Kreis Lippe/Potsdam. Gletscherschmelzen, Umweltkatastrophen, Hitzewellen – die Klimakrise ist längst Realität. Allein in Deutschland hat der Verkehrssektor im Jahr 2024 rund 143 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent ausgestoßen. Knapp ein Viertel der gesamten deutschen Emissionen.


Daher muss man sich die Frage stellen: Wie gelingt die Reduktion von C02-Ausstoß? Wie gelingt nachhaltige Mobilität? Eine Lösung: alternative Kraftstoffe. Sie dienen als Ersatz für herkömmliche fossile Treibstoffe und besitzen daher das Potenzial, zur Dekarbonisierung des Verkehrs beizutragen.

Prof. Dr. Jürgen Krahl, Präsident der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL), hielt im Rahmen des 201. „Jugend Presse Kongresses“ einen Vortrag zum Thema alternative Kraftstoffe. Der Kongress wurde von der Young Leaders GmbH ausgerichtet und durch das Bundesministerium für Verkehr gefördert.

Prof. Dr. Jürgen Krahl forscht bereits seit Jahrzehnten zu alternativen Kraftstoffen, wie dem von ihm entwickelten Diesel R33. Im Anschluss an den Kongress ergab sich folgendes Interview.

Können Sie uns einen Überblick über die wichtigsten nachhaltigen Treibstoffalternativen geben? Welche Größenverhältnisse sind mittelfristig zu erwarten?
Prof. Dr. Jürgen Krahl: Prognosen sind natürlich immer eine schwierige Sache. Aber was ich sagen kann, ist, was seit der Markteinführung der sogenannten Biodiesel um 1990 passiert ist. Damals wurde Biodiesel als Nebennutzungsprodukt (Fettsäuremethylester) der Chemieindustrie hergestellt. Das Produktionsvolumen lag bei etwa 40.000 Tonnen, also ein vergleichsweise geringer Anteil, der damals belächelt wurde: Was seien schon 40.000 Tonnen angesichts von 16 Millionen Tonnen Dieselverbrauch?
Es gab allerdings einen sehr starken Zuwachs. Derzeit haben wir im Dieselkraftstoff in Europa bis zu sieben Prozent, in einigen Ländern sogar bis zu zehn Prozent Biodiesel. Man kann diesen auch aus Abfallölen, zum Beispiel aus gebrauchten Frittierölen, herstellen. Doch es ist nicht beliebig skalierbar. Wir kommen nicht auf 100 Prozent. Also das Thema Biodiesel ist sicherlich eines, das nur einen Teilbeitrag zu klimaschonender Mobilität leistet, doch es wirkt schon heute.

Für den Ottomotor ist es das Thema Ethanol. Wenn Sie an einer Tankstelle stehen, sehen Sie manchmal das Zeichen E10, das heißt, dass dort bis zu 10 % Ethanol im Benzin enthalten sein können.
Krahl: Biodiesel und Ethanol sind heute Hauptprotagonisten alternativer Kraftstoffe in Europa. Allerdings braucht man landwirtschaftliche Fläche für die Erzeugung, welche nicht beliebig vorhanden ist. Dies heißt aber nicht, dass man Biodiesel und Ethanol gar nicht einsetzen könnte. Biokraftstoffe sparten 2024 mehr als zwölf Millionen Tonnen CO2 in Deutschland ein.
Ursprünglich war der Gedanke, dass die europäische Landwirtschaft zehn Prozent der Fläche stilllegen sollte, die man für Biokraftstoffe hätte nutzen können und es auch zum Teil tat. Von der Flächenstilllegung ist Europa allerdings wieder abgerückt.
Seit einigen Jahren gibt es ein neues Produkt auf dem Markt: Es kürzt sich mit HVO ab und steht für Hydrotreated Vegetable Oils. Hergestellt wird es aus Pflanzenöl oder tierischen Fetten, die mit Wasserstoff behandelt werden. Im Ergebnis erhält man Alkane. Hydriertes Pflanzenöl gibt es in zunehmendem Maße auf dem Weltmarkt. Dies sind die großen drei Kraftstoffe – Biodiesel, Ethanol und HVO, die wir derzeit verfügbar haben.
Außerdem gibt es einen Zuwachs im Bereich des Methanols. Damit kommen wir dann zu den E-Fuels. Für die Herstellung von E-Fuel braucht es zunächst Strom und Wasser. Durch den Strom wird aus dem Wasser Wasserstoff hergestellt. Dieser wird im Anschluss mit CO2 chemisch in Reaktion gebracht. So entsteht Methanol. Diesen Weg finde ich persönlich hochinteressant; insbesondere, wenn es gelingt, das CO2 aus der Atmosphäre zu gewinnen – das geht; die Frage ist nur, ob es auch wirtschaftlich sinnvoll ist.
Zusätzlich braucht man nur Sonne zur Stromerzeugung sowie Wasser für den Wasserstoff. So kann dezentral Methanol hergestellt werden, das im Gegensatz zu Biodiesel in seiner Menge skalierbar ist. Dies wird aber nicht in Deutschland geschehen. In Ländern mit hoher Sonneneinstrahlung ist es hingegen interessant. So könnte dort auch Wertschöpfung gelingen.
Methanol ist flüssig und hat eine hohe Energiedichte. Sie können es mit Tankschiffen oder mit Lastwagen transportieren. Für Wasserstoff hingegen sind Pipelines notwendig.
1990 hieß es, dass Biodiesel eine zu kleine Menge ausmache. Jetzt sagt man, dass E-Fuels nicht funktionieren. Wie immer sind es die Visionäre, die neue Technologien ausprobieren und optimieren bis sie einsetzbar sind. Allerdings: ohne Mittel geht das nicht und mit wenigen tausend Euro ist es nicht getan.

Was sind die großen Herausforderungen für Alternativkraftstoffe?
Krahl: Die größte Herausforderung ist, dass neue Kraftstoffe keine oder nur wenig landwirtschaftliche Flächen beanspruchen. Allerdings werden auch nicht ausnahmslos alle Flächen gebraucht, um Lebensmittel anzubauen. Und es gibt durchaus Länder, die viel mehr Fläche zur Verfügung haben als die Bundesrepublik. Man muss also die reine Deutschland-Brille absetzen und sich zudem von mancher politischen Scheuklappe befreien. Auch politische Nachhaltigkeit ist wichtig, auf die sich Investoren über viele Jahre verlassen können.
Im Moment ist das Problem, dass man den Klimaschutz, den man sehr wohl mit Mobilität verbinden kann, teilweise relativ töricht abwürgt, indem man sagt, dass es nur eine Technologie gäbe. Doch es gibt viele Wege nachhaltige Mobilität zu erreichen. In einer freiheitlichen Gesellschaft muss es auch eine freiheitliche Forschung und eine dafür offene Politik geben.
Eine weitere Grundvoraussetzung ist, dass alternative Kraftstoffe kompatibel mit bestehenden Fahrzeugen sind. Um das zu erreichen, müssen Kraftstoffe regelrecht designt werden. Dafür müssen Nachhaltigkeit, Motorverträglichkeit und Effizienz erforscht und wechselseitig angepasst und optimiert werden. Um Antworten auf diese Fragen geben zu können, legen wir im September an der Technischen Hochschule Ostwestfalen Lippe den Grundstein für das Mobilitätszentrum Urban Land.
Neben Strom- und Wasserstofftechnologie sowie neuer schienengebundener Konzepte (zum Beispiel das MonoCab) steht auch die Frage nach den besten Kraftstoffen der Zukunft im Fokus. Wir forschen an Zukunftsthemen und leisten – wie viele andere Hochschulen auch – unseren Beitrag dazu in Forschung und Lehre.

Wenn man diese Herausforderungen gemeistert hat: Innerhalb welcher Zeitspanne könnte es möglich sein, dass ein Großteil der Verbrenner mit nachhaltigen Alternativkraftstoffen betankt werden könnten?
Krahl: Wir haben diese wichtige Frage für das Nachfolgeprodukt von Diesel R33, den neuen Diesel RSX abgeschätzt. Im Jahr 2030 könnten in Deutschland circa drei Millionen Tonnen RSX herstellt werden. Der Dieselverbrauch liegt im Bereich von 30 Millionen Tonnen, aber das sind dann immerhin zehn Prozent. Diesel RSX könnte auch weiter skaliert werden, doch wird es allein mit diesen Produkten nicht möglich sein, 100 Prozent des heutigen Verbrauchs nachhaltig zu substituieren.

Sie erwähnten, dass es mit alternativen Kraftstoffen allein nicht möglich sei, 100 Prozent nachhaltige Mobilität zu erreichen. Daher meine Frage: Vor Urzeiten gab es den Lupo 3L, aktuelle Automodelle steigen dagegen im Verbrauch. Müsste nicht neben der Frage nach nachhaltigem Treibstoff nicht auch die Frage nach effizienteren, weniger verbrauchenden Fahrzeugen stärker gestellt werden?
Krahl: Die maximalen thermischen Wirkungsgrade der Otto- und Dieselmotoren sind noch nicht erreicht. Beim Ottomotor hat man um die 30 % Wirkungsgrad, beim Dieselmotor 45 Prozent, doch auch ein Wirkungsgrad von 50 Prozent wäre möglich. Es gibt also noch Potenzial. Man ist also gut beraten, die Motoren und auch die Batterien weiterzuentwickeln. Als Kraftstoffforscher bin ich überhaupt kein Gegner der Batterien. Ganz im Gegenteil! Wir müssen alles tun, um den Klimawandel zu dämpfen.
Es braucht, wie bei den Kraftstoffen ebenso Antworten auf Ressourcen- und Verteilungsfragen. Wo kommt der Strom her und wie wird er verteilt? Was kosten neue Technologien?  Das Klima interessiert sich im Übrigen nicht für ideologische Diskussionen, sondern einfach nur dafür, dass sich möglichst wenig Treibhausgase in der Atmosphäre befinden.
Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es eine Diversität in den Antriebssystemen in Kombination mit einem freien Markt. Wenn es auf einmal ganz viel Strom gibt und die seltenen Erden nicht mehr so selten sind oder man neue Batterien am Markt hat, braucht man nicht mehr am Verbrennungsmotor festhalten. Aber man darf nicht etwas abschalten, das noch nicht zu Ende entwickelt ist, solange es die Alternative dazu noch nicht vollumfänglich gibt. Individuelle Mobilität ist in freien Gesellschaften bislang ein Grundbedürfnis.
Zudem werden die Fahrzeuge heutzutage immer größer. Obwohl das nicht pauschalisiert werden darf, bietet ein größeres Auto meist eine höhere Sicherheit. Die Anzahl der Verkehrstoten ging seit den 1970er-Jahren drastisch zurück. Dies hat auch seinen Preis, zum Beispiel den Bedarf an Energie, um die Fahrzeuge herzustellen und anzutreiben.

Beim Thema nachhaltige Mobilität sprechen Sie über das Thema alternative Kraftstoffe, wie ist Ihre Einschätzung zur E-Mobilität?
Krahl: Ich bin weder nur für das eine noch gegen das andere. Um die Situation mit Zahlen zu untermauern: Wir haben durch Biokraftstoffe im letzten Jahr circa zwölf Millionen Tonnen CO2 eingespart. Bei den E-Autos sind es im schlechtesten Fall 0,9 Tonnen, im besten Fall zweieinhalb Tonnen. Weit über dem Mittelwert wären zwei Millionen Tonnen anzunehmen und damit wären Biokraftstoffe immer noch sechsmal so effektiv für den Klimaschutz wie E-Fahrzeuge. In der öffentlichen Wahrnehmung lese ich aber nahezu ausschließlich nur vom Klimaeffekt der E-Autos.
Nachhaltige Antriebskonzepte dürfen nicht gegeneinander ausgespielt oder voneinander isoliert betrachtet werden. Die gute Botschaft ist, dass Biokraftstoffe und E-Mobilität zusammen circa 14 Millionen Tonnen Klimagase eingespart haben!
Ich sehe aber im politischen Raum derzeit auch sehr deutlich ein Hinterfragen des Aus für den Verbrennungsmotor 2035. Die eigentliche Frage ist aber, wie dieser betrieben wird und nicht, ob man ihn verbietet. Denn nicht der Verbrennungsmotor ist das Problem, sondern sein Kraftstoff. Und der ist ein chemisches Konstruktionselement, welches optimiert werden kann und muss.
Letztendlich bin ich überzeugt, dass die E-Mobilität eine Zukunft haben wird. Wir sollten alternative Kraftstoffe und E-Mobilität nicht gegeneinander ausspielen, sondern beides nutzen und vor allem besser verstehen und weiterentwickeln.
Dafür brauchen wir akademischen MINT-Nachwuchs. Wichtig ist, dass sich junge Leute für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik interessieren und sich dann auch dafür entscheiden, mit ihrer Berufswahl Verantwortung für eine nachhaltige Zukunft unseres Planeten zu übernehmen.


Das Gespräch führte Paul Kiesow.