Teil 3: LWZ-Mitarbeiterin Annette Heuwinkel-Otter berichtet von „Rock am Ring“

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Die Toten Hosen sind Stammgäste bei „Rock am Ring“. Auch 2023 begeistern sie das Festival-Publikum. Foto: Annette Heuwinkel-Otter

Detmold/Nürburgring. Europas größtes Rock-Festival, das muss man gesehen haben. Das dachte sich auch Annette Heuwinkel-Otter und reiste für die LIPPISCHE WOCHENZEITUNG an den Nürburgring zu „Rock am Ring“. Was die gebürtige Detmolderin dort erlebte, verrät sie den LWZ-Lesern exklusiv in ihrem Erlebnisbericht.

Tag drei. Ausschlafen, es ist Sonntag. Arch Enemy spielt um 18.50 Uhr, Helenas derzeitige Lieblingsband. Wir frühstücken und sehen uns anschließend Adenau etwas an. Ein kleiner Ort mit 3.000 Einwohnern. Samstag hatten wir beim Frühstücken eine Dame kennengelernt, die erzählte, dass das Schwimmbad und nun auch das Krankenhaus zugemacht hätten.

Das sind tiefe Einschnitte für die Menschen, vor allem für die Älteren. Wegen der Krankenhausschließung gab es viele Proteste. In einem Geschäft finden wir dazu einen Aushang, ein Gedicht, welches den Verlust beklagt. Das stimmt mich als gelernte Krankenschwester nachdenklich.

Wir sehen uns um. Schöne alte Fachwerkhäuser, allerdings nicht schwarz-weiß wie in Lippe üblich, sondern, mit farbigen Holzbalken und farbigen Putz. Kleine Straßen, viele Blumengärten, Skulpturen und Kunstwerke fallen ins Auge. Immer wieder werden wir von Anwohnern angesprochen, sehr freundliche, hilfsbereite Menschen, das ist auffällig.

Neben dem Nürburgring ist die Region für Wandern, Radfahren und den Wein bekannt. Das Ahrtal ist geprägt von Kalkmagerrasenflächen mit Blumen, Kräutern und Orchideen. Ein tolles Naturerlebnis zum Entspannen. Dafür haben wir allerdings keine Zeit. Helena drängt schon: „Wir müssen uns fertig machen.“

Am ersten Tag hatten wir den derzeit erfolgreichsten deutschen Hip-Hop-Künstler Apache 207 verpasst. Fans erzählten uns, dass die Bühne einer Tankstelle nachempfundenen war und der Rapper auf einem Boot durch die Menge surfte. Auf einer zweiten Bühne endete der Auftritt mit einer spektakulären Laser-Show.  Helena bedauert ein wenig, das nicht gesehen zu haben, deshalb will sie am letzten Tag nichts verpassen.

Mit Tim und seiner Clique haben wir mittags noch einmal kurz Kontakt. Sie hatten die Zelte schon abgebaut, nachts um 2 Uhr wollen sie die Rückfahrt antreten. Treffen eher nicht, sind alle kaputt.

Mit Uli fahren Helena und ich etwas früher aufs Gelände, um einen Blick auf einen Campingplatz zu werfen. Campen, das will Helena unbedingt beim nächsten Festivalbesuch erleben. Samstagnacht, als wir auf dem Standstreifen unterwegs waren, hatten wir Eindrücke mitbekommen: laute Musik, lachende, singende, grölende Menschen, der Geruch nach Grillfleisch. Klar, dort wird die Nacht durchgemacht.

Heute ist alles ruhig: Leute in Gruppen miteinander vor ihren Zelten, ein über und über tätowiertes Pärchen schlafend im Auto, rauchende Grills. Alles sehr entspannt. Wir treffen einen Rollstuhlfahrer und unterhalten uns. Für Menschen mit Handicap gibt es viel Unterstützung: behindertengerechte Toiletten, Rampen für Rollstuhlfahrer, auf dem Balkon, mit dem Pressebereich, ist ein Teil für Behinderte mit einem guten Blick auf die Haupttribüne reserviert.

Immer wieder haben wir mitfeiernde Menschen mit Handicaps gesehen, auffällig viele, wie ich fand. Toll, dass die Veranstalter im Rahmen der Organisation an diese Gruppe besonders gedacht haben.

Auch der Bereich Nachhaltigkeit und Umweltschutz scheint ein wichtiger Faktor bei der Planung zu sein: Mehrwegbecher auf dem gesamten Festivalgelände, die Toiletten werden regelmäßig gesäubert, am Ende jeden Tages wird der herumliegende Müll entfernt. Klar, dennoch sieht es nach so einem Tag wild aus, aber ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. An den Eingängen sitzen Menschen, die Pfandflaschen und Dosen einsammeln. Eine besondere Szene, die sich etabliert hat.

Helena ist schon ganz aufgeregt, gleich spielt ihre Lieblingsband Arch Enemy, eine Melodic-Death-Metal-Band. Ich bin auch gespannt und habe keine Ahnung was mich erwartet. Doch, was für ein Auftritt, diese Frontfrau hat es drauf. Die Karriere von Arch Enemy begann 1996 in Halmstad, eine Stadt in Schweden. Alissa White-Gluz, 1985 in Kanada geboren, ist seit 2014 die Frontfrau der schwedischen Band.

Die Kanadierin ist für ihren gutturalen Gesang bekannt, ein Kehlgesang, mit den Taschenfalten, den sogenannten falschen Stimmlippen gebildet. Außerdem setzt sie sich ein für Umwelt- und Tierschutz, ernährt sich vegan, verzichtet auf Alkohol, Tabak und Drogen. Damit ist sie eine Anhängerin der „Straight Edge“-Bewegung, kurz: sXe. Das ist eine Jugendkultur aus dem Bereich des Hardcore Punk. sXeler folgen einem Kodex, der vor allem Nein-Sagen bedeutet – zu Alkohol, Zigaretten, Drogen und One-Night-Stands.

Und dann endlich gegen 22 Uhr: Auftritt der Toten Hosen. Das trifft meinen Geschmack. Ich bin gespannt, wie Helena die Band findet. Vor dem Auftritt trennen wir uns, ich will Backstage, hinter die Kulissen. Es ist schon etwas knappt mit der Zeit, schnell einige Fotos, hoch zum Pressebalkon, runter zu Helena. Die Toten Hosen feiern in diesem Jahr ihr 40. Bandjubiläum. Bei „Rock am Ring“ sind sie zum achten Mal dabei. Frontmann Campino begrüßt die Menge und schreit: „Die alten Säcke sind wieder da. Es ist kein Geheimnis, dass die beiden Zwillingsfestivals zu unseren absoluten Lieblingslocations gehören.“

Und los geht’s. Super Stimmung, die Masse singt und tanzt und wir auch. Plötzlich kommt ein Typ, vielleicht Anfang 20, auf uns zu: „Ich bin Daniel“, und begrüßt uns mit Handschlag. „Seid ihr Mutter und Tochter?“ „Nein, das ist meine Tante“, erklärt Helena. „Super, wie ihr beiden tanzt. Da kann man sich etwas abschauen. Einfach toll“, sagt Daniel.

Wir trinken noch ein Bier, stärken uns mit Flammlachs und machen uns auf den Heimweg. „Im kommenden Jahr will ich mal ‚Rock im Park‘ in Nürnberg erleben“, sagt Helena. „Na, da kannst du schon einmal planen. Die Termine stehen schon fest, der Kartenvorverkauf läuft“, entgegne ich und freue mich insgeheim darauf, gleich die Beine hoch legen zu können. (ah)