Europawahl 2024: Brite aus Detmold kandidiert für Liberale Demokraten

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Chris Ward mit seinem Vater David, im Haus der Familie in Allandsbusch, Herberhausen (damals Hakedahl). Fotorechte: Chris Ward

Kreis Lippe/Detmold/Berlin. Chris Ward ist Spitzenkandidat der Liberalen Demokraten bei der diesjährigen Europawahl, einer sozialliberalen Kleinpartei in Deutschland, die im November 1982 gegründet wurde. Seine ersten Lebensjahre verbrachte der Brite in Detmold, auf dem ehemaligen Gut Hakedahl.

Der britisch-irische Politiker Chris Ward befindet sich im Wettlauf gegen die Zeit. Bis Mitte März muss er 4.000 Unterschriften von EU-Bürgern sammeln, um auf den Wahlzettel für die diesjährige Europawahl zu kommen. Diese findet vom 6. bis 9. Juni statt. Als Sohn eines britischen Soldaten wurde er 1984 in Iserlohn geboren, verbrachte seine frühesten Jahre jedoch in Hakedahl (heute Herberhausen) in Detmold. 1991 verließ er die Residenzstadt und zog mit seinen Eltern nach Großbritannien.

 Frühe politische Erfahrungen

„Detmold ist nicht nur der Ort, an dem ich meine schönsten Kindheitserinnerungen habe, sondern auch der Ort, an dem ich meine erste politische Erinnerung erlebt habe“, erklärt Ward. „Ich war fünf Jahre alt – wir hatten nur einen englischsprachigen Fernsehsender – als ich in die Küche rannte, um mich bei meiner Mutter zu beschweren, dass meine Cartoons nicht gezeigt wurden, bloß weil eine Wand umgestürzt war“, fährt er schmunzelnd fort.

In dem Alter habe er noch nicht gewusst, welche geopolitischen Folgen der Moment hatte, in dem unzählige Menschen über die Berliner Mauer kletterten und von der Grenze in die Freiheit liefen. „Für mich waren Cartoons wichtiger“, ergänzt der 40-Jährige lachend.

Chris Ward hat seitdem versucht, diese Fehleinschätzung wieder „gutzumachen“. Er wurde 2007 als einer der jüngsten Menschen in Großbritannien in den Bezirksrat von Guildford (Anm. d. Red.: Hauptstadt der historischen, englischen Grafschaft Surrey) gewählt. Zudem habe seine Kampagne zur Bekämpfung eines Brennpunkts für Überfälle in seinem Bezirk dazu geführt, dass die Kriminalität in dem Gebiet im folgenden Jahr um mehr als 90 Prozent zurückging.

Erfolge auf lokaler und nationaler Ebene

Nach seinem Erfolg auf lokaler Ebene setzte sich Ward auch auf nationaler Ebene für die Einführung der Ehe für alle ein. Mit der von ihm entwickelten App „LobbyALord“ feierte er unerwartete Erfolge, da die Abstimmung im historisch konservativen britischen Oberhaus mit einer überwältigenden Mehrheit für die gleichgeschlechtliche Ehe stimmte. Die App ermöglichte es gewöhnlichen Menschen, mit oft nicht rechenschaftspflichtigen Lords und Baronessen des Oberhauses in Kontakt zu treten.

Innerhalb von zwei Wochen wurden mit der App 15.000 E-Mails an die Abgeordneten verschickt, in denen sie aufgefordert wurden, das Gesetz zu unterstützen. Für seine Mühen wurde ihm daraufhin vom damaligen britischen Premierminister David Cameron persönlich gedankt.

„Als ich das Abstimmungsergebnis auf dem Bildschirm sah, dachte ich zuerst, es sei falsch. Es zeigte einen überwältigenden Sieg für uns – und so etwas passiert normalerweise nicht im Oberhaus“, beschreibt Ward den historischen Moment und fährt fort: „Aber dann wurde mir klar, dass etwas, an dem ich zwei Wochen lang gefeilt hatte, tatsächlich dazu beigetragen hatte, ein Gesetz zu ändern. Das hat mir gezeigt, wie viel man erreichen kann, wenn man Menschen zusammenbringt.“

 Brexit als Wendepunkt

Bei all den Erfolgen hat Chris Ward aber auch einige Wahlkampfverluste erlitten. Am 23. Juni 2016 öffneten er und sein Partner ihre winzige Londoner Wohnung als Kampagnenzentrum für das EU-Referendum. Obwohl das Ergebnis verheerend war, stimmten in den Gebieten, in denen ihr Kampagnenzentrum zuständig war, sieben von zehn Menschen für den Verbleib in der EU.

„Das war ein schwieriger Tag. Ich bin ein internationales Kind – ein britisch-irischer Doppelbürger, der in Westdeutschland geboren wurde. Zu sehen, dass mein Land für Isolationismus und Hass gestimmt hatte, war herzzerreißend“, sagt Ward. „Für mich war allerdings klar: Ich wollte Europäer bleiben und einen Beitrag zur europäischen Bewegung leisten. Also beschloss ich, zurück nach Deutschland zu ziehen. Nach Berlin – meiner Lieblingsstadt auf der Welt, in mein Lieblingsland auf der Welt“, so Ward weiter.

Rückkehr in sein Geburtsland

So kehrte er, nachdem Großbritannien für den Austritt aus der EU gestimmt hatte, zurück nach Deutschland. Mittlerweile lebt Ward mit seinem Mann Josh – die beiden haben 2016 im Rathaus Schöneberg geheiratet – und ihrer Katze Sulu in Berlin. Ward arbeitet hauptberuflich als Softwareentwicklungsmanager für eine Sprachlern-App.

In seiner Freizeit engagiert er sich politisch, läuft jeden Morgen eine Runde über das Tempelhofer Feld und tut alles, um sein Deutsch zu verbessern. Doch auch die Liebe zu seiner lippischen Heimatstadt ist noch allgegenwärtig. „Detmold hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen, sie ist eine wunderbare Stadt“, betont Ward.

Einsatz gegen Klimawandel und Ungleichheit

Des Weiteren setzt er sich für einen besseren Zugang zu psychiatrischen Einrichtungen ein. Bei Ward selbst wurde erst spät ADHS diagnostiziert, doch durch die anschließende Behandlung habe er eine enorme Lebensverbesserung erhalten, beschreibt er.

Weitere Themen, die ihm am Herzen liegen, sind der Klimawandel und die Ungleichheit des Wohlstands. „Als Technologieexperte bringe ich einen großen Erfahrungsschatz in den Themen Datensicherheit und Digitalisierung mit, so dass wir uns den Herausforderungen und Chancen der künstlichen Intelligenz stellen können“, sagt Ward.

Plädoyer für Freiheit

Er sei nun schon eine Weile in der Politik tätig und denke noch oft an sein erstes politisches Erlebnis, damals als Fünfjähriger vor dem Fernseher in Detmold, zurück. „Damals konnte ich nicht wissen, was es für die Menschen bedeutet haben muss, an diesem Tag ihre Freiheit zu erlangen“, erzählt er.

Vor allem in den vergangenen sieben oder acht Jahren habe er viel über ähnliche Situationen nachgedacht wie etwa den Bau von Trumps Grenzmauer oder die Familien, die alles riskiert hätten, um ihre vom Krieg zerrissenen Länder zu verlassen und in Europa ein besseres Leben zu finden. Auch die Invasion der Ukraine sei ein schreckliches Beispiel für den Verlust von Freiheit.

„Böse Menschen werden immer versuchen, zu spalten, zu trennen, Mauern zu bauen und zu kontrollieren. Und das ist erschreckend“, sagt Ward. Aber gerade den jüngeren Menschen, die heute mutlos auf die Welt blickten und ein Licht am Ende des Tunnels oder einen Funken Hoffnung bräuchten, möchte der Wahlberliner Mut machen: „Die Gesellschaft feiert nie den Jahrestag des Mauerbaus, sondern den des Mauerfalls. Und immer dann, wenn jemand Mächtiges eine Mauer errichtet, seid ihr die Menschen, die, ob im wörtlichen oder übertragenen Sinne, diese Mauer einreißen könnt. Und in der Politik gibt es nichts Wichtigeres als das, nicht einmal Cartoons!“ (lwz/yb)