900 Jahre Lippe/50 Jahre Kreis Lippe – Als Lippe seine neue Heimat fand

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Dass der Hermann ein Wahrzeichen von Nordrhein-Westfalen werden würde, erahnten nach Kriegsende die wenigsten. Grafik: Wolf

Kreis Lippe. Dass der Kreis Lippe seine Heimat im Bundesland Nordrhein-Westfalen hat, ist heutzutage Fakt. Dass Lippe jedoch auf eine stolze Geschichte, einer 900 Jahre anhaltenden staatlichen Eigenständigkeit zurückblicken kann, wird oft vergessen.

Schon lang bevor der Name Nordrhein-Westfalen je erdacht wurde, gab es Fürstentum und Freistaat Lippe. Doch vor 76 Jahren verlor die Region ihren Autonomiestatus, das letzte Blatt lippischer Eigenständigkeit wurde beschrieben.

Der Anfang vom endgültigen Ende der Autonomie begann mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Noch im April 1945 marschierten die USA in die Region ein. Bereits unter der NS-Diktatur verlor Lippe durch das Gleichschaltungsgesetz seine autonomen Kompetenzen, doch lag die Zukunft der Region direkt nach dem Krieg in offenen Händen.

Noch 1945 entschied die britische Militärregierung, ihre Zone in eine Handvoll Bundesländer aufzuteilen. Teil der britischen Zone war nach dem Potsdamer Abkommen auch Lippe. Aus dieser Entscheidung heraus entstanden die Bundesländer Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, doch war unklar, welchem Bundesland, ob überhaupt, Lippe zugeschlagen werden solle.

Um die politischen Geschäfte weiterlaufen zu lassen, riefen die Alliierten ein lippisches Parlament ins Leben, den von einem Landespräsidenten geführten Landtag. Dieses lippische Parlament tagte von Anfang 1946 bis Januar 1947.

Die Abgeordneten wählten die Militärregierung selbst, als lippischer Regierungskopf wurde noch 1945 der gebürtige Lemgoer Heinrich Drake eingesetzt, ein erfahrener und hoch angesehener Regionalpolitiker.

Neben der offenen Zukunft Lippes musste sich die vorläufige Regierung mit vielerlei Krisen befassen. Die Region litt unter einer enormen Nahrungsmittelknappheit. Auch Wohnraum war Mangelware; unzählige vertriebene, flüchtende, suchende und gesuchte Menschen streiften durch das Land.

Neben Drakes großen Bemühungen, die Versorgungslage der Bürger zu bessern, kämpfte er für den Fortbestand eines autonomen Lippes. Dafür arbeitete der Landtag eine eigene Verfassung aus, der Landespräsident führte Gespräche mit der britischen Obrigkeit und mit den Präsidenten der Nachbarländer.

Die Entscheidungsmacht über die Zukunft der Region lag jedoch bei dem Vereinigten Königreich, welches spätestens ab April 1946 deutlich signalisierte, dass Lippe kein eigenes Bundesland werden würde.

Dies schreckte viele Politiker dennoch nicht davon ab, für ihr Ziel weiterzukämpfen. Der Landtag arbeitete weiterhin an einer Verfassung, Heinrich Drake suchte weiterhin den Dialog, jedoch ohne Erfolg.

Es blieb schließlich nur die Wahl zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, auf letzteres fiel am Ende die Entscheidung. Nordrhein-Westfalen bot Lippe schlichtweg attraktivere Bestimmungen, war kompromissbereiter.

Um den Traum einer Autonomie nicht aufgeben zu müssen, erklärte der Landespräsident die Eingliederung als vorläufig.

Bei der letzten Sitzung des lippischen Landtages am 21. Januar 1947 stellte Drake eine Volksabstimmung in Aussicht, die auch von der Militärregierung vorgesehen war. Zu der Abstimmung kam es jedoch nie, die Lipper konnten nie selbst entscheiden.

So besiegelte der 21. Januar 1947 letztendlich das Ende der autonomen Region Lippe innerhalb Deutschlands. Der Politkrimi, der mit der Frage um den Fortbestand lippischer Freiheit einherging, ging jedoch bloß in die nächste Runde.

Der Kreis Lippe wollte mehr sein, als nur ein weiterer Landkreis, wollte seine Kultur und seine Eigenheiten fortbestehen sehen. Die lippischen Politiker wollten eigene Verwaltungsmacht über das Landesvermögen, wollten eine eigene Schulpolitik und möglichst viele Eigenkompetenzen behalten.

Der Diskurs mit NRW um diese Punkte war zäh und hitzig, letztendlich doch für alle Seiten zufriedenstellend. Nordrhein-Westfalen wurde zur neuen Heimat. (tnw)