Lemgo. Die freie Theatergruppe „Stattgespräch“ gehört nun schon fast 27 Jahre zur Kultur in der Alten Hansestadt Lemgo und begeistert sein Publikum immer wieder mit besonderen Stücken.
Dieses Mal verschlug es das Premieren-Publikum im ausverkauften Kulturbahnhof mit dem Stück „Dinge, die ich sicher weiß“ nach Australien zur dortigen Familie Price. Geschrieben wurde es von Andrew Bovell (2016), seine deutsche Erstaufführung erfolgte 2018 in Mainz.
Familie Price im Mittelpunkt
Über die vier Jahreszeiten hinweg begleitet das Publikum darin die Familie Price durch verschiedene Höhen und Tiefen. Viele Facetten tun sich im weiteren Verlauf auf, wozu Identitätskrisen, Meinungsverschiedenheiten oder sogar Machtkämpfe zählen.
Das komplizierte Familienkonstrukt um die vier erwachsenen Kinder von Fran (Liane Kreye) und Bob (Manfred Templin) erzählt in dem nervenaufreibenden, aber auch sehr berührenden Stück von Eltern- und Geschwisterliebe, Beziehungen, aber auch Trennungen. Es geht ums Halten, Loslassen, Weggehen und Heimkommen.
Erfülltes Leben – unerfüllte Träume
Es wird von erfülltem Leben, aber auch dem nicht nach seinen eigenen Wünschen gelebten Leben berichtet. Auch Schritte spielen eine Rolle, die man gehen will, muss oder aus Rücksicht der Vernunft bisher nicht gegangen ist. Dabei stellt sich aber auch die Frage, ob man diese Wege nicht doch schon eher hätte gehen müssen?
Nach der Corona-Zeit spielt das große Ensemble nun wieder im Kulturbahnhof und der Abend war ohne Einschränkungen genießbar.
Wiemann verrät Hintergründe
Im Gespräch nach der Premiere berichtete Frank Wiemann, dass er bei diesem Stück zunächst eigentlich nur die Regie übernehmen wollte. Doch dann kam Ende Januar dieses Jahres durch einen Krankheitsfall alles anders.
Er musste einspringen und übernahm die Rolle des Sohnes Ben. Die Geschichte beginnt jedoch mit Nesthäkchen Rosie (Jacqueline Pape), der in Berlin von einem Mann das Herz gebrochen wird. Zusätzlich raubt er sie auch noch aus und so macht sie sich mit ihrem Rucksack auf den Rückflug nach Hause.
Somit endet ihr geplanter dreimonatiger Europa-Trip schneller als gedacht. Zu Hause will sie ihren Kummer vergessen und überrascht ihre Eltern im beschaulichen Garten in Hallet Cove, wo ein Großteil dieses Stückes spielt. Ein Ort, an dem geologisch und klimatisch gesehen die vier Jahreszeiten keinen großen Unterschied spielen.
Probleme und Sorgen
Im weiteren Verlauf muss sie aber feststellen, dass ihre drei älteren Geschwister – zu denen noch Pip (Myriam Heidemann) und Mark (Stephan Gottwald) gehören – ihre eigenen Probleme und Sorgen haben.
Fran und Bob versuchen für ihre Kinder da zu sein, die Familie zusammenzuhalten und ihren Kindern Kraft zu geben. Aber die teilweise auch erdrückende Liebe führt dazu, dass sich alle ihrem eigenen und auch gemeinsamen Leben und den unterschiedlichen Beziehungsgeschichten stellen müssen.
Rosie (Jacqueline Pape) möchte ebenfalls endlich auf eigenen Beinen stehen, obwohl sie damit erst einmal gescheitert ist. Eine Liste mit Dingen, die sie sicher weiß, soll dabei helfen, obwohl die Liste sehr kurz ausfällt.
Sohn Ben umgibt dunkles Geheimnis
Ihre Schwester Pip (Myriam Heidemann) hat zwei Kinder und will ihren Mann und auch ihre Kinder für einen anderen Mann verlassen. Sohn Ben (Frank Wiemann) ist im Bankgeschäft tätig. Er ist ein Fan von schnellen Autos und der Meinung, er müsse sich seinen reichen Kunden anpassen.
Seine Mutter Fran kümmert sich immer noch um seine Hemden. Er birgt aber ein dunkles Geheimnis, das nach der Pause im zweiten Teil aufgedeckt wird. Im Drogenrausch erleben seine Eltern, seine Schwester Rosie und auch das Publikum ein erschreckendes Geständnis.
Im falschen Körper
Vater Bob ist zu früh in Rente gegangen und verbringt so sehr viel Zeit in seinem schönen Garten bei seinen Rosen. Wenn das nur schon alles wäre, aber es gibt ja noch Mark (Stephan Gottwald), der sich seit langer Zeit im falschen Körper fühlt und daher einen Neuanfang als „Mia“ plant und damit seine Eltern entsetzt.
Jeder hat sein Päckchen zu tragen
Somit hat jeder in der Familie sein Päckchen zu tragen und das augenscheinlich heile Familiengeflecht bricht auseinander. So bleiben am Ende nur noch Fran und Bob zurück, die eine Reise planen. Doch am Schluss kommt alles wieder anders als gedacht.
Premieren-Publikum begeistert
Das Premieren-Publikum zeigte sich restlos begeistert und dankte dem Ensemble mit wiederkehrendem, langem Applaus. Tiefgründige Monologe, eine fantastische Dramaturgie und ein hervorragendes Bühnenbild, das einen Garten mit angrenzender Küche zeigt, lassen das Stück lebendig wirken.
Verantwortlich dafür waren Stephan Gottwald und Frank Wiemann. „Dinge, die ich sicher weiß“ ist ein beeindruckendes Werk, das zum Nachdenken anregt und die Frage aufwirft, inwieweit die Familie Price die eigene Familie widerspiegelt. (al)
Fotostrecke: Premiere „Stattgespräch“