„Im Zweifel einfach mal machen“: Max Mutzke und Marialy Pacheco im Interview

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Max Mutzke und Marialy Pacheco musizieren im März 2025 gemeinsam in der Stadthalle Detmold. Foto: Moritz „Mumpi“ Künster

Kreis Lippe/Detmold. Max Mutzke ist in Deutschland ein Begriff, seit er 2004 am Eurovision Song Contest in Istanbul teilnahm und dort mit seinem Song „Can’t Wait Until Tonight“ einen sensationellen achten Platz belegte.

LWZ-Reporter Robert Pairan lauschte dem bekannten Hutträger einige Jahre später in einer Herforder Kneipe und war positiv überrascht, dass der Sänger mehr als nur Pop im Repertoire hatte. Jüngere Fans kennen ihn derweil eher aus der TV-Show „The Masked Singer“, in der er 2019 als „Astronaut“ die erste Staffel gewann.

Marialy Pacheco hingegen, ist hierzulande, zumindest für die breite Öffentlichkeit, noch ein musikalischer Geheimtipp. Sie wurde 1983 in Kuba geboren und ist Jazzpianistin – eine scheinbar unmögliche Kombination, jedenfalls wenn man bei Kuba nur die Rhythmen des Buena Vista Social Clubs im Kopf hat und bei Jazz stets an pfeifenrauchende Intellektuelle im Rollkragenpullover mit Zeitung unterm Arm denkt.

Unter dem Titel „Unsere Nacht“ treffen sich Max Mutzke und Marialy Pacheco am 7. März 2025 um 20 Uhr (Einlass: 19 Uhr) in der Stadthalle Detmold. Was sich musikalisch hinter dem Titel verbirgt und warum man sich das Konzert unbedingt anhören und -schauen sollte, erzählen die beiden Künstler unter anderem im LWZ-Interview.

LIPPISCHE WOCHENZEITUNG (LWZ): Wir scheitern beim Versuch, den Musiker Max Mutzke zu beschreiben – sollten wir lieber aufzählen, was er aktuell nicht macht?

Max Mutzke: Ich vergleiche das gerne mit der Kulinarik: Wenn mein Lieblingsessen Pizza wäre, dann würde ich mich nach dem vierten Tag auch fragen, ob es da nicht auch etwas Anderes gäbe. Spätestens nach acht Tagen wäre Pizza nicht mehr mein Lieblingsessen. Und genauso ist es mit der Musik – ich brauche eine bunte Mischung. Es geht bei der Besetzung los, daran entscheiden sich die Arrangements und die Locations. Wenn man etwa mit einem Orchester spielt, ist das etwas anderes als der Auftritt mit einer kleinen Jazz- oder R’n‘B-Band. Das ist ein herrlicher Wechsel und darauf möchte ich nicht verzichten. Dadurch kommen sehr viele Shows zusammen, teilweise drei bis vier in einer Woche, die alle komplett unterschiedlich sind. Aber genau das macht mir so richtig viel Spaß.

LWZ: Zurück zum Anfang: Viele sehen den Startschuss Ihrer Karriere im Sieg bei der Ausscheidung von „Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star“ (SSDSGPS). Aber dort gewinnt man ja nicht einfach so, da muss man vorher schon Musik gemacht haben.

Mutzke: Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Musik immer ein großes Thema war. Meine Eltern haben selbst Instrumente gespielt, daher lief die Musik, die wir zu Hause gehört haben, nicht einfach nur im Radio. Mein Vater hat nur Miles Davis, Herby, Tower of Power und solche Sachen gehört. Alles, was man als Black Music einordnen würde. Wir waren sehr oft auf Konzerten und Jazz-Festivals. Mein Vater hatte zudem eine eigene Liveband, die bei uns im Haus geprobt hat. Der Proberaum war ein Wohlfühlraum, wie ein Kulturklub mit Alpenblick. Da wurden auch Sommerfeste mit Liveband gefeiert. Mit sechs Jahren habe ich dann angefangen Schlagzeug zu spielen, mit elf meine erste Band gegründet und direkt meinen ersten Auftritt gehabt. Ich spiele also mein Leben lang schon Musik. Das war wohl auch der Grund, warum ich bei der Casting-Show sehr routiniert war: Meine Stimme und wie ich sie richtig einsetze, das Performen und Singen waren alles andere als neu, auch wenn das Umfeld ein anderes war. Aber das hat mir zum Glück ganz schnell die Ohren und Türen zu Musikern, wie Klaus Doldinger und Nils Landgreen geöffnet.

LWZ: Aber der Kontakt und die Zusammenarbeit mit Stefan Raab hat dennoch weitergeholfen?

Mutzke: Absolut, das ist das Sprungbrett gewesen. Stefan hat zwar immer gesagt, er wäre überzeugt davon, dass ich auch ohne den Auftritt bei ihm in die Öffentlichkeit gerutscht wäre. Aber ich sehe das anders. Ich glaube, dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein muss und wenn man die Chance dann nicht ergreift, ist sie vielleicht für immer vorbei.

LWZ: Wie gelangt man dann zu „The Masked Singer“?

Mutzke: Das ist wahrscheinlich meinem Lebensmotto geschuldet: Ich bin bereit, auch im Zweifel Dinge einfach zu machen und auszuprobieren. Es gibt Sachen, da habe ich keine Zweifel daran, dass sie gut sind, die mache ich dann. Aber es gibt auch welche, da habe ich keine Zweifel, dass sie nicht gut sind und die lasse ich, was mir auch nicht schwerfällt. Aber es gibt Sachen, die könnten wahnsinnig gut, aber auch nicht so gut werden. Doch weil es eben gut werden könnte, möchte ich alles dafür geben, dass es am Ende zumindest nicht an mir lag, warum es nicht funktioniert hat. So war das auch bei „The Masked Singer“: Ich habe das Konzept gelesen und geglaubt, das könnte richtig gut werden, es könnte auch nicht gut werden – lass es uns einfach probieren. Und dann ist es ein solcher Erfolg geworden; die erfolgreichste Sendung im Privatfernsehen. Das ist der Grund, warum ich sage, im Zweifel einfach mal machen. Und das ist auch der Grund, warum ich ein Kinderbuch geschrieben habe oder die ARD-Sendung „Lebenslieder“ moderiere.

LWZ: Fernsehstudios und Kneipenmusik – jetzt die Stadthalle in Detmold – was ist am schönsten?

Mutzke: Es ist die Abwechslung. Natürlich ist es toll, wenn man ein großes Festival vor 20.000 Menschen spielt, aber das ist nicht mein tägliches Brot. Doch wenn ich mich entscheiden müsste, dann für die ganz intimen Shows, bei denen nur 80 bis 100 Leute reinpassen. In den kleinen Clubs ist man näher dran und sieht, wie die Musiker arbeiten und schwitzen und hat die unmittelbare Nähe. Das kann einen genauso verzaubern wie große Bühnenshows mit Leinwänden, Kostümwechsel und Pyroshows. Dieses Unmittelbare ist schon etwas Besonderes.

LWZ: Frau Pacheco, wenn ich an kubanische Musik denke, kommen mir zuerst die Rhythmen des Buena Vista Social Clubs in den Kopf und weniger der Jazz. Aber Kuba ist offensichtlich mehr als das.

Marialy Pacheco: Der Buena Vista Social Club hat der kubanischen Musik natürlich die Tür zur Welt aufgestoßen. Aber gleichzeitig wurde unsere Musik und unsere Kultur nur darauf reduziert. Aber unsere Musik ist so vielfältig und hat so viele Facetten, die Kultur ist reich und so vielen verschiedenen Einflüssen ausgesetzt und entsteht darüber hinaus immer wieder neu. Daher finde ich es schade, dass Kuba immer nur auf den Buena Vista Social Club reduziert wird. In Kuba sind alle Musiker klassisch ausgebildet. Wir haben Konservatorien, wo man schon als talentiertes Kind anfangen kann. Das Internat ist kostenlos und auch wenn die Ausbildung hart ist und sehr viel Disziplin erfordert, ist sie für mich eine der besten Ausbildungen, die es gibt. Wenn man etwa die Prüfungen nicht besteht, fliegt man raus. Da man aber Musiker werden möchte, will man das natürlich unbedingt vermeiden. Es war mein Leben und es war so schön, die Lehrer und das ganze Ambiente. Ich wollte schon immer Pianistin sein, Klavier spielen und die Beste sein.

LWZ: Wie schafft man es, mit Anfang 20 Kuba zu verlassen? Wie läuft das politisch und praktisch in der Umsetzung ab?

Pacheco: Die Regierung hat natürlich ein großes Interesse daran, dass der Welt unsere Kultur gezeigt und verbreitet wird. In meinem Fall habe ich eine Einladung erhalten, hier in Deutschland eine CD aufzunehmen. Ich habe eine Ausreiseerlaubnis für drei Wochen bekommen, aber ich bin einfach geblieben. Ich sah das damals als einzige Möglichkeit, frei zu sein. Ich wollte einfach in einem Land leben, wo ich mich frei fühlen kann, und das hat mir Deutschland von Tag eins an gegeben. Ich bin jetzt Deutsche! Bei meiner ersten Reise mit dem deutschen Pass habe ich mich am Flughafen wie eine Königin gefühlt: Ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann. Du gehst über die Grenzen, durch den Zoll und alle lächeln freundlich, es werden keine Fragen gestellt oder misstrauisch kontrolliert. Ich könnte stundenlang davon erzählen, wie es jemandem mit kubanischem Pass ergeht. Ich bin Deutschland sehr dankbar.

LWZ: Mittlerweile spielen Sie Tourneen in Australien, Japan und ganz Europa. Zudem haben Sie bereits zwölf Alben veröffentlicht. Kannten Sie den Namen Max Mutzke vor Ihrem ersten Treffen?

Pacheco: Nein, ich kannte Max nicht, ich habe ihn beim Rheingau-Musik-Festival, bei dem wir an verschiedenen Tagen aufgetreten sind, zum ersten Mal gehört und gesehen. Ich war hin und weg, von seiner Präsenz auf der Bühne, von seiner Art und Weise und wie ehrlich er dort ist. Er ist authentisch und versucht nicht wie jemand anderes zu klingen. Es gibt in Deutschland keine andere Stimme wie die von Max.

Mutzke: Genau, wir haben uns auf dem Festival kennengelernt. Ich habe Marialy gesehen und dachte: „Krass!“ Mit Marialy kommt eine Frau auf die Bühne, die toll aussieht, weil sie auch schick gekleidet ist und graziös daherkommt. Dann spielt sie Musik und das ist dann der wahre Hingucker. Damals spielte sie und ich dachte mir: „WTF, was macht die da?“ Anschließend haben wir im Backstage ein wenig gequatscht. Ich kannte ihren Manager Klaus noch von früher.

Pacheco: Ja, ich habe Max erzählt, wie sehr ich seinen Auftritt genossen habe. Ich habe ihm nicht gleich gesagt, dass ich gerne etwas mit ihm machen möchte, ich bin da nicht so geschäftsmäßig. Aber meinem Manager Klaus habe ich direkt gesagt, dass wenn wir mal ein konkretes Projekt haben sollten, ich Max gerne dazu einladen wollen würde.

Mutzke: Marialy hat sich dann einen Titel von mir ausgesucht, von dem ich nie geglaubt hätte, dass sie den nimmt. Und dann hat sie eine Version abgeliefert, die schöner war als meine originale.

LWZ: Woran merkt man, dass man musikalisch zusammenpasst? Wird vorher Musik digital ausgetauscht oder trifft man sich jedes Mal persönlich?

Pacheco: Erst ein paar Jahre später ergab sich die Möglichkeit der Zusammenarbeit, als ich die CD „Duets“ aufgenommen habe, auf der ich mit verschiedenen Musikern zusammenspiele. Das waren alles Instrumentalisten, aber ich wollte unbedingt noch Gesang darauf haben. Und da habe ich Max gefragt und ihm von meiner Idee erzählt. Dann habe ich den Song von ihm rausgesucht und auf meine Weise neu arrangiert, wie es das Projekt „Duets“ im Kern vorsieht: mit neuen Strukturen, neuen Akkorden, neuer Farbe. Da bin ich voll ins Risiko gegangen. Er hätte auch sagen können: „Nee, das ist Käse, das gefällt mir nicht.“ Aber ich habe es einfach gemacht. Wir haben uns dann getroffen, ich habe den Song gespielt und er war total begeistert. Der Song „You“ war damit der Anfang unserer Kooperation.

Mutzke: Ein wenig später hatten wir dann auch die Gelegenheit, gemeinsam live aufzutreten. Ich hatte volles Vertrauen in Marialy und sagte zu ihr: „Such du aus, was du spielen willst, mach die Arrangements, das wird schon cool werden.“ Und sie schickte mir tatsächlich ihre Version über einen Messenger, sodass ich schon einmal reinhören konnte. In der Regel treffen wir uns aber bei den Konzerten und meist reicht dann schon der Soundcheck. Denn ich kenn‘ den Text, ich kenn’ die Melodie, ich bin da safe. Sie hat zu Hause gecheckt, ob alles zusammenpasst, und dann spielen wir das vor Ort ein-, zweimal durch. Eventuell ändern wir dann noch die ein oder andere Kleinigkeit. Dadurch ändert sich das Programm auch fortlaufend, und am Ende des Jahres haben wir vielleicht die Hälfte der Lieder ausgetauscht.

Pacheco: Genau, es gab es immer wieder kleinere Events, auf denen wir mal einen, mal zwei Songs gespielt haben. Das lief so gut, dass wir unbedingt ein gesamtes Konzertprogramm brauchten.

LWZ: Was erwartet die Besucher auf ihrem gemeinsamen Konzert? Warum sollten sich die Lipper Ihre Musik unbedingt anhören?

Mutzke: Die Konzerte sind geprägt von meinen Liedern, meinen Texten und Melodien. Aber all das ist zuvor einmal durch ihre Ohren, durch ihr Herz und ihre Hände gelaufen und deshalb ist der gesamte musikalische Rahmen von Marialy geschaffen. Ich würde es als eine Mischung aus Latin-Jazz und klassischer Musik bezeichnen. Das ist wirklich etwas Besonderes und total geil.

LWZ: Frau Pacheco, als Musikerin mit Welterfahrung, ist Detmold nicht eher Provinz für Sie?

Pacheco: Nein, überhaupt nicht. Ich habe in der Elbphilharmonie gespielt, das war wunderschön, aber ich habe auch in kleinen Clubs gespielt und das ist genau das gleiche. Man wirft sein Herz auf die Bühne und gibt alles. Ich liebe mein Publikum, egal wie viele Menschen das in dem Moment sind. Ich habe überall auf der Welt gespielt, aber das deutsche Publikum ist mein Lieblingspublikum.

LWZ: Eine abschließende Frage hätte ich noch an sie beide, und bitte beantworten Sie sie, ohne vorher Google zu fragen! Kennen Sie Detmold und was verbinden Sie mit der Stadt?

Mutzke: Ja, natürlich kenne ich Detmold! Aber als ich gelesen habe, dass wir dort spielen, musste ich überlegen, warum. Vielleicht nur, weil ich auf der Autobahn daran vorbeigefahren bin und den Namen gelesen habe. Oder habe ich dort schon gespielt? Ich kann es spontan nicht beantworten. Ich werde es aber herauszufinden!

Pacheco: Den Namen kenne ich schon, aber ich bin noch nie dagewesen. Das wird also das erste Mal. Leider haben wir kaum Zeit, eine Stadt richtig kennenzulernen. Es ist so schade, denn wir kommen erst am Tag des Konzertes an, übernachten vielleicht noch dort und sind am nächsten Morgen schon unterwegs zum nächsten Konzert.


Das Gespräch führte Robert Pairan.