
Lage. „Matthias Kalkreuter bleibt Bürgermeister“, so schien es am Wahlabend. Denn er führte bis zuletzt haushoch knapp unter der 50-Prozent-Marke. Doch diese anfängliche Sicherheit ist dahin. Die Basis „SPD plus Grüne“ trägt zahlenmäßig nicht mehr ausreichend. Die AfD verdreifachte ihr Ergebnis und favorisiert den CDU-Kandidaten Frederik Topp.
„Aufbruch C“ holte beachtliche 10 Prozent und nutzt die neue Stärke für seinen „Gesamtschul“-Poker, der ein Zusammenspiel mit der CDU nahelegt. Die FDP betont den sparsamen Umgang mit dem Geld der Bürger und mischt auf der bürgerlichen Seite mit, wenn auch dezimiert. Vom Zahlenwerk her gibt es also eine stattliche bürgerlich-konservative Mehrheit im Rat, wenn SPD und CDU nicht nach dem Muster der Bundesebene gegenhalten.
Das Wahlergebnis in Zahlen
Das Ergebnis der Stadtratswahl nach der Auszählung am Sonntagabend gegen 21.45 Uhr: SPD und CDU sind die Wahlsieger; mit mehr als 26 Prozent (%) etwa gleich auf. Die AfD kann sich mit fast 18 % als Etappensieger feiern und das gelbe Trikot anziehen: Sie hat ihr Ergebnis von 2020 geradezu verdreifacht. Die Grünen erscheinen mit weniger als 11 % als die großen Wahl-Verlierer. Aufbruch C holt mehr als 10 %. Die FDP bleibt knapp unter 5 %. Die Linke schafft keine 4 %. SPD und CDU haben zwei bis drei Prozent unter ihrem Ergebnis 2020 abgeschnitten; die Grünen haben ihren bisherigen Standard nahezu halbiert.
Die Sitzverteilung sieht im neuen Rat wie folgt aus:
SPD und CDU je 11 Sitze, AfD 7 Sitze, „Aufbruch C“ und Grüne je 4 Sitze, FDP 2 Sitze, die Linke 1 Sitz. Macht zusammen: 40 Sitze.
Die Bürgermeisterfrage: Es wird noch einmal richtig spannend. Kalkreuter ist zwar offensichtlich der populärste Kandidat. „Aufbruch C“ wird das Stechen zwischen Amtsinhaber Matthias Kalkreuter (SPD) und Herausforderer Frederik Topp (CDU) jedoch nutzen, um das Schulprojekt des Christlichen Schulvereins durchzusetzen: so oder so. Die CDU hat die besseren Karten, weil Frederik Topp seine Zustimmung beim „Kandidaten-Karussell im Bürgerhaus“ zur Überraschung aller politischen Beobachter schon angedeutet hatte, Kalkreuter diesem Plan aber zur Abwehr weiterer Schülerabwanderung vom Gymnasiums die kalte Schulter zeigte und statt dessen die Idee einer städtischen Gesamtschule ins Spiel brachte, die mit dem Gymnasium kooperieren soll. Die AfD wird einen SPD-Bürgermeister nicht mittragen und steht einem CDU-Bürgermeister eher positiv gegenüber. Kalkreuter muss Stefan Zibart („Aufbruch C“) mindestens genau so viel „entgegenkommende Schulpolitik“ anbieten wie die CDU, um das Rennen für sich zu entscheiden.
Aber machen die SPD-Wähler – und vor allem Grünen-Fans – das mit? Gerade Letztere sind keine Fans einer christlichen Privatschule, die in ihrer Einstellungspolitik angeblich homophobe Tendenzen zeigt. Außerdem hat sich Kalkreuter im Wahlkampf immer wieder in Richtung einer Erhaltung des erreichten sozialen und kulturellen Status Quo positioniert. Mit ihm werde es keine Abtragung kultureller Säulen wie Musikschule, Stadtbücherei, VHS und Sozialberatung geben. Aber die prekäre Haushaltslage mit einem enormen Deckungsloch (15 Millionen Euro) lässt das Festhalten am Status Quo obsolet erscheinen. Es m u s s gespart werden, und zwar „auf Teufel komm raus“.
Bekommt das ein CDU-Bürgermeister eher hin, der die entstandene Haushaltsrealität in vollem Umfang anerkennt? Immerhin hat CDU-Fraktionsvorsitzender Michael Biermann die Verwaltung am Ende der ausgelaufenen Ratsperiode mit einer harten Forderung konfrontiert: Fünf Prozent der Stellen im Verwaltungshaushalt sollen abgebaut werden. Und das reicht für eine Konsolidierung bei Weitem noch nicht aus. Auch die FDP hatte sich für eiserne Disziplin im Umgang mit Steuermitteln („Geld der Bürger“) ausgesprochen.
Die Fraktionsfrage
Den Wählern der groß gewordenen „kleinen Parteien“ fällt eine Schlüsselrolle zu. Von den „kleinen Parteien“ fuhr die AfD das eindrucksvollste Ergebnis ein: rund 18 Prozent und damit eine Verdreifachung gegenüber der Stadtratswahl 2020. Großer Verlieren: Die Grünen halbierten ihr Ergebnis gegenüber der Wahl 2020 auf rund 11 Prozent. Der Schuss gegen Uwe Detert ging nach hinten los.
Die Grünen hatten eine Kampagne gegen den AfD-Spitzenmann in Lage gestartet, in der sie ihn als rechtsradikal einstuften und in die Nähe der „Reichsbürger-Szene“ rückten. Aus wahltaktischen Gründen – was die Partei-Repräsentanten natürlich nicht zugeben – schlossen sich CDU und SPD in den Wahlausschüssen der Stadt und im Kreis der Grünen-Aktion an. Das kostete Detert die Bürgermeister-Kandidatur, weil er plötzlich als „nicht verlässlich verfassungstreu“ und „nicht auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehend“ galt.
So musste Uwe Detert seine fragwürdigen Positionen hinsichtlich „Remigration“ und „haushälterisch vernünftig mit Steuergeld umgehen“ nicht erklären und verteidigen. Stand da wie auf dem Schulhof gemobbt oder in den Kampf „David gegen Goliath“ verwickelt. Allerdings eine komfortable Situation: Er brauchte schlicht gar nichts zu tun, nicht einmal Wahlplakate aufzuhängen, bis auf ein paar wenige mit der simplen Botschaft: „Wir sind noch da.“ Vornehm sich in Zurückhaltung üben, Däumchen drehen, Tee trinken und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.
In seinem Wahlbezirk „030 Maßbruch III“ hat Uwe Detert mit 24,15 Prozent trotz der Grünen-Schmäh die meisten Stimmen geholt und sich damit in der Pole-Position vor dem SPD- und CDU-Kandidaten durchgesetzt. Die lagen beide deutlich unter dem durchschnittlichen Abschneiden ihrer Parteien. In Billinghausen hingegen hat Klaus Hansen (CDU) mit fast 40 Prozent der Wählerstimmen in seinem Wahlbezirk den Vogel abgeschossen.
Das Kräfteverhältnis im nächsten Stadtrat zwischen AfD und Grünen wird sich nun geradezu umkehren. Selbst wenn der neue Bürgermeister der alte bleibt, hat er keine Mehrheit mehr auf rotgrüner Basis. Eine schwarzrote Groko wäre denkbar, die „mit zwei Sitzen über den Durst“ allerdings auf sehr wackeligen Füßen stünde.
Allen müsste klar sein, dass mit der Devise „Weiter wie bisher!“ kein Staat zu machen ist und das bestehende Haushaltsloch sich über die nächsten Jahre geradezu ins Unermessliche ausdehnt. Und dann kommt die „Haushaltssicherung“ und am Ende droht ein „Nothaushalt“. Kalkreuter hatte die Biermann-Einspar-Initiative in der Ratssitzung launig gekontert: „Sie stellen mir einen Rasenmäher vor die Tür und fordern mich auch noch auf, ihn selbst zu schieben.“ Wird er tun müssen, so oder so. Oder Frederik Topp schiebt.
Von der AfD ist bekannt, dass deren Vertreter mit dem Rotstift liebäugeln, um politische Ziele zu erreichen, weil viel von dem, was SPD und Grüne für soziale und kulturelle Highlights halten, bei ihnen auf wenig Gegenliebe stößt.
Und der erstarkte „Aufbruch C“? Dessen Vertretern geht es vor allem um ihr Gesamtschulprojekt am Stadenhauser Berg, dessen Zeichen nun auf „Go“ stehen. So oder so. Aber auch sie halten nicht unbedingt alles für eine Errungenschaft, was der SPD und den Grünen heilig ist.









