Gast auf einer Lagenser Lampe

399
Dirk Schneider aus Lage-Kachtenhausen hat Adebar quasi vor der Haustür auf einer Laterne eine halbe Stunde lang posieren sehen. Fotos: Dirk Schneider.

Lage-Kachtenhausen. Dirk Schneider beobachtet in der Kameruner Straße im Ortsteil Lage-Kachtenhausen einen Weißstorch. Ein gutes Zeichen, wenn Zugvögel Lippe ihre Aufwartung machen. Und das geschieht in jüngster Zeit immer häufiger. 

Irgendwie passt es wie die Faust aufs Auge, wenn es Störche nach ihrem Winterquartier in Nordafrika in die Kameruner Straße zieht. Zumindest für eine Stippvisite auf dem Weg ins norddeutsche Sommerquartier. Manche von ihnen brüten sogar im Lipperland. Eisenbahnfreund Dirk Schneider hat Adebar beobachtet und fotografiert, wie er eine halbe Stunde lang auf einer Laterne an der Kameruner Straße posierte.

„So nah, so schön – ein echter Lichtblick in dieser Zeit“, schreibt Dirk Schneider seinem Bericht für die Lippische Wochenzeitung (LWZ) und stellt sich die Frage, ob der Storch im Herbst wohl wirklich nach Kamerun aufbricht. Könnte sein, denn die Weißstörche verbringen den Nordhalbkugel-Winter nahezu überall im südlichen Kontinent.

Schneider zückt spontan sein Handy. „Ich habe gleich mal draufgehalten“, schreibt er. „Jeden meiner Schritte hat Adebar aufmerksam beobachtet und sich neu ausgerichtet, sobald ich mich hinter ihn stellte. Aber Angst? Hatte er nicht. Er wirkte wachsam, fast neugierig – als wüsste er, dass ich ihn bestaune.“ Der Storch verweilt noch eine Weile. „Nachdem ich ihn mehrfach fotografiert hatte, ließ er noch etwas fallen“, bemerkt Dirk augenzwinkernd, „und dann, nach über einer halben Stunde, war er plötzlich verschwunden – einfach weggeflogen.“ Zurück bleibt ein ehrfürchtiges Staunen – und die Fotos eines besonderen Abends.

Die Rückkehr des Storches – eine Erfolgsgeschichte

Dass man überhaupt wieder solche Begegnungen in Deutschland erleben kann, ist keine Selbstverständlichkeit. Noch vor wenigen Jahrzehnten war der Weißstorch hierzulande fast verschwunden. Die Trockenlegung von Feuchtwiesen, der Verlust von Brutplätzen, Stromleitungen und Pestizide hatten den Beständen stark zugesetzt. In den 1980er Jahren zählte man bundesweit kaum noch 3.000 Brutpaare – viele davon in Ostdeutschland.

Doch mit dem Einsatz von Naturschutzverbänden, gezielter Renaturierung und dem Bau künstlicher Nistplattformen kehrte Adebar zurück. Heute sieht man Störche wieder häufiger – vor allem im Osten, im Süden und in Teilen Nordwest-Deutschlands. Auch in Ostwestfalen und Lippe gibt es wieder regelmäßig Storchenbeobachtungen, insbesondere in der Nähe von Feuchtgebieten und Flüssen wie der Werre, dem Senner Moor oder den renaturierten Wiesen bei Detmold und Lage.

Ein Vogel, der Geschichten erzählt

Störche werden in jüngster Zeit in Lippe verstärkt gesehen. Hier hockt Adebar im Lagenser Ortsteil Kachtenhausen auf einer Laterne. Fotos: Dirk Schneider

Warum aber berührt uns gerade dieser Vogel so sehr? Vielleicht liegt es an der Symbolkraft des Storches. In vielen Kulturen gilt er als Glücksbringer. In Kinderbüchern bringt er Babys, im Volksglauben kündigt er neues Leben an. Sein langer Wegzug nach Afrika und die Rückkehr im Frühling machen ihn zum Sinnbild für Erneuerung, für Hoffnung und für das Wiederkehren des Vertrauten in einer Welt des Wandels.

Dirk Schneider drückt es so aus: „Ob dieser Storch nun wirklich nach Kamerun fliegt, ist ja egal – aber es ist einfach etwas Positives in diesen Zeiten, das ich gern mit den Lesern teile.“ Ein Satz, der hängen bleibt. Denn er erzählt von mehr als nur einem Tier auf einer Lampe – er erzählt von der Sehnsucht nach kleinen Lichtblicken, nach Momenten, die Mut machen.

Natur vor der Haustür

Die Geschichte des Storches auf der Laterne ist auch ein stiller Appell: Hinsehen lohnt sich. Die Natur ist nicht nur dort, wo wir sie erwarten – auf Wanderwegen, in Nationalparks oder in Bildbänden – sie ist auch mitten in unseren Städten, auf Dächern, Wiesenstreifen und ja, manchmal auch auf Straßenlaternen in Wohngebieten.

Vielleicht ist es gerade diese Nähe, die uns so tief berührt: Dass etwas so Wildes und zugleich Anmutiges sich für einen Moment in unsere Welt verirrt, uns beobachtet, ohne Angst, ohne Hast – und uns daran erinnert, dass es noch Wunder gibt. Kleine. Und echte.