Ukraine-Krieg beeinflusst lippischen Arbeitsmarkt: Agentur für Arbeit Detmold, IHK und Kreishandwerkerschaft ziehen Bilanz

120
Präsentieren die Jahresbilanz am lippischen Ausbildungsmarkt: (von links) Rainer Radler, Sabine Gulfam, Christoph Fanenbruck, Michael Wennemann und Andrea Hegerbekermeier. Foto: Andreas Leber

Kreis Lippe/Bad Salzuflen. In der Agentur für Arbeit Detmold meldeten sich von Oktober 2022 bis zum Abschluss des Ausbildungsjahres Ende September 2023 insgesamt 2.471 Bewerber. Gleichzeitig wurden dem Arbeitgeberservice im Berichtsjahr 2022/2023 für Lippe 2.199 Ausbildungsstellen gemeldet. Im Bestand sind aktuell noch 127 zu besetzende Ausbildungsstellen. 1.234 Bewerber wurden versorgt, 91 Bewerber sind mit Stand Ende September unversorgt.

Diese Zahlen gaben die Agentur für Arbeit Detmold, die IHK Lippe zu Detmold und die Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe unlängst auf ihrer Jahresbilanz-Pressekonferenz bekannt. Dazu hatten sie in die Räumlichkeiten der Fanenbruck GmbH & Co. KG in Bad Salzuflen geladen.

„Im vergangenen Berichtsjahr brachten der Ukraine-Krieg, und daraus resultierende Unsicherheiten in der globalen Wirtschaft auch das Ausbildungs- und Arbeitsmarktgeschehen in Deutschland und vor Ort in Lippe ins Wanken: Die Konjunktur verzeichnet Einbußen, die sich auf das Einstellungsgeschehen der lippischen Unternehmen auswirken.

Die gute Nachricht: Lippische Unternehmen investieren rege in Ausbildung. Die Fachkräftegewinnung und -sicherung bleibt die wichtigste Stellschraube auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt“, zog Rainer Radler, Leiter der Agentur für Arbeit Detmold, Bilanz.

In diesem Zusammenhang führte Christoph Fanenbruck, Geschäftsführer der gastgebenden Fanenbruck GmbH & Co. KG, an, dass Handwerksbetriebe wieder mehr geschätzt und besonders in vielen Bereichen die Ausbildung wieder „sexyer“ werden müsse.

IHK-Bildungsgeschäftsführer Michael Wennemann freute sich indes über einen deutlichen Anstieg bei den neu eingetragenen Ausbildungsverträgen. „Mit Stichtag 30. September konnten wir gegenüber dem September 2022 62 Verträge mehr verzeichnen. Das entspricht einem Plus von 5,1 Prozent. Damit lassen wir die während der Corona-Zeit zurückgegangenen Eintragungszahlen hinter uns“, sagt Wennemann.

„Trotz der in vielerlei Hinsicht unsicheren Zeiten wissen unsere Unternehmen um die Wichtigkeit qualifizierter Nachwuchskräfte. Mit der zurzeit laufenden Ausbildungskampagne ‚#könnenlernen‘, an der alle 79 IHK in Deutschland teilnehmen, wollen wir die Wertschätzung für eine duale Berufsausbildung bei allen Beteiligten steigern. Unter dem Logo der Kampagne stand auch die erfolgreich durchgeführte Ausbildungsmesse ‚Berufe live‘ mit mehr als 100 Ausstellern“, fährt Wennemann fort und ergänzt: „Gerne können sich Ausbildungsplatzsuchende auch jetzt noch bei uns melden. Zahlreiche Unternehmen sind noch für dieses Jahr auf der Suche nach geeigneten Auszubildenden.“

Andrea Hegerbekermeier, Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft (KH) Paderborn-Lippe, zeichnete folgendes Bild der Situation: „Nachdem im vergangenen Jahr ein Zehn-Jahres-Höchstwert in der Ausbildungsstatistik angezeigt wurde, ist die Zahl der Ausbildungsverhältnisse im Jahr 2023 wieder gesunken und die Entwicklung damit weiterhin Besorgnis erregend.

Denn auch das Hoch des vergangenen Jahres deckte den Bedarf der Betriebe an Nachwuchsfachkräften nicht annähernd. Denn nur allein in Anbetracht des Rentenabgangs der kommenden Jahre müsste die Statistik zweimal so viele Ausbildungsverhältnisse aufweisen. Hinzu kommen Klimawandel und Energiewende, die den Bedarf an Fachkräften noch weiter in die Höhe treiben.“

Ausbildungsabbrüche, das Nicht-Bestehen der Gesellenprüfung und die Abwanderung in Industrie oder Studium reduzierten die ohnehin zu niedrige Anzahl an Auszubildenden zusätzlich. Das Fazit von Hegerbekermeier: „Das Handwerk leidet hier vor Ort unter einem massiven Nachwuchs- und Fachkräftemangel, der sich in den kommenden Jahren noch weiter und merklich zuspitzen wird, wenn nicht intensiv gegengesteuert wird.“

Erfreulich sei, dass die gerade für die Klimawende relevanten Gewerke wie Anlagenmechaniker und Elektroniker nach wie vor hoch im Kurs stehen. Die KH-Geschäftsführerin erläutert: „Einen Zuwachs verzeichnen wir in diesem Jahr bei den Malern und auch erfreulicherweise bei den Bäckern. Dahin gegen müssen die Gewerke Kfz und Friseur mit weniger Auszubildenden auskommen.“

Die Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe hat aufgrund dieser Entwicklung ihre Anstrengungen im Bereich der hauseigenen Ausbildungsoffensive „Folge deinem ich“ weiter verstärkt und um eine digitale Kampagne erweitert.

Die seit 2015 bestehende Aktion, die gezielt und auf Augenhöhe auf Schüler zugeht und für die vielen Möglichkeiten in den handwerklichen Ausbildungsberufen wirbt, habe wesentlich dazu beigetragen, dass sich der Trend in der Ausbildungsstatistik seit Bestehen der Offensive erkennbar nach oben entwickelt hat.

„Nichtsdestotrotz ist nach wie vor ein gesellschaftliches Umdenken vonnöten. Der Handwerker darf nicht erst dann wertgeschätzt werden, wenn er gebraucht wird. Die Wertschätzung sollte bereits in den Schulen, auch in den Gymnasien und den Gesamtschulen, beginnen. Das ist eine wichtige Daueraufgabe“, betont Hegerbekermeier.

Sabine Gulfam, Teamleiterin der Berufsberatung vor dem Erwerbsleben, hält es für möglich, allen noch unversorgten Bewerbern ein attraktives Angebot unterbreiten zu können: „Kurzfristige Nachvermittlung sind zu Zeiten des erhöhten Fachkräftebedarfs keine Seltenheit.“ Gulfam ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass mehr als 20 Beratungskräfte der Detmolder Arbeitsagentur an allen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen im gesamten Kreisgebiet Berufsberatung anbieten, sowohl in der Agentur, aber seit Jahren vermehrt in den Schulen selbst. „Unsere Berufsberater sind das ganze Jahre über dort, wo sie von den Schülern gebraucht werden. Übrigens immer in enger Abstimmung mit den Schulleitungen und den Koordinatoren für die berufliche Orientierung an den Schulen.“

Insgesamt stehen der Agentur für Arbeit Detmold für das Jahr 2023 rund 2,7 Millionen Euro für die berufliche Eingliederung und Qualifizierung von Jugendlichen zur Verfügung. Eine ähnliche Summe wird für 2024 eingeplant.

In der aktuellen Nachvermittlungsphase und für den Ausbildungsbeginn 2024 unterstützt der Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur Unternehmen bei der Besetzung freier Ausbildungsplätze kostenfrei unter der Hotline 0800-4555520. Junge Leute, die Hilfe bei der Ausbildungssuche anstreben, können sich telefonisch unter der Rufnummer 0800-4555500 oder per E-Mail an bei der Berufsberatung melden. (lwz/al)