
Kreis Lippe/Kalletal. Ein schlechteres Beispiel an Kommunalpolitik als die Sitzung des Kalletaler Rates am Donnerstag, 18. Dezember, zur weiteren Finanzierung des MVZ kann es nicht geben. Beschuldigungen, Anfeindungen und ein Bürgermeister, der nicht in der Lage schien, zu vermitteln, sondern mit seiner Einleitung zum Rückzug der Berufungsklage der UKB für weitere Polarisierung sorgte, prägten den Abend.
Doch, von Anfang an: Um ihrem demokratischen Recht auf Abstimmung im Rat nachkommen zu können, hatte die UKB ihre Berufungsklage am Morgen der Sitzung zurückgezogen. Darüber wurde auch Bürgermeister Mario Hecker durch den Anwalt der UKB informiert.
Hecker trug zu Beginn der Sitzung vor, dass er anfänglich Zweifel an der Richtigkeit des Schreibens gehabt und deshalb den Anwalt des MVZ sowie das Oberlandesgericht Köln kontaktiert habe. Dort sei ihm der Rückzug bestätigt worden. Dennoch, so der Bürgermeister, hätte er nach längerem Studium des Schreibens einen redaktionellen Fehler gefunden, der dazu führe, dass die UKB nicht abstimmen könne. Erst die von ihm geforderte öffentliche Erklärung der Vorsitzenden der UKB, Brigitte Lähnemann, sorgte dafür, dass er eine Abstimmung zuließ.
Danach startete er einen gut 40-minütigen Monolog zur Rechtfertigung der Gründung des MVZ. Dabei wies er auch auf andere Projekte der Gemeinde hin, die seiner Meinung nach wesentlich teurer seien und um die es keine Diskussionen gäbe. Als Beispiel zeigte er Folien mit den Kosten für das Freibad, Millionen-Bürgschaften für den Zweckverband Lippe-Weser oder Kreditaufnahme für den Wasserverband Hohenhausen. „Überlegen Sie sich Ihre Entscheidung gut, wenn Sie heute gegen die MVZ-Kredite stimmen und die Volksbank ihr Anfangsdarlehn verlieren könnte, wie sollen wir dann Gespräche führen, wenn wir Geld für den Hochbehälter brauchen“, so der Bürgermeister.
Auch die Aufregung um die Kinderärztin verstehe er nicht. Ob sie eine Zulassung habe oder nicht, spiele keine Rolle. Diese würde schon kommen, genauso wie ihre Förderung. Man habe immer gut zusammengearbeitet mit der KVWL, sagte er. Gleichzeitig sprach er davon, dass ein Allgemeinmediziner aus Hohenhausen sich an ihn gewandt und eine Zusammenarbeit mit dem MVZ angekündigt habe.
Auf Zuruf der UKB unterbrach er die Sitzung, damit sich der UKB-Vertreter von der Richtigkeit der Aussage überzeugen konnte; den Namen des Mediziners wollte der Bürgermeister öffentlich jedoch nicht verraten.
Später, vor der Abstimmung, betonte er nochmal seine politische Unabhängigkeit und appellierte an die Hand auf dem Herzen zum Eid, den alle geschworen hätten. Erwartungsgemäß stellten sich SPD und Grüne hinter den Bürgermeister.
„Es ist noch nicht ganz vorbei mit der Gerichtszerrerei“, sagt ein sichtlich erregter Ingo Mühlenmeier von der UKB an den Bürgermeister gerichtet. Er sei wie die Fraktion nicht befangen und ließe sich keine Angst mehr einflößen. „Wir waren von Beginn an für Transparenz, die hat es nicht gegeben. Deshalb werden wir heute hier ein Votum abgeben“, sagte er weiter.
Julian Gerber von der CDU gab ein umfangreiches Statement ab: „Für das MVZ Kalletal wurde der Begriff ‚Fass ohne Boden‘ erfunden. Wie lange wollen, vielmehr, wie lange können wir das noch mitmachen? Der Geschäftsführung ist es in den vergangenen Wochen nicht gelungen, transparent und fundiert unsere Zweifel an den Prognosen auszuräumen. Ganz im Gegenteil: Es gibt heute mehr offene Fragen und Zweifel als zuvor. Dieses Projekt war gut gemeint, wird die Kalletaler Steuerzahler künftig aber Unsummen kosten, wenn wir heute keinen Schlussstrich ziehen. Bereits im März 2024 haben wir erkannt, dass die von Dostal angegebenen Zahlen nicht stimmen können. Statt der angekündigten 53.500 Euro Gewinn stehen nun 312.000 Euro Verlust allein für dieses Jahr im Raum – genau jene Größenordnung, die wir damals prognostiziert haben. Trotzdem wurde uns und insbesondere auch der Öffentlichkeit monatelang etwas Anderes erzählt. Der große Knall kam dann zufällig direkt nach dem Kommunalwahltermin: Seit der Gründung 2024 haben wir ein strukturiertes Sanierungsvorgehen angeregt. Wenn man es mit dem MVZ sachlich ernst gemeint hätte, hätte man genau das direkt umgesetzt. Trotz veränderter Mehrheitsverhältnisse ist jedoch nichts passiert. Das zeigt deutlich: Bei den handelnden Akteuren gibt es keinen Willen zur Veränderung, sagte er.
Zudem hätten alle Finanzpläne, die sie erhalten hätten, eine Sache gemeinsam: falsche Zahlen, fehlende Positionen und ganz grundlegende handwerkliche Fehler. Das sei kein Konzept, sondern ein fachliches Armutszeugnis, so der CDU-Fraktionsvorsitzende weiter.
„Wir haben in den vergangenen Monaten immer versucht, ergebnisoffen zu diskutieren. Wir haben uns fachlichen Rat von Experten eingeholt und mit nahezu allen Hausärzten im Kalletal gesprochen. Unsere Entscheidungen basieren nicht auf Bauchgefühl, sondern auf Fakten, Expertise und Verantwortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. Daran ändert auch der enorme politische Druck, der auf die Fraktionen von UKB und CDU ausgeübt wird, nichts“, sagte er weiter.
Es gehe weder um persönliche Fehden noch darum, den Bürgermeister oder andere Fraktionen zu diskreditieren. Man könne nachvollziehen, dass man als Patient des MVZ vor allem die Vorteile sehe – genau deshalb lege man die eigene Bewertung so transparent offen. Fazit: Die Weiterführung des MVZ mit Steuermitteln sei die absolut falsche Entscheidung für die Gemeinde Kalletal. Die vergangenen Monate hätten das eindrucksvoll gezeigt.
Die vom Bürgermeister geforderte geheime Abstimmung wurde zunächst mit Hinweis auf die Kommunalordnung abgelehnt, sodass SPD und Grüne den Antrag stellten. Das Ergebnis: 17 Stimmen gegen das Darlehn, 15 dafür. Udo Zippel, ehemaliger Geschäftsführer der Stiftung Eben-Ezer und Initiator des Bürgerbegehrens, ergriff unter dem Ordnungspunkt „Anfragen von Bürgern“ das Wort und griff Julian Gerber und die CDU massiv an. Ohne Eingreifen des Bürgermeisters, der auf Protest aus der CDU die Sitzung unterbrach, um ihn reden zu lassen, kündigte er ein neues Bürgerbegehren an und forderte alle anwesenden Zuschauer zur sofortigen Unterschrift auf.
Ob das rechtens ist und Erfolg haben wird, zeigt die Gemeindeordnung NRW: Auch darüber muss letztlich der Rat abstimmen. Eines ist jetzt auf jeden Fall erreicht, die Polarisierung in der Gemeinde hat seit der Ratssitzung zugenommen. Schon kurze Zeit nach der Sitzung postete eine Angestellte des MVZ: „Die Ratten sitzen nicht nur in den Kanälen!“ Und auf den Seiten des Sozialen Netzwerkes im Kalletal gehen die Befürworter und Gegner massiv aufeinander los.
Stellt sich die Frage, wie sieht der Bürgermeister, der immer wieder betont, dass er parteilos sei, jetzt seine Aufgabe. Diese müsste es doch sein, zu vermitteln und nicht weiter zu eskalieren.








