Faszination Feldhase: LWZ-Oster-Interview mit Förster Günter Harmel

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Die mit Abstand höchste Populationsdichte von Hasen gibt es in den Supermärkten: Günter Harmel erläutert, dass das Vorbild des Osterhasen weit weniger präsent ist als seine Eier versteckenden „Kollegen“. Foto: Karen Hansmeier

Kreis Lippe. Ostern ohne Hase ist wie Weihnachten ohne Weihnachtsmann. Und so ist der hoppelnde Eierlieferant dieser Tage unschwer zu übersehen: Umhüllt mit glänzender Folie hat Meister Lampe seinen großen Auftritt in den Regalen der Supermärkte. Schoko- und Dekohasen sind allgegenwärtig.

Anders ist es indes um sein natürliches Vorbild bestellt, den Feldhasen. Für ihn sind die Bedingungen in der modernen Kulturlandschaft im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte immer schwieriger geworden. Er steht als „gefährdet“ auf der Roten Liste der bedrohten Arten – mit negativem Entwicklungstrend.

Was das bedeutet, wo und wie das Langohr lebt, und ob das Osterfest wegen „Personalmangels“ abgesagt werden muss, das erfuhr die LIPPISCHE WOCHENZEITUNG im Gespräch mit Günter Harmel.

Lippische Wochenzeitung (LWZ): Herr Harmel, Sie sind Leiter der Jagdschule der Kreisjägerschaft Lippe, waren bis 2020 Förster, wobei sie knapp 40 Jahre nachhaltig dazu beigetragen haben, das Revier Belle zu prägen und seine Landschafts- und Waldbilder zu formen. Sicherlich hat dabei der ein oder andere Hase Ihren Weg gekreuzt. Wie steht’s heute um den Hasen in Lippe?
Günter Harmel: Insgesamt lässt sich feststellen, dass in Lippe die Population der Feldhasen in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist. Aufgrund der divergenten Geologie unseres Landstrichs ist ihr Vorkommen nicht über die ganze Fläche Lippe einheitlich. Konkrete Zahlen gibt es nicht, doch kann man davon ausgehen, dass in den westlippischen „Bördegebieten“ mit ihren leichten Böden zwischen Bega und Werre die Hasenpopulation bei etwa 40 bis 60 Stück je Quadratkilometer liegt. Im lippischen Norden und Osten und den größeren Waldgebieten sowie dort, wo wir auf schwerere Böden treffen, dürften die Zahlen wesentlich geringer sein.

LWZ: Wie lässt sich das herausfinden? Wie zählt man Hasen?
Harmel: Eine gängige Methode ist die Scheinwerfertaxation, um Feldhasenbesätze mit einer relativ hohen Genauigkeit zu erfassen. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass der Hase überwiegend nachtaktiv lebt. In deckungsarmen Feldrevieren können von einem langsam fahrenden Fahrzeug aus mithilfe eines Suchscheinwerfers die auf den Äsungsflächen befindlichen Hasen leicht gezählt werden. So wird etwa die gesamte Populationsstärke in Deutschland auf Grundlage der Scheinwerfertaxationen auf circa sieben Millionen Hasen hochgerechnet. Die Gebiete mit dem höchsten Hasenvorkommen liegen danach im nordwestdeutschen Tiefland (NRW, Niedersachsen). Dort sind teilweise mehr als 100 Hasen je Quadratkilometer gezählt worden.

LWZ: Was sind die Gründe für den Bestandsrückgang?
Harmel: Die Gründe sind vielfältig. Unstrittig spielen die Entwicklungen in der Landwirtschaft eine wesentliche Rolle. Das Fehlen von Brachflächen und Saumfluren erschwert das Finden und Halten eines Reviers. Die engen Fruchtfolgen, der Einsatz von Pestiziden wirken sich negativ auf die Feldhasenpopulationen aus und schränken ihren Lebensraum deutlich ein. Aber das allein als Gründe anzuführen, wäre zu kurz gegriffen. Denn zugleich hat der Hase es mit mehr und mehr natürlichen Fressfeinden zu tun, zu denen auch zugewanderte Beutegreifer wie der Waschbär oder Marderhund zählen. Auch verwilderte Hauskatzen haben Hasen zum Fressen gerne. Dazu kommen Gefahren im Straßenverkehr oder auch, dass insbesondere Junghasen sehr witterungsanfällig sind. Ist das Frühjahr zu nass und kalt sinken die Überlebenschancen. Überdies können ansteckende Erkrankungen wie die von China nach Europa eingeschleppte Hasenpest verheerende Bestandsrückgänge verursachen.

LWZ: … und die Jagd von Menschenhand?
Harmel: Die Jagd auf Feldhasen ist streng geregelt: Sie ist in Gebieten mit einem ausreichenden Vorkommen vom 1. Oktober bis 31. Dezember erlaubt.

Ostern ohne Hase ist undenkbar. Collage: Karen Hansmeier/Pixabay

LWZ: Wie können wir dem Feldhasen helfen?
Harmel: Günstig für Feldhasen sind vielfältige Ackerkulturen, Zwischenfrüchte, die nicht sofort untergepflügt werden, artenreiche Wiesen, blütenreiche Säume und Wegränder. Darüber hinaus tragen Hecken, mehrjährige dichtbewachsene Brachen und Blühflächen, auf denen der Hase auch im Winter Deckung findet, zu einem hasenverträglichen Lebensraum bei. Je abwechslungsreicher die Landschaft, desto besser geht es dem Feldhasen.

LWZ: Osterhasen haben bekanntlich alle Pfoten voll zu tun. Aber was macht so ein Feldhase den lieben langen Tag? Erzählen Sie unseren Lesern ein bisschen aus dem Alltag eines Hasen.
Harmel (lacht): Ganz einfach – tagsüber liegt er in seiner „Sasse“, einer Mulde, und ruht sich aus. Oder wie man in Lippe sagt: Er sitzt im Pott. Los geht’s erst abends: Hasen sind nacht- und dämmerungsaktiv.

LWZ: Lepus europaeus, so der wissenschaftliche Name des Feldhasen, hat einige bemerkenswerte Fähigkeiten. Was hat es damit auf sich?
Harmel: Da ist zum Beispiel die Mehrfachvaterschaft. Sie besagt, dass Junghasen eines Wurfes unterschiedliche Väter haben können. Unglaublich ist auch die Superfötation: Das heißt, dass sich Embryonen unterschiedlicher Entwicklungsstadien zeitgleich in der Gebärmutter befinden. Und dann ist da noch die kuriose Art der Verdauung. Hasen geben zwei Kotformen ab: „normalen“, trockenen Kot und den feuchten Blinddarmkot. Letzterer ist sehr vitaminreich und wird erneut gefressen.

LWZ: … und kann Meister Lampe wirklich so schnell rennen wie behauptet wird?
Harmel: Und ob! Wie ein geölter Blitz flitzen sie vor Angreifern davon und zeigen dabei das charakteristische Hakenschlagen. Hasen sind Langstreckenläufer, können weite Entfernungen mit bis zu 50 Stundenkilometern zurücklegen und hängen ihre Verfolger dank ihrer Ausdauer meist ab. Wenn’s ganz brenzlig wird, können sie Spitzengeschwindigkeiten von 70 bis 80 Stundenkilometern erreichen und bis zu drei Metern weit springen.

LWZ: Was viele für Hasen halten, sind oftmals Kaninchen. Dabei sind Hasen und Kaninchen nicht näher verwandt als Mensch und Schimpanse. Erklären Sie doch mal …
Harmel: Kaninchen sind klein und gedrungen, während es sich bei Hasen um merklich größere, schlanke Tiere handelt. Auch sind ihre die Beine länger und muskulöser. Feldhasen haben ein bernsteinfarbenes Fell und lange Ohren mit schwarzen Spitzen. Kaninchen sind grau und haben kurze Ohren. Hasen sind Einzelgänger, Kaninchen leben in größeren Familienverbänden und bauen weitverzweigte Tunnelsysteme. Im Gegensatz dazu ist der Hase kein Tiefbaumeister. Er legt sich eine Mulde an und macht sich unter Büschen oder in hohem Gras unsichtbar.

LWZ: Können wir ihn trotzdem beobachten? Haben Sie einen Tipp für die Osterfeiertage?
Harmel: Jetzt im Frühling, wo auch Paarungszeit ist, kann man Hasen auf trockenen, offenen Flächen wie Äckern, Weiden oder Wiesen oftmals sogar tagsüber und nicht nur in der Morgen- und Abenddämmerung beobachten. Aber Augen auf! Denn gut getarnt und bewegungslos an den Erdboden geschmiegt, ist Meister Lampe leicht zu übersehen.


Das Interview führte Karen Hansmeier.