt.

Tatsächlich aber machte die Kampagne Detert den Wahlkampf extrem leicht: Er musste sich keiner Diskussion stellen. Schon frühzeitig hatte der „demokraTISCH“ die AfD ausgeschlossen, bzw. erst gar nicht eingeladen. Organisiert von  „Bürgern gegen rechts“ nahm ein Partei-Bündnis von der Linken bis zur CDU am Disputanten-Tisch Platz, um mit interessierten Bürgern über Sinn und Zweck der Demokratie zu diskutieren. Und die AfD: Stand da wie Beckmann in Wolfgang Borcherts berühmtem Nachkriegsdrama „Draußen vor der Tür“ . Ja, der mit der hässlichen Gasmaskenbrille, der überall abgewiesen wird, wohin er sich auch wendet. 

So musste Uwe Detert seine fragwürdigen Positionen hinsichtlich „Remigration“ und „haushälterisch vernünftig mit Steuergeld umgehen“ nicht erklären und verteidigen. Er brauchte schlicht gar nichts zu tun, nicht einmal Wahlplakate aufzuhängen, bis auf ein paar wenige mit der simplen Botschaft: „Wir sind noch da.“ Vornehm sich in Zurückhaltung üben, Däumchen drehen, Tee trinken und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen: was für eine Wahlkampfförderung durch die Anderen. 

Die auf ein Dossier des Landesverfassungsschutzes gestützten Vorwürfe haben viele Wähler den Grünen nicht abgenommen, weil sie den solide beleumundeten Handwerker, der mit seiner Familie tief im sozialen Netz der Stadt verankert ist, persönlich kennen. Für irgendwelche Posts und Threads in Sozialen Medien interessieren sich potenzielle und tatsächliche Wähler der AfD nicht.

Das Kräfteverhältnis im nächsten Stadtrat zwischen AfD und Grünen wird sich nun geradezu umkehren. Es bleibt nur zu hoffen, dass Detert sich nicht hinreißen lässt, offene Rechnungen begleichen zu wollen. Die Verführung dazu ist angesicht des Wahltriumphes seiner Partei groß, und er hat noch ein paar Asse gegen die Grünen im Ärmel. Weitere Konsequenzen: Die früher als „klein“ oder auch „marginal“ eingestuften Parteien wie AfD und „Aufbruch C“ bekommen eine gewichtige Rolle im neuen Rat. Auf seine eigene Partei, die SPD, kann Bürgermeister Kalkreuter allein nicht setzen. Auch der frühere Vertrag mit den Grünen – sie hatten auf die Kandidatur eines eigenen Bürgermeister-Kandidaten verzichtet, um Kalkreuter zu stärken – trägt nicht mehr. Wird die CDU in oppositioneller Intention von den nun groß gewordenen kleinen Parteien unterstützt, läuft der Bürgermeister in seiner neuen Amtszeit oft vor die Wand.

Er kann stellenweise auf eine schwarz-rote Groko zurückgreifen. Die könnte sich aber als ein brüchiges Bündnis erweisen angesichts seines im Wahlkampf wiederholt geäußerten Bestrebens, soziale und kulturelle Errungenschaften auf dem erreichten Niveau zu halten. CDU-Fraktionschef Michael Biermann hat ihm nämlich am Ende der auslaufenden Amtszeit die Pistole auf die Brust gesetzt: Fünf Prozent aller Verwaltungsstellen soll er einsparen, um den prekären Haushalt – es fehlen 15 Millionen Euro zwischen Einnahmen und Ausgaben – zu konsolidieren. Und das Haushaltsloch wird mit der Strategie „Weiter wie bisher!“ geradezu ins Unermessliche steigen. Und dann kommt die „Haushaltssicherung“ und am Ende droht ein „Nothaushalt“. Kalkreuter hatte die Biermann-Einspar-Initiative in der Ratssitzung launig gekontert: „Sie stellen mir einen Rasenmäher vor die Tür und fordern mich auch noch auf, ihn selbst zu schieben.“

Von der AfD ist bekannt, dass deren Vertreter den Rotstift mit Lust ansetzen, um politische Ziele zu erreichen, weil viel von dem, was Kalkreuter für soziale und kulturelle Highlights hält, ihnen durchaus missfällt.

Und der erstarkte „Aufbruch C“? Deren Vertretern geht es vor allem um ihr Gesamtschulprojekt am Stadenhauser Berg, das jetzt kaum noch in Zweifel steht. Und auch sie halten nicht unbedingt alles für eine Errungenschaft, was der SPD und den Grünen heilig ist.