Exklusiv: Interview mit Landrat Dr. Lehmann

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Lippes Landrat Dr. Axel Lehmann schaut trotz der aktuell schwierigen Lage mit Zuversicht in die Zukunft. Foto: Wolff

Kreis Lippe. Der Kreis Lippe feiert in diesem Jahr nicht nur sein 50-jähriges Jubiläum, die Verwaltung steht auch vor zahlreichen Herausforderungen. Welche das sind und wie die Kreisverwaltung diesen begegnen will, darüber sprach die LIPPISCHE WOCHENZEITUNG mit Landrat Dr. Axel Lehmann.

Lippische Wochenzeitung: Im vergangenen Jahr wurden Sie mit vielen Dingen konfrontiert, und dazu zählt nicht nur der Krieg in der Ukraine. Konnten Sie gut schlafen?

 Dr. Axel Lehmann: Meistens ja. Es ist eine überlappende Krisensituation, und das fordert so eine Verwaltung natürlich erheblich. Wir sind in einer Dauerkrisenschleife seit 2019, seit Lügde, dann Corona, dann die Ukraine. Das fordert eine Verwaltung aber gleichwohl; alles in allem konnte ich normalerweise ganz gut schlafen.

LWZ: In diesem Jahr ist die Hälfte Ihrer Legislaturperiode, können Sie uns verkündigen, dass Sie weitermachen?

Lehmann (lacht): Ich halte das für sehr früh, sich darüber Gedanken zu machen, noch vor der Halbzeit. Auch wenn der Entscheidungsprozess noch nicht gestartet ist, schließe ich eine erneute Kandidatur natürlich nicht aus.

LWZ: Also die Lust hat bisher noch nicht nachgelassen?

Lehmann: Das wäre schlimm, wenn man in diesem Amt keine Lust hat, sondern irgendwie jeden Tag mit Magenschmerzen ins Büro geht. Dann wird man für eine Region nichts erreichen. Aber ich will auch weiterhin einiges erreichen. Es ist auch noch einiges auf der Tagesordnung.

LWZ: Gut, kommen wir gleich auf die Tagesordnung zu sprechen. Mit welchen Fraktionen kommen Sie dann am besten zurecht?

Lehmann: Ja, selbstverständlich mit der SPD-Fraktion. Aus der komme ich schließlich.

LWZ: Nur mit der SPD?

Lehmann: Nein, natürlich mit allen demokratisch orientierten Fraktionen.

LWZ: Welche Dinge stehen in diesem Jahr an, wo sehen Sie Herausforderungen?

 Lehmann: Ja, wir haben multiple Krisensituationen. Wie es in der Ukraine weitergeht, weiß keiner. Es gibt Hinweise, dass weitere Menschen nach Lippe flüchten. Wir sind nicht mit der Unterbringung befasst, das machen die Kommunen. Dabei läuft die Integration über unsere Jobcenter. Das Ausländeramt ist natürlich involviert, ebenso unser kommunales Integrationszentrum.

LWZ: Wie wirkt sich der Krieg hier in Lippe aus?

Lehmann: Infolge dieses völkerrechtswidrigen und grausamen Krieges haben wir alle und jeder Einzelne von uns unter diversen Schwierigkeiten zu leiden, insbesondere Inflation. Wir haben eine mehr als prekäre Haushaltssituation beim Kreis Lippe.
Wir haben den Haushalt eingebracht, und es wird eine enorme Kraftanstrengung sein, da durchzukommen. Wenn wir die Kreisumlage nicht erhöhen würden, hätten wir ein Defizit in diesem Haushalt von 60 Millionen Euro. Wir kriegen das jetzt durch unterschiedliche Maßnahmen gedeckt.
So haben wir eine Sparrunde im Haus gemacht, wir haben Ausgaben buchhalterisch isoliert. Und wir erhöhen selbstverständlich die Kreisumlage.

LWZ: An welchen Stellen muss noch gespart werden?

Lehmann: Auch die Jugendamtsumlage müssen wir erhöhen. Und wir greifen tief in die Ausgleichsrücklage. Also ich denke, dass wir einen kommunalfreundlichen Haushalt verabschieden. Aber, wenn 2024 vom Bund und vom Land nichts kommt, wird die ganze kommunale Familie Probleme bekommen. Nicht nur der Kreis, nicht nur einzelne Städte oder Gemeinden, können dann diverse Aufgaben nicht mehr erledigen, weil schlicht und ergreifend das Geld fehlt.

LWZ: Können Sie bei der Lage überhaupt noch etwas bewegen?

Lehmann: Ich denke, dass wir da einen Haushalt auf den Weg bringen, mit dem wir nicht nur jetzt Mangel verwalten, sondern auch noch die Akzente setzen, die gesetzt werden müssen, bei den großen Topthemen.

LWZ: Was sind das für Themen?

Lehmann: Ich sehe vor allen Dingen die Themen demografische Entwicklung, Klimawandel und Artenschutz als ganz zentrale Bereiche, wo wir uns in diesem und in den kommenden Jahren anstrengen müssen.

LWZ: Was steht konkret an Projekten an?

Lehmann: Auf den Dächern der Kreisimmobilien, wo noch keine Photovoltaik ist, werden wir diese setzen. Im Kreishaus haben wir das längst, aber es gibt noch Schulgebäude und andere Gebäude des Kreises.
Wir werden die Klimaerlebniswelt in Oerlinghausen zu Ende bauen und 2023 dann voraussichtlich eröffnen, was mich freut. Ich finde es wichtig, dass man als öffentliche Hand nicht nur spart, sondern auch noch da, wo es nötig ist, inhaltliche Akzente setzt.

LWZ: Sie sprachen die demografische Entwicklung an, was ist diesbezüglich geplant?

Lehmann: Dieses Thema treibt mich unter anderem mit Blick auf die Arbeitskraft- und Fachkraftsituation um. Wir brauchen Personal in der Pflege, in den Kitas, wir brauchen Busfahrer, die Bäcker brauchen Nachwuchs und kriegen ihn nicht. Die Liste lässt sich unendlich verlängern.
Und auch wir als Verwaltung haben mehr und mehr Probleme, unsere Stellen zu besetzen und damit unsere Dienstleistung zu erbringen. Ich möchte deshalb im Laufe des ersten Halbjahres einen Demografiegipfel hier im Haus einberufen und dazu einladen, mit allen wesentlichen Akteuren wie die Agentur für Arbeit, die IHK, die Handwerkskammer und viele andere.

 LWZ: Welche Möglichkeiten haben Sie, hier etwas zu verändern?

 Lehmann: Ich sehe vier Stellschrauben. Vielleicht ergeben sich beim Demografiegipfel noch andere, mit denen wir arbeiten können. Die erste Stellschraube ist die Mobilisierung der stillen Reserve, also der Menschen, die ihre Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt aus welchen Gründen auch immer nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stellen.
Die zweite Stellschraube ist das Thema Aus- und Weiterbildung.
Der dritte Punkt ist die Migration. Damit meine ich eine Einwanderung von Menschen, die uns auch tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt helfen können. Wir können zum Beispiel über unser kommunales Integrationszentrum, über das Ausländeramt, über das Jobcenter schauen, dass die Personen hier gut ankommen, dass sie sich hier wohlfühlen und hier in den Arbeitsmarkt dann auch integriert werden.
Und der vierte Punkt, der mir auch sehr am Herzen liegt, ist Regionalmarketing. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns in einer ganz tollen Region zum Arbeiten und zum Leben befinden. Wir haben eine reiche Kulturszene. Wir haben eine sehr gute Bildungslandschaft. Wir haben eine tolle Natur, das wissen nur zu wenige. Das müssen wir ändern.

LWZ: Wie sieht die Flüchtlingssituation in Lippe aus?

Lehmann: Aus der Ukraine sind rund 4.500 Personen gekommen, natürlich sind auch wieder welche gegangen. Wir haben damit sicherlich deutlich mehr aufgenommen als die meisten anderen Kreise, prozentual jedenfalls, was an der Bevölkerungssituation hier liegt. Wir haben knapp 40.000 ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die also keinen deutschen Pass haben.
Man sieht sehr gut die Steigerung von 2021 auf 2022, da haben wir 5.500 zugelegt. Das heißt aber auf der anderen Seite, Tausend kommen aus anderen Ländern, die mit der Ukraine und dem Krieg dort nichts zu tun haben und die auch untergebracht werden.

LWZ: Was wünschen Sie sich für 2023?

Lehmann: Der Wunsch nach Frieden. Den haben wir, glaube ich, alle. Und der überragt eigentlich auch alles. Ich wünsche mir, dass wir trotz all dieser Konflikte, Krisen und Kriege trotzdem auch ein bisschen feiern können.
Das muss man dann auch mal dürfen, insbesondere, wenn man was zu feiern hat. Und die Feierlichkeiten 900 Jahre Lippe und 50 Jahre Kreis Lippe sind ein guter Anlass zu feiern. Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen mitfeiern werden und dass wir uns als Lipperinnen und Lipper dadurch auch noch mal unsere eigene Identität ein Stück weit vor Augen führen.