
Lage. Ich habe schon Ausschuss-Sitzungen des Stadtrates erlebt, die so spannend waren wie eine entladene Autobatterie. Aber der politische Event am Dienstagabend hatte das Format einer Hochspannungsleitung: zwischen 110.000 und 380.000 Volt.
Geprägt wurde die Sitzung von einer überraschenden Wendung. Nachdem sich fast alle Fraktionen (AfD, Aufbruch C, CDU, FDP, FWG/BBL) vehement gegen das Projekt ausgesprochen hatten, im Ortsteil Ohrsen zwei Windräder des ganz großen Formats aufzustellen, brachen zwar die Grünen – wie erwartet – eine Lanze für das Vorhaben; die SPD-Fraktion hielt sich verblüffender Weise aber komplett raus aus der Diskussion.
Schon schien festzustehen, dass die Windrad-Initiative der BELA („Bürger-Energie-Genossenschaft Lage“) ihr Projekt vor die Wand fahren würde, da riss Ausschuss-Vorsitzender Hans Hofste (SPD) das Steuer mit einem überraschenden Abstimmungsvorschlag herum. Statt Entweder-Oder (Ja-oder-Nein-Entscheidung zum BELA-Antrag) schlug er ein „Sowohl-als-auch“ vor: Antrag nicht abweisen, aber zurückstellen, bis die Projekt-Befürworter bewiesen haben, dass sie die Einwohner von ihrem Plan überzeugen können.
Können sie natürlich nicht; die Bürgerinitiative kann aber auch nicht beweisen, dass alle dagegen sind. Immerhin hat BI-Gründer Ferdinand Schmedding mehr als 100 Kontra-Unterschriften von Anwohnern in kürzester Zeit gesammelt und dem Bürgermeister übergeben. Aber ist das eine Mehrheit? Auf welche Grund-Gesamtheit bezogen? Eine von der BELA zu organisierende Bürgerversammlung soll – nach Hofstes Plan – ein klares Meinungsbild zutage fördern. Sein Vorschlag wurde mit acht gegen sieben Stimmen angenommen. Aber: Wer soll an der Bürgerversammlung teilnehmen dürfen? Einem Bewohner aus Heiden, Hardissen oder Hörste, der Windkraft im Prinzip befürwortet und die Rendite-Chancen der Energie-Genossenschaft vielleicht ganz gern mitnimmt, dem werden Ohrser Befindlichkeiten wohl ziemlich schnurz sein. Wo also wird – rein geografisch – die Grenze der Betroffenheit gezogen, die Grenzlinie um die herum, die überzeugt werden müssen?
Bizarr an der Story ist, dass der eigentliche Ausschuss-Vorsitzende Frederik Topp, Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes, sich für „befangen“ erklärte und damit der gewiefte Taktiker Hans Hofste (SPD) als Topps gewählter Stellvertreter zum Zug kam, der für Topp den Ausschuss-Vorsitz übernahm. Aber anstatt – wie erwartet – eine klare Entscheidung herbeizuführen, spielte Hofste höchst effektiv den „Sowohl-als-auch-Joker“.
Schachspieler kennen für die entstandene Situation den Ausdruck „Patt“. Das bedeutet so viel wie „unentschieden“. Dann aber ist das Schachspiel zu Ende und die Kontrahenten, die nun keine mehr sind, schütteln sich die Hände. In Ohrsen aber geht der Krieg jetzt erst richtig los.
Eskalationsstufe 1: Uwe Detert (AfD) berichtet in seinem Facebook-Account von einem mitgehörten Zwiegespräch, in dem ein Ratsmitglied erzählte, dass es seine Anteile soeben an die BELA zurückgegeben habe. Warum? – Um als „unbefangen“ zu gelten und mit abstimmen zu dürfen. Hätte dieses Mitglied sich wie Ausschussvorsitzender Frederik Topp wegen Befangenheit zurückgezogen, wäre der BELA-Antrag mit 7:7 Stimmen abgelehnt worden, weil er die Mehrheit verfehlt hätte. Detert wörtlich: „So sieht ‚Grüne‘ Politik auch auf kommunaler Ebene aus! Schamlosigkeit ohnegleichen!“
Monika Beckmann, stellvertretende Grünen-Vorsitzende, kontert im Kommentar zum Detert-Vorwurf: „Welch ein unerträglicher Versuch, Hass und Hetze zu verbreiten! Kein Anteilseigner der BELa hat gestern mit abgestimmt, egal ob er der CDU, den Grünen oder sonst einer Partei angehört. Alle, die es betrifft, haben sich für befangen erklärt und sich durch eine(n) Stellvertreter(in) ersetzen lassen.“
- Siehe dazu das Interview mit Ferdinand Schmedding „Auf einen Kaffee“ =>
- Weitere Infos in unserem Bericht über die Windkraftdiskussion in Lippe =>
- Verfechter des „Windkraft“-Projektes in Ohrsen bleiben cool =>