Kuh als Klimaschützerin: Vortrag in Detmold deckt Irrtümer auf

9
Das verzerrte Bild, das die Kuh als Klimasünderin dastehen lässt, soll in dem Vortrag am 3. Juni in Detmold neu gezeichnet werden. Foto: Mathias Lindner

Detmold. „Klimaschützerin auf der Weide: die Kuh“ – so lautet der Titel des Vortrags, den Dr. Anita Idel am Dienstag, 3. Juni, in der VHS Detmold halten wird. Dem Vorurteil, die Kuh rülpse unser Klima in Grund und Boden, wird zu Leibe gerückt und Zusammenhänge zwischen Tierhaltung und Bodenfruchtbarkeit unter die Lupe genommen.

Die Tiermedizinerin und Agrarwissenschaftlerin Dr. Anita Idel war schon in den 1980er-Jahren unter anderem Mitbegründerin der Arbeitsgemeinschaft Kritische Tiermedizin und des Gen-ethischen Netzwerks. Sie ist Dozentin und Mediatorin und war führende Autorin des Weltagrarberichts.

Wie ist die Kuh an den Pranger geraten? Bei Diskussionen rund um das Schreckgespenst Methanausstoß wird in der Regel kampagnenartig auf das biologische Methangas hingewiesen, während die Auswirkungen des fossilen Methans, das mit dem Kohleabbau, der Erdölförderung und vor allem dem Fracking entsteht, unter den Teppich gekehrt werden.

Dieses verzerrte Bild, das die Kuh als Sündenbock dastehen lässt, möchte Dr. Anita Idel neu zeichnen: „In Studien bleiben entscheidende Komponenten außen vor. Denn der Klima-Killer ist immer der Mensch! Wir müssen nicht Kühe, sondern Agrarsysteme vergleichen. Ob CO2, Methan oder Lachgas: Alles, was aus fossilen Quellen stammt, muss mitberücksichtigt werden.“

Die Hochleistungskühe sind von ihrem eigentlichen Futter, dem Grasland, weggezüchtet
worden und können davon gar nicht mehr satt werden: „Das Rind ist normalerweise ideal für uns Menschen: Es frisst, was wir nicht essen können, und kann zudem die Bodenfruchtbarkeit verbessern. Aber es ist zu einem Nahrungskonkurrenten gezüchtet worden, für das energie-intensiver Ackerbau betrieben wird – mit chemisch-synthetischem
Stickstoffdünger, der wiederum mit fossilem Methangas produziert wird“, erläutert die Agrarwissenschaftlerin.

Betrachte man die Kuh und deren Rülps-Faktor, dann gehörten die Zuchtziele und die Fütterung auf den Prüfstand, so die Tiermedizinerin. Weidetaugliche Rinder und eine vielfältige Mischung aus Gräsern, Leguminosen und Kräutern, die die Methanbildung tatsächlich vermindere, seien ausschlaggebend.

Im Zentrum der Arbeit von Dr. Anita Idel steht die Bodenfruchtbarkeit als Basis der menschlichen Ernährung, und da sei Grasland ein immenser Posten, was die weltweite Fläche betrifft: „Die fruchtbarsten Böden der Welt sind diejenigen, die eine Jahrtausende
währende Grasland-Genese haben und die ist durch die Beweidung entstanden. So sind die Graslandschaften die erfolgreichste Pflanzenkultur, gefolgt vom Wald. Was allgemein gar
nicht fokussiert wird ist, dass weltweit in den Grasland-Ökosystemen mehr CO2 gespeichert wird als in den Wald-Ökosystemen“, erklärt die Mediatorin, die als Vortragsrednerin in der
ganzen Welt unterwegs ist.

Mit Begeisterung spricht Dr. Idel von der Einzigartigkeit der Gräser, deren Wachstumsdynamik durch den Schnitt respektive den Biss der Kuh angeregt wird: „Die Gräser sind die einzigen Pflanzen, die eine Koevolution mit Weidetieren eingegangen sind und darum brauchen wir auch mehr Rinder statt weniger! Ich bin selbstverständlich der Meinung, dass wir unseren Fleisch-, Milch- und Eierkonsum drastisch reduzieren müssen, also generelles Reduzieren der tierischen Produkte. Das heißt für mich, keine Importfuttermittel und viel weniger Geflügel und Schweine. Aber wir brauchen mehr Rinder: Denn Auen und Hanglagen müssen wieder beweidet werden, um das Risiko der Bodenerosion zu mindern. Überall, wo geweidet werden kann, soll und muss geweidet werden. Leider ist die Tendenz eine ganz andere, dabei ist der Boden die Basis unserer
Ernährung.“

Aber das industrielle Agrarsystem honoriert Ackerprodukte besser als das, was von der Weide kommt. Für die industrielle Landwirtschaft zählt das Maximieren, im Schlepptau das
Reparieren – mit Chemie. Aber der kurzfristige Profit rächt sich mit der Zeit, meint die Agrarwissenschaftlerin.

Solange mehr an, statt in der Landwirtschaft verdient wird, ist die Liste der Produkte lang, vom Saatgut über Pestizide, bis hin zu den jährlich hunderten von Tonnen Antibiotika, die die Kasse der Hersteller zum Klingeln bringt. Von Nachhaltigkeit und Klimaschutz kann so nicht die Rede sein. Durch die intensive industrielle Nutzung mit all ihren chemischen
Hilfsmitteln und immer schwereren Maschinen sinken auf Dauer die Erträge.

„Zukunftsfähige Landwirtschaft hingegen braucht vor allem Vielfalt – das müssen wir uns immer wieder klarmachen, das ist unsere Ressource, die wir nicht zunichtemachen dürfen“, appelliert Dr. Idel.

„Das heißt auch, weg von der Hochleistungskuh. Für mich geht es um die Tiergesundheit und dazu gehört Weidetauglichkeit. Aber Nutztiere gelten in der Ökonomie als Produktionsmittel, was ethisch höchst problematisch ist. Die Nutzungsdauer einer heutigen Hochleistungskuh beträgt durchschnittlich nur circa drei Jahre, dabei kann eine Kuh mehr als 20 Jahre alt werden“, weiß die Tiermedizinerin und resümiert: „Eigentlich müssen wir alles auf Gesundheit ausrichten und das gilt für den ganzen Planeten.“

Am 3. Juni laden die VHS und die Bund-Ortsgruppe Detmold demnach zu einem spannenden Vortrag von Dr. Anita Idel ein. Beginn ist um 19 Uhr im Gebäude der VHS Detmold, Krumme Straße. Der Eintritt ist frei.