Zwangssterilisation in der NS-Zeit: Autor Heinrich Bax liest in Lemgo

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Autor Heinrich Bax bei seinem Vortrag im Rathaus-Sitzungs-Saal mit Forschungsergebnissen aus seinem Buch. Foto: Andreas Leber

Lemgo. Der Bielefelder Autor Heinrich Bax und Moderator Dr. Frank Konersmann stellten unlängst im großen Rathaussaal in Lemgo das im Lippe-Verlag erschienene Buch „Zwangssterilisation in Lippe und Euthanasie während der NS-Zeit“ vor. Zudem präsentierten sie den Besuchern aktuelle Forschungsergebnisse zu diesem Thema.

Das Interesse an diesem Abend war groß und so waren alle Sitzplätze und weitere Plätze auf der Besuchertribüne belegt. Die Veranstaltung fand auf Einladung des „Arbeitskreis 9. November“ statt und Bürgermeister Markus Baier, wie auch Falko Heise, Geschäftsführer der Stiftung Eben-Ezer, sprachen einige bewegende Worte. Musikalisch begleiteten Jessika Kaiser (Gesang) und Roman Balatel am Akkordeon mit passenden Stücken den Abend.

Bei den Zwangssterilisationen während der NS-Zeit spielten, so Autor Bax, die Lemgoer Heilanstalten Eben-Ezer und das Lindenhaus eine traurige Rolle. Demnach ging man bei den Forschungen auch der Frage nach, wie stark paktierten die Lemgoer Heilanstalten Eben-Ezer und das Lindenhaus mit den Nationalsozialisten?

Das traurige Ergebnis war, dass junge Menschen und damit besonders sozial schwache, keine Chancen hatten. Die Erkenntnisse sind grausam: So wurden die jungen Menschen durch die Wohlfahrtsverbände zu Eben-Ezer geschickt.

Dort besuchten sie eine Sonderschule und kamen somit in die Mühlen der menschenverachtenden NS-Ideologie, bei der das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ dazu führte, dass sehr viele Menschen auch in Lippe unter Zwang sterilisiert wurden. Sie litten angeblich an „angeborenem Schwachsinn“ und sollten daher keine Möglichkeiten mehr haben, Nachwuchs zu erzeugen.

Viele Jahre hat Heinrich Bax in unterschiedlichen Archiven dazu recherchiert und so den vielen Opfern und Tätern nachgespürt. In Lippe fielen seinen Recherchen nach mindestens 740 Bürger den NS-Tätern zum Opfer, davon allein 86 junge Menschen in Eben-Ezer.

Dabei traf es nicht nur junge Männer und Frauen mit geistiger Behinderung, sondern auch Menschen aus sozial schwachen Familien, die aufgrund ihres Sozialverhaltens in die Auswahl kamen.

Dies machte Bax an Beispielen wie dem von „Walter S.“ sichtbar, einem jungen Mann in Eben-Ezer, der, so belegen es die gefundenen Unterlagen, durchaus gute Schulnoten hatte. Trotzdem sei ihm vom damaligen Anstaltsarzt „angeborener Schwachsinn“ bescheinigt worden. Dies führte nach seiner Konfirmation zur Zwangssterilisation, die beim Erbgesundheitsgericht beantragt und dann durchgeführt wurde.

Dr. Frank Konersmann, Archivar der Stiftung Eben-Ezer, steht seit 2011 immer wieder im Austausch mit Heinrich Bax und musste feststellen, dass die Stiftung die Zwangssterilisationen begrüßt hatte, unter der Prämisse, die Personen wieder in die Gesellschaft zu entlassen und somit der Bevölkerung zu suggerieren, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausginge.

Es gab auch bei diesen Aktionen strikte politische Vorgaben, denen die Anstaltsleiter von Eben-Ezer und des Lindenhauses nachkamen. Betroffen waren aber auch, wie man vor einigen Jahren herausfand, mindestens 37 Bewohner von Eben-Ezer, die nach ihrer Verlegung in staatliche Einrichtungen zum Teil verhungerten oder in die Tötungsanstalt Hardamar gebracht wurden.

Bax zeigte bei seinem Vortrag in Lemgo etwa einen gefliesten Kellerraum mit Duschen. Die Bewohner der Tötungsanstalt Hardamar, die dort hineingebracht wurden, dachten, es käme eine erfrischende Dusche auf sie zu. In Wirklichkeit war es jedoch eine getarnte Gaskammer.

Die Leichen wurden anschließend im Nebenraum in zwei großen Öfen verbrannt. Daran erinnert die Stiftung Eben-Ezer in regelmäßigen Gedenkgottesdiensten in der Kapelle zum guten Hirten auf dem Gelände von Alt Eben-Ezer. Hinter der Kapelle befindet sich auch eine Gedenk-Stele, auf der man die Namen der Betroffenen lesen kann.

Die Täter, Ärzte und Mitarbeiter in leitender Funktion, sind für ihre Taten nie strafrechtlich verfolgt worden. So durfte der damalige Amtsarzt lediglich einige Zeit (bis 1950) nicht mehr praktizieren und wurde 1972 vom Kreis Lippe sogar noch feierlich in den Ruhestand verabschiedet.

Bei der sogenannten „Euthanasie“ sah es anders aus. Gezielte Tötungsaufträge gab es in Eben-Ezer und dem Lindenhaus nicht, so zeigen es die Recherchen von Heinrich Bax und Dr. Frank Konersmann. Trotzdem wurden dort weder Schüler noch Bewohner vor den Nazi-Schergen geschützt.

So wurden nach weiteren Recherchen von Heinrich Bax im Jahr 1937 62 Personen nach Eben-Ezer verlegt und später über weitere Zwischenstationen in Tötungseinrichtungen überführt, wo sie ums Leben kamen. Weitere 20 Kinder sind wohl in die Heilanstalt nach Lüdenhausen gebracht worden, wo medizinische Experimente an ihnen durchgeführt wurden.