Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Klimaschutz ist Menschenrecht

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Symbolfoto. Foto: Adobe Stock

Kreis Lippe/Straßburg. Dieses Urteil lässt aufhorchen in einer Zeit, in der der Klimawandel immer stärker zu spüren ist, in jeder Region der Erde, auch in Lippe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat unlängst aufgrund einer Verbandsklage festgestellt: Menschen haben einen Rechtsanspruch auf Klimaschutzmaßnahmen ihres Staates.

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Hohe Außentemperaturen in den Sommermonaten führen zu deutlich erhöhten Sterberaten. Besonders betroffen sind ältere Altersgruppen und Menschen mit Vorschäden, zum Beispiel mit Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen. In Europa starben im Jahr 2022 etwa 60.000 Menschen aufgrund extremer Hitze.

In Deutschland sind rund 4.500 Sterbefälle einer hitzebedingten Übersterblichkeit zuzuschreiben und in Nordrhein-Westfalen sind 1.240 Menschen an den Folgen von Hitze verstorben.

Weitere Auswirkungen aufgrund des Klimawandels kommen hinzu: Dürren und Überschwemmungen vernichten Ernten, gefährden und nehmen Leben, erschweren eine ausreichende sowie gesunde Ernährung und führen zur Verteuerung von Lebensmitteln. Damit bildet die Klimakrise eine gewichtige Ursache für Einschränkungen in den grundlegenden Bedürfnissen von Menschen.

 Das grundlegendste Menschenrecht ist das Recht auf Leben. Deshalb erscheint es logisch, den Klimaschutz zu einem Teil der Menschenrechte zu machen. Ein Klima sollte lebens- und gesundheitsförderlich sein und nicht das Leben von Menschen gefährden. Allerdings wird gegen die zunehmende Erderwärmung in vielen Ländern der Erde zu wenig unternommen. Aus diesem Grund häufen sich die sogenannten Klimaklagen. In der Schweiz klagten die „Klima-Seniorinnen“ gegen die Schweizer Regierung.

Am 9. April stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), aufgrund der Verbandsklage fest: Menschen haben einen Rechtsanspruch auf Klimaschutzmaßnahmen ihres Staates. Die Emissionsbegrenzungen sind damit nicht nur eine Verpflichtung der Staaten untereinander, die Bürger haben mit dem Urteil einen Rechtsanspruch darauf.

Die Menschenrechtskonvention stammt aus dem Jahr 1950 und thematisierte den Klimawandel nicht. Der Artikel 8 der Menschenrechtskonvention „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“, umfasst nun auch einen Anspruch von Bürgern auf Schutz vor den schädlichen Auswirkungen des Klimawandels.

Bereits 2015 begann die Arbeit an den Klageverfahren, als die Organisation Urgenda vor einem Gericht in den Niederlanden eine Klage gewann und die niederländische Regierung zu mehr Klimaschutz verurteilte. Greenpeace in der Schweiz hatte die Idee für eine ähnliche Klage in der Schweiz. Für die Klagebefugnis war ein Nachweis der Betroffenheit durch die Regierungspolitik Voraussetzung.

Die Klimakrise betrifft alle. Studien zeigen jedoch, dass besonders ältere Menschen und vor allem Frauen besonders oft in Hitzewellen sterben. Greenpeace suchte deshalb nach engagierten, gegebenenfalls älteren Frauen, die klagen würden. Sie stießen auf Rosmarie Wydler-Wälti, damals engagiert im Netzwerk „Großmütterrevolution“. Gemeinsam mit vier weiteren Frauen gründete sie die „Klima-Seniorinnen“ und begann mehrere Klageverfahren in der Schweiz.

Da die Gerichte in der Schweiz, die Klagen immer wieder abwiesen, zog die Initiative vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und bekam Recht. Wydler-Wälti (74 Jahre), Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen, mit mittlerweile 2.000 Mitgliedern in einem Durchschnittsalter von 73 Jahren, berät inzwischen Initiativen zu weiteren Klagen in anderen Ländern.

Denn mit diesem Urteil ist einiges ins Rollen gekommen. Das EGMR-Urteil ebnet den Weg für Klagen gegen die Mitgliedsstaaten des Europarats. Das bedeutet möglicherweise Klagen in 46 Staaten, zu denen gegebenenfalls auch Deutschland gehört. Auch Klageverfahren auf kommunaler Ebene können zukünftig von dem Urteil beeinflusst werden.

Damit eine Flut von Individualklagen eingedämmt wird, verfügte der EMGR nur Verbandsklagen zuzulassen und keine Klagen von Einzelpersonen. Eine Voraussetzung, um vor dem EMGR klagen zu können, ist außerdem der Klageweg durch die nationalen Instanzen. Erst danach kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen werden. (ah)