
Lemgo. Ivar Buterfas-Frankenthal hat den Holocaust überlebt. Um seine Erinnerungen und Erlebnisse an die nachfolgenden Generationen weiterzutragen, spricht er seit nun mehr 30 Jahren regelmäßig vor Schülern aus seinem bewegten Leben. Anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, sprach er nun am Marianne-Weber-Gymnasium (MWG) in Lemgo.
Rund 450 Schüler aller weiterführenden Schulen in Lemgo und auch einige Lehrer kamen zu der rund 70-minütigen Veranstaltung. Diese fand in Kooperation mit dem Lions Club Bad Salzuflen, dem „Arbeitskreis 9. November Lemgo“, der Alten Hansestadt Lemgo und dank der finanziellen Unterstützung der Bad Salzufler Spedition Bobe statt.
„Nie wieder“
Bürgermeister Markus Baier betonte in seiner einleitenden Rede, dass besonders in Lemgo die Erinnerung an diese grausame Zeit, durch verschiedene Veranstaltungen, das Frenkelhaus oder auch Karla Raveh wachgehalten würde. „Die NSDAP hat damals bei einem Besuch von Adolf Hitler in Lemgo die Massen begeistert. So eine Zeit darf es nie wieder geben“, betonte Baier.
„Es war eine lange Aufarbeitungszeit. So gab es Menschen wie Adolf Sternheim, der das Deutsche Rote Kreuz in Lemgo mitbegründet hat, 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde und sich ab 1945, nach seiner Rückkehr nach Lemgo, besonders für jüdische Menschen, die in Not geraten waren, einsetzte“, ergänzte Baier. Es gebe, so der Bürgermeister weiter, keinen Platz für solche Gräueltaten und dazu zähle auch das Wirken einer Partei, der AfD.
Reise in eine dunkle Zeit
Im Anschluss an Baiers Rede unternahmen alle Anwesenden eine Zeitreise, die sie 80 Jahre in die Vergangenheit katapultierte. Denn trotz seiner mittlerweile 91 Lebensjahre ist Ivar Buterfas-Frankenthal unermüdlich in seinem Engagement. Er möchte seine Lebensgeschichte noch immer unbedingt weitergeben. So war der Vortrag in Lemgo bereits sein 1563. dieser Art. Bei seinen Vorträgen wird er stets tatkräftig von seiner Frau Dagmar unterstützt. „Wenn ich sie nicht kennengelernt hätte, wäre ich heute wohl nicht mehr am Leben“, erklärte Buterfas-Frankenthal dem gespannt lauschenden Publikum.
Kindheit im Dritten Reich
Geboren wurde Buterfas-Frankenthal als Sohn einer christlichen Mutter und eines jüdischen Vaters am 16. Januar 1933 in Hamburg, genau zwei Wochen vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Er war der Jüngste von insgesamt acht Kindern und verbrachte seine gesamte Kindheit damit im Dritten Reich.
Schon kurz nach der Machtergreifung kam sein Vater ins Konzentrationslager Esterwegen bei Papenburg im Emsland. Dort verbrachte er viele Jahre und musste im dortigen Moorgebiet große Baracken mit aufbauen. Buterfas-Frankenthal musste mit seiner Mutter und seinen Geschwistern ebenfalls die Wohnung verlassen. Sie wurden in einem heruntergekommenen „Judenhaus“ untergebracht. „Dort gab es weder Strom noch fließendes Wasser“, erinnerte sich Ivar Buterfas-Frankenthal.
Besonders ausführlich und eindringlich erzählte er ein Erlebnis als Sechsjähriger in der Schule. „Ich musste hervortreten und wurde dann sogar vom Schulhof gejagt. Als sie begriffen hatten, dass ich Jude war, spuckten sie mich an, traten mich und verbrannten mich mit einer Zigarette. Sie riefen mir hinterher: ‚Wir rösten die kleine Judensau‘ – und sie haben es auch versucht“, beschrieb Buterfas-Frankenthal. Nur mithilfe von Passanten sei ihm dann die Flucht nach Hause gelungen. Das wäre mit eines seiner einschneidendsten Erlebnisse gewesen.
Auf der Flucht
Er habe keine Kindheit gehabt und auch zur Schule hätte er nicht mehr gehen können. Dank eines Freundes der Familie, der bei der Gestapo tätig war, konnte die Familie aber wenig später flüchten. Erst in die Tucheler Heide, da seien sie aber schnell aufgeflogen, und so habe ihr Weg wieder nach Hamburg geführt. „Dort haben wir zunächst in einem Kleingartenhäuschen und später in einem Keller eines von Bombenangriffen zerstörten Hauses gelebt“, sagte Buterfas-Frankenthal. Eine Nachbarin, die seine Mutter von früher kannte, versorgte die Familie mit Decken und etwas Essen.
Demokratie auf dem Prüfstand
Während seines Vortrages mahnte Ivar Buterfas-Frankenthal auch immer wieder vor den Gefahren durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und vor der AfD. „Hoffentlich haben wir aus der Vergangenheit gelernt und nehmen Artikel 1 des Grundgesetzes sehr ernst. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar“, betonte er. Er habe mit großer Hoffnung die vergangenen Tage verfolgt, als Hunderttausende Menschen in Deutschland aufgestanden seien und sich unter anderem gegen die AfD zur Wehr gesetzt hätten. „Die Demokratie steht momentan auf dem Prüfstand, aber Deutschland wacht nun langsam auf“, sagte Buterfas-Frankenthal.
„Jeder Einzelne kann etwas tun. Man sollte nicht fragen, was kann mein Land für mich tun, sondern was kann ich für mein Land tun. Denn es ist wichtig, dass die Demokratie gegen jeden Feind geschützt wird“, ergänzte er.
Schüler stellen Fragen
Nach seinen Ausführungen gab er noch rund zehn Schülern die Möglichkeit, ihm Fragen zu stellen. Da sich zunächst niemand meldete, gab er den Ratschlag: „Nutzt diese Gelegenheit, denn ihr werdet nicht mehr lange die Möglichkeit haben, mit Zeitzeugen zu sprechen.“
Die Ansprache wirkte. Geduldig beantwortete der 91-Jährige anschließend jede einzelne Frage. Insbesondere die aktuellen Entwicklungen rund um die AfD beschäftigten auch an diesem Abend die meisten Gäste. So kam etwa die Frage: „Sind Sie für ein Parteiverbot der AfD?“ Dies hielt er für sehr schwierig. Die Partei würde dann wohl im Untergrund weiter agieren. Man sollte daher eher versuchen, die Menschen, die mit dieser Partei sympathisieren, zurückzugewinnen. Irgendwann würde die AfD dann hoffentlich genauso schnell verschwinden, wie sie gekommen sei.
Alle Schüler hörten über die gesamte Zeit wie gebannt zu. Zum Abschluss kauften sich einige von ihnen noch Buterfas-Frankenthals aktuelles Buch „Von ganz, ganz unten“ und ließen es sich von ihm und seiner Frau Dagmar persönlich signieren.