Angedacht: Wie geht es dir?

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Yasmin Zimmermann, Pfarrerin in der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde St. Pauli Lemgo. Fotorechte: Yasmin Zimmermann

Wie geht es dir? Eine Frage, die schnell gestellt wird. In Deutschland vielleicht nicht so schnell wie an anderen Orten auf der Welt, wo die Frage zum Begrüßungsritual gehört. Was will ich hören, wenn ich diese Frage stelle?

Danke, mir geht es gut. Danke, den Umständen entsprechend. Eine schnelle Antwort, nach der ich weitergehen kann? Oder interessiert es mich, wie es dem Gefragten wirklich geht? Meist ist die Antwort dann etwas länger und komplizierter.

Manchmal öffnen sich dann tiefe Abgründe und das Gegenüber gibt Einblicke in sein Befinden. Ich brauche in diesem Fall Zeit, um zuzuhören, das Gehörte zu verarbeiten und den Willen, mich auf das Gegenüber einzulassen.

Blitzschnell entscheide ich, wenn ich gefragt werde: „Wie geht es dir?“ Ist der Fragende an der Antwort interessiert oder fragt er aus Höflichkeit? Je nachdem fällt meine Antwort anders aus. Das kennen viele von Ihnen sicher.

Ich erzähle in meinem Freundeskreis mehr als bei flüchtigen Bekanntschaften. Das ist auch gut so. Doch die Frage: „Wie geht es dir?“, hat trotzdem eine wichtige Aufgabe. Sie signalisiert: Ich sehe dich und interessiere mich für dich.

Für uns Menschen ist es wichtig, dass wir gesehen werden. Um das „Gesehenwerden“ geht es auch in der Jahreslosung für 2023: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ (1. Mose 16,13). Dieser Satz sagt Hagar auf der Flucht, als Gott mit ihr spricht.

Die Geschichte von Hagar ist keine einfache. Sie ist eine ägyptische Sklavin bei Sara und Abraham. Da ihre Herrin keine Kinder bekommen konnte, wurde von einem alten Recht gebraucht gemacht, dass das Kind der Sklavin als Kind der Herrin zählt. Hagar wird schwanger und beginnt Sara zu verachten.

Sara kann mit der Situation nicht umgehen und sie behandelt Hagar so schlecht, dass diese davonläuft. Auf dieser Flucht spricht Gott zu Hagar, und er verspricht ihr, dass sie einen Sohn bekommen wird und zur Mutter eines großen Volkes werden wird. Darauf antwortet Hagar mit dem Satz: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Ein ermutigender Satz. Eine Aussage, die mich im innersten berührt: Es gibt einen Gott, der mich sieht. Dies geschieht auch da, wo wir nicht mehr weiterwissen, wie bei Hagar auf der Flucht. Dieser Gott sieht alle Menschen.

Er schaut sie durch Jesus Christus mit einem liebevollen Blick an. Daher können auch wir die anderen Menschen mit liebevollen Augen sehen, weil Gott uns sieht.

Es ist für den Menschen ermutigend, gesehen zu werden. Vielleicht können wir uns vornehmen, die Frage: „Wie geht es dir?“, bewusster und mit Interesse an der Antwort zu stellen.

Manchmal ist es genau diese eine Frage: „Wie geht es dir?“, die unserem Gegenüber vermittelt: Ich werde gesehen und gehöre dazu.