Kreis Lippe/Potsdam. Das vermutlich wichtigste Thema unserer Zeit ist die Nachhaltigkeit. Sie entscheidet nicht nur darüber, ob wir unseren Lebensstil als Individuen und als Gesellschaft auch in Zukunft aufrechterhalten können, sondern vielmehr, ob die Erde uns noch lebenserhaltende Ressourcen zur Verfügung stellen kann.
Nachhaltigkeit bedeutet dabei mehr als nur Umweltschutz – sie beruht auf drei Säulen: ökologischem Handeln, langfristigem Wirtschaften und sozialem Miteinander. Denn Nachhaltigkeit beschreibt ein weitsichtiges, vorausschauendes und verantwortungsvolles Ressourcenmanagement.
Die Frage nach gelingender Nachhaltigkeit und Mobilität war auch Thema des 201. „Jugend Presse Kongresses“. Dieser wurde von der Young Leaders GmbH ausgerichtet und durch das Bundesministerium für Verkehr gefördert.
Dort kamen engagierte Jugendliche aus ganz Deutschland zusammen, um über die Themen des Zeitgeschehens zu diskutieren. Einen der Impulsvorträge hielt Prof. Dr. Josef Löffl, Leiter des Instituts für Wissenschaftsdialog an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL).
Nach dem Kongress ergab sich das folgende Interview zum Thema Nachhaltigkeit und Mobilität.
Herr Dr. Löffl, Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit auch mit dem Untergang von hochentwickelten Gesellschaften. Meinen Sie, dass die Klimakrise zum Kollaps der menschlichen Zivilisation führen kann?
Prof. Dr. Josef Löffl: Da muss man immer etwas vorsichtig sein. Man muss zwei Dinge vorausschicken: Erstens, ich bin kein Klimaforscher. Das heißt, ich habe weder die Fähigkeit, Klimamodelle zu berechnen, noch sie zu erstellen. Das Zweite ist, dass niemand die Zukunft vorhersagen kann, egal, welche Möglichkeiten sie haben. Es gibt immer den Schmetterlingseffekt, wir können nie sagen, was kommt. Wenn man sich jetzt die Vergangenheit anschaut, dann habe ich durchaus den Eindruck, dass Naturereignisse in der Lage sind, Gesellschaftsformen massiv zu beeinflussen.
Um die Katastrophe des Klimawandels einzudämmen, gibt es globale Ziele zur Erreichung einer nachhaltigeren Welt, die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. Diese Ziele beruhen auf dem Grundprinzip der Nachhaltigkeit: dass man nur so viel verbraucht, wie man produziert. Der Earth Overshoot Day (Tag, an dem alle in einem Jahr natürlich von der Erde produzierten Ressourcen aufgebraucht sind) am 24. Juli 2025 zeigt daher, dass die Menschheit nicht nach diesem Prinzip handelt.
Wie gelingt die Einhaltung dieses Prinzips?
Löffl: Die Frage ist: Ist es uns denn jemals gelungen, also auch in der Vergangenheit? Das ist sehr schwer zu ermessen, weil wir keine exakten Zahlen für Gesellschaftsformen etwa in der Steinzeit haben. Sie können zum Beispiel nicht sagen: Waren denn alle Gesellschaftsformen global, etwa in der späten Steinzeit, nachhaltig.
Ich würde vermuten, dass es letztendlich, wenn wir uns das Wirken des Menschen als eine Uhr mit einem Zeiger vorstellen, dass von dieser Umrundung, 360 Grad, nur ein, zwei, drei, vier Grad des Weges des Menschen als Homo sapiens nachhaltig waren. Ich würde behaupten, dass er es größtenteils eben nicht war. Aber in anderen Dimensionen. Man konnte nicht so viel Schaden anrichten, weil man gar nicht die technischen Möglichkeiten hatte. Es ist ein Unterschied, ob ich jetzt mit einer Schaufel agiere oder mit einem Schaufelradbagger. Was ich für falsch halten würde, ist so ein Schwarz-Weiß-Bild, nach dem Motto: Also vor der Industrialisierung waren wir alle nachhaltig und hinterher kam der böse Mensch und fing dann erst an, die Natur auszubeuten. Dem ist nicht so. Der Mensch war schon sehr oft jenseits der Gesetzmäßigkeiten der Nachhaltigkeit unterwegs.
Jetzt haben wir uns den Bereich der Nachhaltigkeit in der Vergangenheit angeschaut. Was hat Nachhaltigkeit mit der Zukunft zu tun?
Löffl: Ich denke, dass sie zu einer existenziellen Voraussetzung wird, vor allem auch im Denken und Handeln der Menschen. Und zwar aufgrund der Rahmenbedingungen einer Welt, die globalisiert ist und eine Revolution erfährt wie nie zuvor, nämlich die digitale Revolution, wahrscheinlich die größte Revolution seit der Sesshaftwerdung des Menschen. Und ich glaube, dass man ein Ziel oder ein Leitprinzip braucht. Weil wir ansonsten natürlich diese Schere zwischen Arm und Reich, zwischen wohlhabend und nicht wohlhabend, immer weiterwachsen lassen. Und wir sehen bereits die ersten Auswirkungen davon. Wenn wir in einer Gesellschaftsform aufwachsen würden, in der es klar ist, dass unser ganzes Leben von Armut geprägt sein wird, und sehen dann etwa über soziale Medien, dass es ein paar tausend Kilometer Luftlinie entfernt, quasi schlaraffenlandähnliche Zustände, aus unserer Wahrnehmung, gibt. Na ja, dann würden Sie, genauso wie ich auch, wenn Sie nichts zu verlieren haben, ins Schlauchboot steigen.
Sie erwähnten jetzt bei Nachhaltigkeit die Säulen Soziales und Ökonomisches. Um nochmal auf die erste Säule der Nachhaltigkeit, die Ökologie, zurückzukommen: Welche Maßnahmen braucht es denn für einen gelingenden Klimaschutz aus Ihrer Sicht?
Löffl: Das ist so eine Frage wie: Wie glauben Sie, kann man den Weltfrieden konstruieren? Ich mache das jetzt mal ein bisschen naiv. Stellen Sie sich etwas vor, wie zum Beispiel bei Star Trek, da gibt es eine Konföderation, eine Art von Weltraumregierung. Und ich glaube, dass ein zentraler Schritt darin besteht, auch wenn es naiv ist, dass wir analog zu diesen Gedanken uns die Frage stellen: Wie bekommen wir es eigentlich hin, dass wir uns zumindest in gewissen Bereichen als Weltgesellschaft identifizieren?
Ich glaube, dass es wichtig ist, das Bewusstsein zu generieren, dass wir alle im gleichen Boot sitzen, ob wir uns jetzt in Shenzhen befinden oder in Brasilia oder in New York oder in Bielefeld. Wir sitzen alle im gleichen Boot und haben nur diese eine Chance.
Für einen gelingenden Klimaschutz muss dringend auch der Verkehrssektor angegangen werden. Um die Zukunft besser vorauszuahnen, werfen Sie auch gerne einen Blick in die Vergangenheit. Wie hat sich die Mobilität im Laufe der Menschheitsgeschichte verändert und wie sieht die Zukunft der Mobilität aus?
Löffl: Die Mobilität ist natürlich von gewissen Entwicklungsschritten abhängig, wie etwa der Erfindung des Rades. Aber der entscheidende Schritt in der Mobilität des Menschen, bis ins 19. Jahrhundert hinein, ist die Nutzbarmachung von Flüssen und von Meeren, weil das Wasser immer der einfachste und der effektivste Transportweg war. Überlegen Sie mal, wie viel Sie auf einem großen Lastkahn transportieren können und wie viel auf einem Ochsenkarren.
Die kommenden großen Entwicklungsschritte kamen dann mit der industriellen Revolution, und das ist die Eisenbahn. Die Bahn spielt bis heute eine wichtige Rolle in der Mobilität und mit dem 20. Jahrhundert natürlich auch der Luftverkehr.
Die grundsätzliche Frage der Mobilität besteht für mich nicht mehr darin, sich Gedanken darüber zu machen: Was ist das kommende Mobilitätsmittel? Werden wir morgen, was physikalisch wahrscheinlich unmöglich ist, von Ort A zu Ort B beamen? Sondern die eigentliche Frage für mich ist: In einer Welt, die auf der Schwelle zum Metaversum steht, welche Art von Mobilität brauchen wir denn zukünftig noch, wenn wir uns sowieso global in jeglicher Art und Weise austauschen können?
Das klingt sehr futuristisch. Sie sprechen von neuen, innovativen Technologien. Eine weitere Maßnahme zur Erreichung der SDGs und zur Bekämpfung des
Klimawandels könnten auch innovative Technologien sein. Bei der Einführung dieser Technologien wurde lange Zeit nicht auf das Thema Nachhaltigkeit geachtet. Wie kann man dafür sorgen, dass neue Technologien ökologisch, ökonomisch und auch sozial sind?
Löffl: Ich weiß es nicht, weil es eine sehr, sehr tiefgehende Frage ist. Ich glaube, dass man bei einer neuen Technologie auch als Schöpfer dieser Technologie nicht immer vollumfänglich beurteilen kann, wie und in welcher Art und Weise diese Technologie genutzt wird. Denken Sie an Alfred Nobel. Er hat das Dynamit erfunden, mit dem Ziel, den Bergbau sicherer zu machen. Nicht mit dem Ziel, dass sich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges hunderttausende von jungen Männern in die Luft jagen. Also nicht mal der Schöpfer einer Technologie kann genau sagen, wie sie zur Anwendung gebraucht wird, im Guten wie im Schlechten. Meines Erachtens kann man diese Frage daher nicht beantworten, der Mensch ist kein rationales Wesen. Wer hätte schon gedacht, dass Spielzeugdrohnen dazu genutzt würden, um Panzergranaten zu transportieren.
Nun haben wir uns die Frage nach nachhaltigen Technologien gestellt. Was würden Sie sagen, wie insgesamt mehr Nachhaltigkeit gelingt?
Löffl: Wenn die Menschen in ihrem Alltag verstehen, dass sie davon Nutzen haben. Wenn sie es nicht als eine Ideologie auffassen, sondern wenn sie für sich selbst verstehen, dass sie dadurch erstens Vorteile haben und zweitens etwas für die Generation ihrer Kinder tun. Dass es darauf ankommt, dass jeder Einzelne für sich die Frage stellt: In welchem Kontext kann man denn agieren? Muss das denn jetzt wirklich sein?
Ich persönlich bin kein Philosoph, aber für mich ist die Grundfrage in so einer Gesellschaftsform wie heute: Warum glauben viele Menschen denn immer noch, dass der Konsum ein Weg in einen glücklichen Gemütszustand ist? Und da rede ich nicht von Verboten, sondern davon, sich grundsätzlich die Frage zu stellen: Muss ich wirklich viermal im Jahr in den Urlaub fliegen? Mache ich das wirklich für mich? Mache ich das, weil ich glaube, dass andere Menschen das von mir erwarten? Oder weil ich vor anderen Menschen gut dastehen will?
Der Schlüssel für all diese Dinge ist das Selbstbewusstsein und die Freude am eigenen Denken zu entwickeln und dann nicht in diese Denkweise zu verfallen: Ich allein als ein Bruchteil von allem kann ja sowieso nichts bewirken. Man muss die Welt retten. Wenn jeder Einzelne im eigenen Habitat das eine oder andere verändert, dann fällt es letztendlich doch ins Gewicht.
Das Interview führte Paul Kiesow.