Andrea Sawatzki zählt zu den bekanntesten Schauspielerinnen des Landes. In Detmold liest sie aus ihrem neuen Buch, in dem sie das schwierige Verhältnis zu ihrer Mutter aufarbeitet. Foto: Valeria Mitelman

Detmold. TV-Star Andrea Sawatzki stellt mit „Biarritz“ ein zweites, sehr persönliches Buch vor, das die Mutter-Tochter-Beziehung intensiv beleuchtet. Zuvor hatte sie mit dem Roman „Brunnenstrasse“ über die herausfordernde Kindheit mit ihrem an Alzheimer erkrankten Vater geschrieben. Beide autofiktionalen Romane berühren tief.


An diesem Samstag, 15. November, ist Andrea Sawatzki in der Stadthalle Detmold zu Gast und liest aus ihrem aktuellen Roman „Biarritz“. Die Lesung beginnt um 20 Uhr. Im Interview mit der LIPPISCHEN WOCHENZEITUNG spricht die 62-Jährige kurz vor ihrem Auftritt in der Residenzstadt unter anderem über das schwierige Verhältnis zu ihrer Mutter und wie sich die Sichtweise auf sie während des Schreibens an ihrem neuen Buch verändert hat.

LIPPISCHE WOCHENZEITUNG (LWZ): Was hat bei Ihnen den Wunsch zu schreiben geweckt?
Andrea Sawatzki: Ich habe schon immer sehr gern geschrieben. Schon als Kind. Als unsere Kinder noch klein waren, habe ich zum Beispiel immer Gute-Nacht-Geschichten für sie geschrieben. Die Idee für mein erstes Buch, die Bundschuhs („Tief durchatmen, die Familie kommt“), kam, als ich um die 50 war. Ich hatte Lust, eine Geschichte über eine Frau in meinem Alter zu schreiben.
Mit all dem Stress, der uns Frauen so umgibt, Familie, Haushalt, Beruf, das Problem, mit dem Älterwerden umzugehen … Und ich hatte Lust, eine schwarze Komödie zu schreiben. So ist die Gundula Bundschuh entstanden. Ich brauchte natürlich noch ein Thema, an dem sich die Gundula auch ein bisschen aufreiben kann und so ist die ganze Familie Bundschuh dazugestoßen.

LWZ: Ist das Schreiben ein willkommener Ausgleich zu der eher hektischen Fernseh- und Filmarbeit?
Sawatzki: Ehrlich gesagt, finde ich das Schreiben viel anstrengender als das Drehen. Ich muss mich immer ein bisschen dazu zwingen, mich zurückzuziehen und mich tatsächlich nur auf das Schreiben zu konzentrieren. Das widerspricht meinem Naturell. Es ist auch immer schwierig, die nötige Zeit und Ruhe zwischen den Dreharbeiten zu finden. Für mein aktuelles Buch „Biarritz“ habe ich drei Jahre gebraucht. Ich habe zwölf Anläufe benötigt, um diesen Roman fertig zu stellen. Im Grunde genommen liegt mir das Drehen auf gewisse Weise näher als das Schreiben.

LWZ: Vor drei Jahren ist das Buch „Brunnenstraße“ erschienen, dem Ihr sehr junges Leben mit dem an Alzheimer erkrankten Vater zu Grunde liegt – jetzt stellen Sie den Roman „Biarritz“ vor, der die Mutter-Tochter-Beziehung thematisiert: Wie schwierig und wie heilsam war die Aufarbeitung dieser Beziehung? Und hatten Sie mentale Unterstützung?
Sawatzki: Die Arbeit an „Biarritz“, diese Aufarbeitung einer zerbrochenen Mutter-Tochter-Beziehung, fiel mir sehr schwer. Schwerer als die Arbeit an der „Brunnenstraße“, weil ich das Vater-Tochter-Thema schon besser verarbeitet hatte. Als ich dabei war, über das Verhältnis zu meiner Mutter zu schreiben, habe ich gemerkt, wie viele Lücken unsere Geschichte doch noch enthielt.
Ich merke auch immer wieder bei meinen Lesungen, dass es so viele Menschen in meinem Alter nicht geschafft haben, eine wirklich offene und gelöste Beziehung zu ihrer Mutter zu finden und wie sehr wir Kinder darunter leiden. Meine Mutter wurde 1931 geboren und so erzogen, dass über Dinge, die einen belasten, nicht gesprochen wird. Aus meiner Mutter etwas herauszubekommen, war schon immer sehr schwierig, und ich habe diesen Roman eigentlich nur schreiben können, in dem ich mir das Leben meiner Mutter noch einmal vor Augen geführt habe. Ihre Biografie beziehungsweise die Bruchstücke ihres Lebens. So konnte ich meine Mutter besser verstehen und letztendlich auch diesen Roman schreiben.

LWZ: Sie sind mit dem aktuellen Buch demnach auf „Entdeckungsreise“ zur Person Ihrer Mutter gegangen – wie hat sich Ihr Blick auf diese Frau verändert?
Sawatzki: Mittlerweile, nachdem ich das Buch fertiggestellt habe, kann ich meine Mutter und auch ihr Verhalten mir gegenüber als kleines Mädchen besser verstehen. Ihre Hilflosigkeit. Ich kann jetzt besser nachvollziehen, dass meine Mutter nicht anders reagieren konnte, als sie es getan hat. Dass dieses Schweigen und dieses keine Informationen-über-die-Nächte-bekommen-wollen, dass das quasi ein Selbstschutz war, den sie nicht überwinden konnte. Mittlerweile spüre ich oft eine Sehnsucht danach, sie anzurufen oder in den Arm zu nehmen. Dann fällt mir ein, dass das ja nicht geht, weil sie nicht mehr lebt.

LWZ: Familie ist das, was uns prägt, was uns fördern oder behindern kann – wie hat sich Ihre Kindheit auf Ihr weiteres Leben ausgewirkt?
Sawatzki: Das Problem ist, dass sich Kinder grundsätzlich verantwortlich fühlen. Kinder hinterfragen nicht, was sie für ihre Eltern tun. Kinder wollen, dass die Familie funktioniert und wenn das Zusammenleben scheitert, fühlen sie sich für das Scheitern verantwortlich. Insofern gucken sie auch nicht groß nach links oder rechts, sondern stur geradeaus und versuchen eben brave Kinder zu sein.
Deshalb ist es beispielsweise auch so schwierig, misshandelte Kinder zum Sprechen zu bringen, wenn man sie von ihren Familien gelöst hat. Kinder werden immer ihre Familie beschützen. Insofern habe ich meine Kindheit nie als schlimm empfunden. Es gab nur diese eine Kindheit für mich, und ich habe versucht, sie so gut wie möglich zu bewältigen. Und was sich auf mein späteres Leben, wie ich finde, positiv ausgewirkt hat, ist die Fähigkeit, durchzuhalten. Ich weiß, dass es immer eine Lösung geben wird, wenn man dranbleibt und nicht aufgibt, auch wenn man denkt, man kann nicht mehr.

LWZ: Sie selbst haben eine Familie gegründet; war dies, mit Ihrem familiären Hintergrund, eine besondere Herausforderung?
Sawatzki: Eine Familie zu gründen, war für mich eine große Herausforderung. Und es war – bis ich meinen Mann kennengelernt habe – kein Wunsch. Weil ich befürchtet hatte, keine gute Mutter zu werden. Ich habe durch meine Familie, durch unsere Söhne, durch meinen Mann eigentlich erst wirklich zum Leben zurückgefunden. Dafür bin ich meinen drei Lebensmenschen sehr dankbar. Dass sie diesen Weg mit mir gegangen sind und dass ich diesen Weg eingeschlagen habe.

LWZ: Eine kreative Arbeit, mit der man sich an die Öffentlichkeit begibt, birgt immer die Gefahr, schlecht besprochen zu werden (und manche Kritiker sind ja geradezu „bösartig“) – beeinflusst Sie das?
Sawatzki. Ich lese Kritiken nur, wenn sie mir von guten Freunden zugeschoben werden. Ich habe es mir abgewöhnt, Kritiken zu einem Film oder einem Buch einfach so aus Neugier zu lesen, wenn sie darauf abzielen, mich zu kränken. Weil ich weiß, dass mich das trifft. Ansonsten kann ich aber eigentlich ganz gut mit Kritik umgehen. Gerade was die Kritik meiner Regisseure, meiner Familie, meiner Freunde oder meines Lektors betrifft. Da finde ich Kritik unfassbar wichtig. Sie gibt noch einmal einen ganz anderen Blick auf die Geschichte frei. Einen objektiveren Blick. Man selbst ist ja doch eher subjektiv. Und ich bin für gut gemeinte Kritik, die mich weiterbringen soll, grundsätzlich sehr dankbar.

LWZ: Ihr Mann Christian Berkel schreibt ebenfalls – können Sie sich gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite stehen?
Sawatzki: Wir sprechen grundsätzlich nicht über unsere Arbeit. Weder über die Schauspielerei noch über das Schreiben. Es sei denn, wir machen gerade einen Film zusammen, so wie jetzt in Köln, wo wir die nächste Folge unserer Anfänger-Reihe drehen. Da sprechen wir natürlich über unsere Figuren. Oder wenn wir einen Stoff gemeinsam entwickeln, wie zum Beispiel für „Querschuss“ (Fernsehfilm 2024). Aber über unsere Romane oder Filme, die wir nicht gemeinsam drehen, sprechen wir nicht.

LWZ: Sie haben auf Ihren Lesereisen einen guten Kontakt zum Publikum – wie würden Sie die Reaktionen bezüglich des Romans „Brunnenstraße“ beschreiben? Und macht Sie das Thema „Pflegenotstand“ wütend?
Sawatzki: Kontakt zum Publikum ist ungemein wichtig und gerade deshalb liebe ich meine Lesereisen sehr. Mir bedeutet das Feedback viel, und ich höre Geschichten meiner Leserinnen und Leser. Gerade was das Thema Pflege oder Krankheit betrifft, begegnen mir oftmals Menschen, die viel Trauriges erlebt haben. Gleichzeitig ist es aber auch tröstlich, sich mit Menschen auszutauschen, die Ähnliches erlebt haben.
Und ich glaube, da spreche ich für beide Seiten, für mein Publikum und mich. Wir haben nach einer Lesung oft das Gefühl, nicht mehr gar so allein zu sein. Und das finde ich so wichtig. Was die Pflegesituation in Deutschland betrifft, sollten wir viel mehr miteinander darüber sprechen. Es sollte viel mehr darauf gehört werden, was Pflegende – egal, ob Pflegende, die das beruflich machen oder Angehörige, die zu Hause pflegen – zu sagen haben, was sie kritisieren. Das Schweigen macht mich oft fassungslos.

LWZ: Wie sehen Ihre derzeitigen beruflichen Pläne aus?
Sawatzki: Bis Mitte Dezember drehe ich mit meinem Mann den nächsten Teil unserer Anfänger-Reihe, eine schöne schwarze Komödie. Anschließend nehme ich noch neue Folgen für meinen Podcast „Siege der Medizin“ auf und reise noch einmal vier Tage nach Rumänien, um Hunde aus den Tötungsstationen zu holen. Am 22. Dezember werde ich dann meine beiden Jungs daran erinnern, den Weihnachtsbaum zu holen und zu schmücken – das machen sie nämlich sehr gern. Und sie kommen über Weihnachten immer nach Hause. Was das kommende Jahr betrifft, bin ich im Januar und Februar in 22 Städten mit meinem Buch „Biarritz“ auf großer Lesetour. Ab März stehe ich dann wieder vor der Kamera. Aktuell sind fünf Filme für 2026 geplant.


Das Gespräch führte Mathias Lindner.