Schweine in der Massentierhaltung: Würde und Wohlbefinden sehen anders aus. Foto: Mathias Lindner

Bielefeld. Mittlerweile zum 28. Mal wird am heutigen Mittwoch der Tag der Tierrechte begangen. In einer demokratischen Gesellschaft sind Grundrechte selbstverständlich – Würde, Freiheit, Schutz, das Recht auf Bildung oder Eigentum. Und bei Verletzung dieser Rechte hat jeder die Möglichkeit, sich zu wehren. Wenn sich aber Gesetze durch einschränkende Formulierungen quasi überflüssig machen, dann sind diese Gesetze nur Augenwischerei.


Genau das trifft beim Tierschutzgesetz zu. Seit mehr als 50 Jahren gibt es eine Neufassung des 1933 erstmals erlassenen Tierschutzgesetzes: Das Wohlergehen und das Leben des Mitgeschöpfes Tier sei zu schützen. Fakt ist allerdings, dass die wirtschaftlichen Interessen derer, die mit Tieren Geld verdienen, schwerer wiegen. Warum ist das so?

„Das hat sicher viel zu tun mit kapitalistischer Wachstumslogik. Wir wissen spätestens seit der Warnung des Club of Rome von 1972 (in der Studie namens ‚Die Grenzen des Wachstums‘), wie verheerend der Traum vom stetigen Wachstum für unseren begrenzten Planeten ist. Und doch finden wir, gegen jede Vernunft, nicht heraus aus diesem Paradigma, das dem Gemeinwohl so sehr schadet. In einem Winkel unserer Herzen wissen wir alle, dass Mitgefühl mit sogenannten Nutztieren anständiger wäre, eine Bringschuld darstellt. Zugleich denken viele Menschen: Ich muss schauen, wo ich bleibe. Und dann werden unfaire Produkte gekauft, der billige, nicht biologisch erzeugte Kaffee auf Kosten der Menschen im globalen Süden ebenso wie das Schweinefleisch aus industrieller Haltung. Relevant ist überdies, dass die meisten Menschen gar nicht ausloten wollen oder können, wer diese tierlichen Individuen wirklich sind. Wenn sie ‚Schwein‘ denken, oder ‚Milchkuh‘, dann denken sie das Klischee eines Schweins, das Klischee einer Kuh. Solche holzschnittartigen Vorurteile führen dann zu so dummen Aussagen wie: Die sind doch dafür gemacht“, sagt die Psychologin und Tierrechtlerin Ute Esselmann.

Seit Jahrzehnten beschäftigt sich die vegan lebende Bielefelderin mit dem Thema Tierschutz und Tierrecht. Auch engagiert sie sich in der Friedensbewegung und sieht da einen konkreten Zusammenhang: „Wo Schlachtung gewollt ist, normalisieren wir Gewalt. Wer von uns hofft nicht auf Frieden in der Welt? Die Friedensbewegung könnte sich durchringen zu verstehen, dass einer der imperialsten Orte der Welt der Schlachthof ist. Passt doch nicht zusammen: Frieden fordern und zugleich für gewaltsame Übergriffe auf fremde Körper bezahlen. Junge Menschen, die sich für die Ausbeutung von tierlichen Individuen nicht mehr einspannen lassen werden, könnten höchstwahrscheinlich, auch für imperialistische Kriege gegen andere Nationen, nicht mehr so leicht instrumentalisiert werden. Frieden beginnt auf dem Teller.“

Diese Ansicht vertrat schon im 19. Jahrhundert der berühmte russische Schriftsteller Leo Tolstoi („Solange es Schlachthäuser gibt, wird es Schlachtfelder geben“). Um sich von dem Massenmord an nichtmenschlichen Tieren abzuwenden, bedürfe es auf jeden Fall einer strukturellen Veränderung in der Agrarwirtschaft ebenso wie im gesellschaftlichen Leben, meint Esselmann.

So hätte beispielsweise Portugal als erstes und einziges europäisches Land die gesetzliche Pflicht geschaffen, dass in öffentlichen Kantinen, also in Schulen, Gefängnissen, Krankenhäusern und so weiter, eine vegane Alternative angeboten werden müsse: „Mir gefällt auch sehr die Initiative der ‚Plant Based Universities‘, die in England ersonnen wurde und Kreise zieht. An der Uni Basel haben Aktive dieser Kampagne kürzlich abstimmen lassen, rund 3.000 Studenten nahmen teil, die Mehrheit votierte für eine künftig vegane Mensa. Nicht bindend für die Uni, aber ein starkes Signal.“

Wir alle können den Tieren zu ihrem Recht auf Leben und Unversehrtheit verhelfen, und das auf unterschiedlichste Weise: Um ein verletztes Tier am Straßenrand kümmern wir uns. Einer vor dem Schlachter geflüchteten Kuh wünschen wir instinktiv, sie möge ihrem Peiniger entkommen und ein glückliches Leben führen dürfen, spenden dann vielleicht für die Unterbringung auf einem Lebenshof; wir geben Tieren aus dem Tierschutz ein Zuhause – denn die meisten von uns (80 Prozent der Bevölkerung) sind tierlieb.

Wir schauen Tiermüttern und ihren Kindern gerne zu und erkennen deren emotionale Verbundenheit. Warum also sollten Tiere, nur weil sie keine Menschen sind, weniger wert sein und ausgebeutet, eingesperrt und umgebracht werden? Man könnte ihnen mit Respekt begegnen und ihnen den Platz zum Leben, der ihnen zusteht, zurückgeben. Das funktioniert allerdings nur, wenn wir Menschen unsere Herrschaft über die Tiere beenden.

Es gehe keinesfalls darum, Grundrechte und politische Rechte der Menschen aufzuweichen, so Ute Esselmann, und  ergänzt: „Es geht darum, andere Tiere nach den Prinzipien von Gerechtigkeit mit Rechten auszustatten. Gleiche Interessen wie Wohlsein genießen, Schmerz vermeiden etc. sind gleich zu behandeln.“